Die Tränen liefen mir weiter unaufhörlich über die Wangen, während Alexander das Auto durch die Straßen steuerte. Die Dunkelheit schien sich um mich zu schließen, und ich fühlte mich verloren in einem Strudel aus Emotionen. „Elena, wir sollten reden“, sagte Alexander sanft, aber ich schüttelte nur den Kopf.
„Was gibt es da schon zu sagen? Ich habe ihn gerade weggestoßen, als hätte er nie einen Platz in meinem Leben gehabt“, murmelte ich, meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich habe ihn verletzt, und das wird niemals wieder gut.“
Alexander hielt kurz an einer Ampel und sah mich an, als wollte er in meine Seele blicken. „Manchmal ist es notwendig, einen Schlussstrich zu ziehen, um Platz für etwas Neues zu schaffen“, sagte er. „Du machst das, um dich selbst zu schützen. Dich und dein Baby. Das ist stark, nicht schwach.“
Ich wollte ihm widersprechen, aber ich spürte, dass er recht hatte. In diesem Moment begriff ich, dass ich nicht nur Stephan, sondern auch Teile von mir selbst loslassen musste. Die Vorstellung, dass ich in einer neuen Stadt neu anfangen könnte, schien gleichzeitig beängstigend und befreiend. Mir gefiel dieser Gedanke immer mehr.
„Ich weiß nicht, ob ich stark genug bin“, gestand ich und sah aus dem Fenster, wo die Lichter der Stadt an uns vorbeizogen. „Was ist, wenn ich es bereue?“
„Das weiß niemand. Aber ich bin da, egal wohin du gehst“, versprach Alexander. Seine Worte waren wie ein Anker in meinem aufgewühlten Herzen. Vielleicht konnte ich diesen Schritt wagen. Vielleicht war das der Beginn von etwas Neuem – auch wenn ich noch nicht wusste, was genau das sein würde.
Ich atmete tief ein, versuchte, die Panik zu vertreiben, die durch mein Herz raste. „Okay“, sagte ich schließlich. Ein kleines Lächeln huschte über Alexanders Gesicht, und ich fühlte einen Hauch von Hoffnung, der durch die Dunkelheit brach. Vielleicht konnte ich die Vergangenheit hinter mir lassen und einen neuen Weg einschlagen – nicht nur für mein Kind, sondern auch für mich selbst. Doch für eine überstürzten Aufbruch war ich nun nicht mehr bereit.
Als wir bei Alexanders Wohnung ankamen, fühlte es sich an, als würde ich in ein anderes Leben eintreten, obwohl ich die letzten zwei Wochen bereits hier verbracht hatte. Er öffnete die Tür und führte mich in den kleinen, gemütlichen Raum, sein Wohnzimmer. Die Wände waren in warmen Farben gestrichen, doch ich konnte die Wärme nicht spüren. Alles, was ich wollte, war, mich in eine Ecke zu verkriechen und die Welt draußen auszublenden.
„Elena, ich mache dir etwas zu essen“, sagte Alexander, doch ich schüttelte nur den Kopf. Ich hatte keinen Hunger, nicht einmal für die kleinsten Dinge. „Ich bin nicht hungrig“, murmelte ich und ließ mich auf das Sofa sinken. Es fühlte sich alles so leer an.
Die Stunden vergingen, und ich saß dort, starrte auf den Boden, während Alexander versuchte, mit mir zu reden. Er brachte mir ein Glas Wasser, das ich nicht anrührte. Stattdessen fühlte ich, wie die Gedanken in meinem Kopf wie ein Sturm wüteten. Erinnerungen an Stephan, an die Ohrfeige, an Melanie, Manuel und das Gift, an die Tränen – alles jagte mir einen Schauer über den Rücken.
„Elena, du musst etwas essen, du kannst nicht einfach so hier sitzen“, bat Alexander erneut, seine Stimme klang besorgt. Aber ich wollte nicht. Ich wollte nicht mehr fühlen, nicht mehr denken. Ich wollte einfach nur verschwinden.
Ich hörte, wie er in der Küche hantierte, das Geräusch von Töpfen und Pfannen drang zu mir durch, doch es war wie das Geräusch aus einer anderen Welt. Ich war in meiner eigenen Dunkelheit gefangen, und alles, was ich tun konnte, war, still zu sein.
Als die Nacht hereinbrach, spürte ich die Einsamkeit umso stärker. Alexander setzte sich schließlich neben mich, legte eine Hand auf meinen Rücken, aber ich fühlte mich wie eine leere Hülle. „Es wird besser, ich verspreche es“, flüsterte er, aber ich konnte ihm nicht glauben. Immerhin wusste er auch nur die Hälfte von dem, was vorgefallen war. Wenn überhaupt.
Die Gedanken über Stephan, über die Entscheidung, ihn loszulassen, nagten an mir. Was, wenn ich einen Fehler gemacht hatte? Was, wenn ich nie wieder das Gefühl von Liebe und Zugehörigkeit erfahren würde? Diese Fragen schwirrten in meinem Kopf, und ich konnte keinen Ausweg finden.
„Ich kann nicht mehr“, murmelte ich schließlich, die Worte kaum hörbar. Alexander zog mich sanft an sich, und ich ließ mich in seine Umarmung fallen. In diesem Moment fühlte ich mich geborgen, aber die Dunkelheit in mir blieb. Ich wusste, dass ich kämpfen musste, aber ich war zu erschöpft, um es zu tun.
Die Nacht verging, und ich blieb in meinem emotionalen Gefängnis gefangen, während die Welt draußen weiterging. Ich wusste, dass ich Hilfe brauchte, aber der erste Schritt fühlte sich unerreichbar an.
Die nächsten Tage zogen sich wie ein endloser grauer Schleier über mein Leben. Ich blieb in Alexanders Wohnung, eingekuschelt in eine Decke, die mir nicht einmal Wärme spenden konnte. Die Welt um mich herum schien zu verschwinden. Alexander versuchte, mich zu ermutigen, mich aufzurichten, aber ich war wie in einen tiefen Schlaf gefangen, aus dem ich nicht aufwachen wollte. Nicht einmal ins Krankenhaus hatte ich es geschafft, die Krankenmeldung hatte ich telefonisch verlängern können, wenn auch nur ausnahmsweise. Als nächstes drohte mir das Beschäftigungsverbot.
Alexander machte mir jeden Tag Frühstück, Mittagessen und Abendessen, doch ich berührte kaum etwas. Manchmal schob ich einen Bissen in meinen Mund, aber der Geschmack war fade und bedeutungslos. Es war, als hätte ich die Freude am Essen und Trinken verloren, als wäre jede Nahrung nur ein weiterer Reminder für die Leere, die ich fühlte.
Alexander blieb geduldig. Er setzte sich oft zu mir, sprach leise und versuchte, mich in Gespräche zu verwickeln. Doch ich hörte nicht zu. Meine Gedanken kreisten unaufhörlich um Stephan und die Entscheidung, die ich getroffen hatte. Was wäre, wenn ich ihn nicht hätte gehen lassen sollen? Was, wenn ich für immer allein blieb?
Die Tage vergingen, und ich zählte sie nicht mehr. Die Sonne kam und ging, und ich blickte nicht einmal aus dem Fenster. Ich ignorierte alle Anrufe, von Kollegen, die sich sorgten, und ließ mich in meinem emotionalen Rückzug treiben. Nur die Stille begleitete mich, und manchmal, in den stillen Momenten, überkam mich die Welle der Traurigkeit erneut, und ich konnte nur weinen. Und jedes Mal war Alexander da, um mich zu trösten.
Eines Nachts, als die Dunkelheit über die Stadt fiel, saß ich auf dem Sofa, die Decke um mich geschlungen, und hörte Alexanders gedämpfte Stimme aus der Küche. Er hatte versucht, etwas zu kochen, und ich konnte ihn hören, wie er leise vor sich hin murmelte. Plötzlich überkam mich ein Gefühl der Schuld. Ich wusste, dass ich ihn belastete.
„Elena, kannst du mir bitte helfen?“, rief er nach einer Weile. Ich zögerte, aber schließlich stand ich auf und ging in die Küche. Als ich ihn sah, wie er sich bemühte, das Essen zuzubereiten, fühlte ich einen kleinen Funken von etwas – vielleicht Mitgefühl oder Dankbarkeit. Er hatte sich um mich gekümmert, während ich in meiner Trauer gefangen war.
„Es tut mir leid“, flüsterte ich, als ich neben ihm stand. „Ich müsste mich zusammenreißen, aber... Ich kann's nicht.“
„Es ist okay, du musst dich nicht entschuldigen“, antwortete Alexander sanft. „Ich bin hier für dich, egal wie lange es dauert.“ Und das war er. Wir hatten uns doch vorgenommen, die Tage in Wien zu verbringen, dafür hatte Alexander sich extra frei genommen. Stattdessen hausten wir weiterhin hier in dieser kleinen Wohnung, ohne, dass ich etwas für diese Gemeinschaft beitrug. Alexander war derjenige, der alles einigermaßen am Laufen hielt.
Ich sah ihm in die Augen, und für einen kurzen Moment fühlte ich mich nicht ganz so verloren. Vielleicht konnte ich einen Schritt zurück ins Leben wagen. Vielleicht musste ich nicht alles allein tragen. Doch der Gedanke an Stephan überkam mich erneut, und ich wandte mich hastig ab, um die Tränen zurückzuhalten.
„Ich… ich muss nachdenken“, murmelte ich und ging zurück ins Wohnzimmer. Das Gefühl der Hoffnung schien wieder zu verblassen, und ich sank wieder in die Dunkelheit zurück.
Die Tage vergingen weiter, und ich fühlte mich gefangen in einem Labyrinth aus Trauer und Schmerz. Die Welt um mich herum schien weiterzugehen, während ich in meiner eigenen Stille gefangen war.