Kapitel 40

40 3 2
                                    

Die nächste Woche verging im gleichen Trott. Ich verbrachte die meiste Zeit auf dem Sofa, eingekuschelt in meine Decke, während Alexander sich um alles kümmerte. Er ging wieder zur Arbeit und kam abends zurück, brachte mir manchmal kleine Geschenke mit – ein Buch, ein paar Blumen – aber ich konnte die Geste nicht wertschätzen. Alles erschien mir bedeutungslos.

Eines Morgens, als ich wieder einmal in die Leere starrte, hörte ich ein Klopfen an der Tür. Alexander öffnete die Tür und als ich die Stimme des Besuchers hörte, erstarrte ich. Es war Paul und er wollte zu mir.

Ich wollte nicht, dass jemand mich so sah – zerknittert und verloren. Und Alexander behauptete auch, dass ich nicht hier war. Woher wusste Paul das überhaupt? Und dann kam mir wieder in den Sinn, dass er Polizist war. Es musste ein Leichtes für ihn gewesen sein, mich ausfindig zu machen. Als ich merkte, dass Paul sich nicht abwimmeln ließ, gab ich mich selbst zu erkennen, indem ich Alexander zu rief, dass er ihn rein lassen solle. Das tat er, wenn auch höchst widerwillig, schließlich auch und gleich darauf kam Paul ins Wohnzimmer.

„Elena, ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich vorbeikomme“, sagte Paul mit einem sanften Lächeln. „Ich wollte sicherstellen, dass du okay bist.“

Ich erwiderte sein Lächeln nicht. „Ich bin nicht okay“, murmelte ich und wandte meinen Blick ab. Paul setzte sich neben mich und überlegte kurz, bevor er sprach.

„Es ist in Ordnung, das zuzugeben. Es ist normal, sich so zu fühlen, besonders nach allem, was passiert ist“, sagte er. „Aber du musst nicht alleine damit umgehen. Es gibt Wege, damit umzugehen.“ Ich konnte mir ein spöttisches Lachen nicht verkneifen, schließlich wusste Paul auch nur Bruchteile von dem, was tatsächlich geschehen war.

Ich wollte ihm nicht zuhören, wollte nicht über meine Gefühle sprechen. Ich wollte einfach nur in meiner Traurigkeit bleiben. „Weiß er, dass du hier bist?“, verlangte ich zu wissen und strebte so auch einen Themenwechsel an.

Paul sah mich an, natürlich wusste er ganz genau, dass ich von Stephan spach. „Nein.“, lautete die Antwort. „Und ich werde es ihm nicht sagen, wenn du das nicht möchtest.“, fügte Paul aufrichtig hinzu. „Ich möchte es nicht.“, stellte ich mit zitternder Stimme klar.

Ich fühlte mich, als würde ich in einem tiefen Loch stecken, und jeder Versuch, herauszukommen, schien vergeblich. „Es war mir wichtig, dich zu sehen und das habe ich jetzt. Er ist auch am Boden zerstört, aber ich werde deine Entscheidung respektieren. Er wird nicht erfahren, wo du bist. Nur glaube ich, dass es vielleicht helfen könnte...“ Ich unterbrach ihn sofort. „Ich habe das, was ich gesagt habe, genauso gemeint! Ich will ihn nie wieder sehen und sollte er das nicht respektieren, lernt er mich richtig kennen!“

Paul schluckte hart, nickte aber dann erneut. „Ich verstehe. Dann hoffe ich, dass ihr beide jetzt damit abschließen könnt. Du scheinst gute Unterstützung zu haben.“

Ich sah Paul an und mir wurde bewusst, wie recht er doch hatte. Und Alexander nahm das nun als Stichwort, um Paul aufzufordern, seine Wohnung zu verlassen. Sein Besuch hatte jedoch Spuren hinterlassen. Wenn er mich finden konnte, war es für Stephan genauso leicht. Und ich wollte mir gar nicht ausmalen, ob auch Manuel und Melanie dazu fähig waren. Das nahm ich als Motivation, um mich endlich aufzuraffen.

In den folgenden Tagen gab es kleine Fortschritte. Alexander brachte mich dazu, manchmal mit ihm zu essen, auch wenn ich nur kleine Bissen nahm. Ich begann, die Blumen zu betrachten, die er mitgebracht hatte, und ich versuchte, die Farben und Formen zu genießen. Es waren kleine Schritte, aber sie fühlten sich bedeutungsvoll an.

Eines Abends saß ich mit Alexander auf dem Sofa, und ich fühlte mich nicht mehr ganz so verloren. „Ich möchte versuchen, wieder ein bisschen mehr ich selbst zu sein“, sagte ich leise.

Er sah mich an, seine Augen leuchteten vor Freude. „Das ist großartig, Elena. Ich bin so stolz auf dich.“

Ich lächelte schwach und wusste, dass der Weg noch lange nicht einfach sein würde. Aber vielleicht war ich bereit, ihn zu gehen.

Die Tage vergingen, und während ich versuchte, meine Gedanken zu sortieren, sprach Alexander immer häufiger über einen möglichen Umzug. Er hatte dank Bekanntschaften zwei Wohnungen in Wien in Aussicht, beide in Vierteln, die pulsierend und lebendig waren – genau das, was ich brauchte, um einen Neuanfang zu wagen.

„Die erste Wohnung ist in der Nähe des Praters“, erzählte er mir eines Abends, während wir auf dem Sofa saßen. „Sie hat große Fenster und viel Licht. Ich kann mir vorstellen, dass du dort deine Kreativität ausleben könntest. Und Platz für ein Kinderzimmer und deine Bücher ist ebenfalls.“

Ich hörte ihm zu, obwohl ich mich innerlich sträubte. Die Vorstellung, meine inzwischen vertraute Umgebung zu verlassen, war überwältigend. Und damit meinte ich nicht meine Wohnung, wenn ich ehrlich zu mir selbst war. „Und die zweite Wohnung?“ fragte ich, um das Thema zu wechseln.

„Die ist im 7. Bezirk, nicht weit von ein paar tollen Cafés und Kunstgalerien. Es wäre ein ganz neues Kapitel für dich.“, sagte er mit einem Lächeln, das mir Hoffnung geben wollte.

Doch während ich ihm zuhörte, wurde mir klar, dass ein Umzug nicht einfach nur eine neue Wohnung bedeutete. Ich müsste meine alte Wohnung aufgeben, die mir trotz aller Traurigkeit auch ein Gefühl von Sicherheit gab. Und dann war da noch mein Job im Krankenhaus. Die Gedanken daran, die gewohnte Umgebung und die Menschen, mit denen ich gearbeitet hatte, hinter mir zu lassen, schüchterten mich ein. Ich hatte das doch erst vor ein paar Monaten durchgemacht.

„Alexander, ich… ich weiß nicht, ob ich bereit bin, alles aufzugeben“, murmelte ich, während ich meinen Blick auf den Boden.

„Du musst nicht alles auf einmal entscheiden“, antwortete er geduldig. „Wir könnten uns die Wohnungen ansehen und dann darüber sprechen. Vielleicht gibt es einen Weg, das alles zu vereinen.“

„Aber was ist mit meinem Job? Ich kann nicht einfach kündigen. Es ist alles, was ich kenne. Ich habe dort doch erst angefangen.“, sagte ich und spürte, wie sich die Panik in mir breit machte.

„Das verstehe ich, aber vielleicht könntest du einen Neuanfang wagen. Es gibt in Wien viele Krankenhäuser, und du könntest eine Stelle finden, die dir gefällt“, schlug Alexander vor. „Es ist eine Chance, etwas Neues zu beginnen, und ich werde an deiner Seite sein.“

Seine Worte klangen verlockend, und ich wollte an die Möglichkeit glauben. Aber die Angst vor dem Unbekannten hielt mich zurück. „Was ist, wenn ich es nicht schaffe? Was ist, wenn ich mich in der neuen Stadt verloren fühle?“

„Das Risiko besteht immer, aber wir können das gemeinsam angehen“, sagte er und nahm meine Hand. „Du bist nicht allein. Ich glaube an dich, und ich werde alles tun, um dir zu helfen, diesen Schritt zu gehen.“

Ich spürte die Wärme seiner Hand und wusste, dass er es ernst meinte. Vielleicht war ein Umzug der Weg, um aus meiner Traurigkeit auszubrechen. Aber der Gedanke daran, meine gewohnte Welt hinter mir zu lassen, ließ mir das Herz schwer werden. Dabei war ich mir doch vor nicht allzu langer Zeit noch so sicher gewesen, hier weg gehen zu müssen.

Bedingungslose LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt