Kapitel 1

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Wir schwiegen und mein Lebensgefährte bretterte die kurvigen Straßen entlang. Ich wusste bereits jetzt schon, was mir zu Hause blühte. Er hatte die Beförderung trotz aller Bemühungen nicht bekommen und das würde er an mir auslassen. Ich hatte ihn wie immer von der Arbeit abholen wollen. Nur als er raus gekommen war, hatte ich bereits an seinem Gesichtsausdruck gesehen das etwas nicht stimmte. Und dann hatte er darauf bestanden zu fahren, weshalb ich jetzt auf dem Beifahrersitz saß und zu Gott betete, dass er heute nicht allzu grob mit mir umging. Aber das war zwecklos, das wusste ich inzwischen. Er hatte mich gerade schon angeschrien, als ich ihn gefragt hatte was passiert war. Und dabei gab es etwas, was ich ihm erzählen musste. Aber ich bezweifelte, dass er sich genauso freuen würde wie ich es tat. Ich hatte für ihn meine erst vor kurzem angetretene Stelle als Assistenzärztin aufgeben müssen, hatte den Kontakt zu meiner Familie abbrechen müssen und ich wusste wie er zu Kindern stand. Und als ich heute diesen Test gemacht hatte, der positiv ausgefallen war, hatte ich erst Angst gehabt. Aber einen Funken Hoffnung hatte ich mir bewahrt. Vielleicht würde er sich doch freuen, auf unser Kind. Auf unser erstes gemeinsames Kind. Vielleicht würde er dann endlich wieder zur Vernunft kommen, ein Vater sein. Doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass das Wunschdenken war. Er würde sich nicht freuen. Er hatte mir unmissverständlich klar gemacht, dass er keine Kinder wollte. Und ich hatte auch immer darauf geachtet zu verhüten. Allerdings hatte ich letztens etwas falsches gegessen, mich kurz nach der Einnahme der Pille übergeben müssen und somit war der Schutz dahin gewesen. Ich hatte es ihm auch gesagt, aber er hatte mir wie so oft nicht zugehört und mich regelrecht gezwungen mit ihm zu schlafen. Auch das mit einer ziemlichen Gewalt und wahrscheinlich wäre jede andere Frau längst über alle Berge. Nur liebte ich ihn und ich hoffte, dass er wieder normal werden würde. Allerdings ging das bereits seit einigen Monaten so und wahrscheinlich würde es noch schlimmer werden. Jedoch wusste ich auch, dass er mich nicht so einfach gehen lassen würde. Er parkte nach ungefähr dreißig Minuten vor unserem Haus, das wir vor ungefähr einem Jahr bezogen hatten. Er hatte es in der Stadt, in der wir vorher gelebt hatten, nicht mehr ausgehalten. Deshalb waren wir jetzt hierher gezogen, ein bisschen abseits in der Nähe eines Waldstücks. Keine Nachbarn in unmittelbarer Nähe. Und deshalb hatte ich meinen Job und meine Familie zurück gelassen. Ich kannte mich hier kaum aus, da ich meistens im Haus war und Arbeiten verrichtete. Wenn er nach Hause kam und es war nicht alles erledigt, wurde er ziemlich wütend. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass wir hierher ziehen. Aber er hatte es bestimmt. Nun lebte ich hier, fast abgeschnitten von der Zivilisation, mit ihm allein. Inzwischen ein Gedanke, der mir Angst machte. Denn hier bekam keiner etwas mit. Mir war es von Anfang an komisch vorgekommen, dass er in seiner neuen Firma gleich Aussicht auf eine Beförderung bekommen hatte. Seitdem war er extrem reizbar. Er machte kaum noch Pause, arbeitete Nächte durch und jetzt war alles umsonst gewesen. Das würde er mich jetzt spüren lassen, wie immer wenn er gestresst war. Das hatte ich mittlerweile im Gefühl. Wir stiegen beide aus dem Auto aus und ich folgte ihm ins Haus. Noch war er ruhig, irgendwie nachdenklich. Vielleicht war meine Panik nicht gerechtfertigt, weshalb ich mich traute ihn anzusprechen. "Möchtest du etwas essen?", fragte ich vorsichtig und hob seine Jacke auf, die er einfach auf den Boden geworfen hatte. "Wäre nicht schlecht.", antwortete er unerwartet gelassen. "Dann setz dich hin, ich koche dir was.", meinte ich und er drehte sich zu mir um. Er kam mit schnellen Schritten auf mich zu und ich bereitete mich schon mal auf eine Abreibung vor. Ich drehte blitzartig den Kopf weg, kniff die Augen fest zu und wartete auf eine Ohrfeige oder ähnliches. Aber er war vor mir stehen geblieben, packte mich am Kinn und ich war gezwungen ihn anzusehen. Er hielt mich nicht so grob fest wie er es die letzten Monate immer getan hatte, diesen Griff konnte man schon fast als sanft bezeichnen. Ich spürte den Druck seiner Hand, aber es tat nicht so weh wie ich erwartet hatte. "Braves Mädchen.", sagte er und drückte seine Lippen auf meine.Ich hätte ihn am liebsten weg gestoßen, denn ich konnte diese Nähe zu ihm im Moment kaum ertragen. Aber alles war besser als wieder Prügel einzustecken, weshalb ich ihn machen ließ. Diesen wenig liebevollen Kuss erwiderte ich nicht, aber davon ließ er sich nicht beirren. Es war eine Art Macht, mit der er mich kontrollieren konnte. Genau wie die Gewalt mir gegenüber. Ich wusste, dass er mich als seinen Besitz ansah. Ich gehörte ihm und das wollte er mir klar machen. Mehrmals täglich. Und dabei wollte ich einfach nur meinen alten Freund zurück, in den ich mich damals verliebt hatte. Jedoch war von ihm fast nichts mehr übrig. Er hatte sich grundlegend verändert und ich konnte dagegen nichts ausrichten. Ich konnte es nur hinnehmen. Ich glaubte sogar, dass ich das hinnehmen musste. Schließlich waren wir seit fast einem Jahr verlobt. Den Antrag hatte er mir gemacht, bevor er zum ersten Mal die Hand gegen mich erhoben hatte. Damals hatte ich geglaubt es wäre eine einmalige Sache gewesen, heute wusste ich das ich zu gutgläubig gewesen war. Ich war froh, als er mich endlich los ließ. "Ich beeil mich mit dem Essen.", meinte ich und ging in die Küche. Dorthin folgte er mir eigentlich nie, aber heute war es anders. Ich hatte gerade die ersten Töpfe auf den Herd gestellt, als er plötzlich hinter mir stand und die Arme um mich legte. Ich zuckte zusammen. "Du könntest mir auch anders behilflich sein.", raunte er mir ins Ohr und fuhr mit der Hand unter mein T-Shirt. Er tat das ausgerechnet jetzt, wo ich den Schwangerschaftstest noch einstecken hatte, den ich dort eigentlich hatte vor ihm verstecken wollen. Deshalb schob ich seine Hand weg, die meiner Hosentasche gefährlich nahe kam. "Lass das bitte.", bat ich ihn. Aber das interessierte ihn nicht wirklich, weshalb ich versuchte mich aus seinen Armen zu befreien. "Hör auf!", knurrte er genervt und machte ungeniert weiter. Und dann geschah das, was ich schon befürchtet hatte. Er ertastete den Gegenstand in meiner Hosentasche. "Was ist das?", fragte er und ich versuchte noch zu verhindern das er den Test heraus zog. "Was hast du da, zeig mir das!", verlangte er und gegen ihn hatte ich keine Chance. Er bekam den Test in die Finger."Ein Schwangerschaftstest?!", stellte er entsetzt fest. "Ich.. ich kann dir das erklären!", stammelte ich und machte mich schon mal bereit zur Küchentür hinaus zu rennen. "Ist der positiv?!", fragte er ohne auf meine Worte zu achten. "Bist du schwanger?!" Das er so reagierte hatte ich geahnt. "Ja.", antwortete ich heißer. "Was?!" Ich musste es nochmal wiederholen. "Ja, bin ich.", sagte ich diesmal etwas verständlicher. "Ich glaub das nicht!", schrie er und schleuderte den Test durch die Luft. Anschließend folgte ein Topf, den er vor Wut gegen die Wand warf. Ich fuhr zusammen und konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken. Er baute sich vor mir auf. "Wie kann das sein?! Wir haben verhütet, aber anscheinend bist du selbst dazu zu dumm!" Ich begann zu weinen und hätte mich am liebsten in Sicherheit gebracht. Aber Sicherheit gab es hier nicht. Und wenn ich jetzt los rennen würde, würde er mich wie das letzte Mal auch nach ein paar Schritten eingeholt haben und nur noch aggressiver sein. "Es tut mir leid!", schluchzte ich. "Ich weiß, dass du keine Kinder wolltest. Aber.. Aber wir könnten es doch versuchen, mh?", fragte ich vorsichtig. "Du und ich, wir zwei und das Kleine.. wir könnten eine Familie werden.", meinte ich, um ihn vielleicht davon zu überzeugen. Ich ihn berühren, aber er schlug meine Hand weg. "Eine Familie?! Wir haben nicht das Geld für einen Schreihals!", schrie er mich an. "Ich hab dir gesagt, dass ich das nicht will und deshalb solltest du auch dafür sorgen das es nicht so weit kommt!" Ich wich ein wenig zurück. "Es reicht schon, dass ich dich durchfüttern muss! Ein Balg lasse ich mir bestimmt nicht auch noch aufbinden!" Ich musste nun einfach dagegen abgehen, ihn irgendwie zur Vernunft bringen. "Ich würde arbeiten gehen, aber du verbietest es mir doch!", hielt ich ihm vor. Es war das erste Mal, dass ich ihm Contra gab und das gefiel ihm gar nicht. "Halt die Klappe!", ging er mich an. "Du wirst das in Ordnung bringen, wir kriegen kein Kind!" Was er von mir verlangte war eindeutig.Aber mir war klar, dass ich das nicht tun würde. Ich verspürte plötzlich den Mut, mich zu wehren. Das erste Mal traute ich mich den Mund auf zu machen. Muttergefühle? Ich wusste es nicht. "Nein!", sagte ich entschlossen. "Nein?!", wiederholte er ungläubig. "Hast du mir gerade widersprochen?!", schrie er. "Allerdings!", schrie ich zurück. "Ich werde das Kind behalten!", stellte ich klar. "Und es ist mir egal, ob du das willst oder nicht! Entweder du akzeptierst es oder ich gehe!" Das ich das jemals sagen würde hätte ich die letzten Monate nie geglaubt. Dafür war meine Angst zu groß gewesen. Aber jetzt war es einfach so über meine Lippen gekommen und ich sollte es bereuen. "Du willst gehen?!", schrie er. "Du willst gehen?! Du gehst nirgendwo hin!" Er holte aus und ich konnte mich gerade noch ducken. "Nein!", rief ich vor Angst und rannte aus der Küche. "Bleib hier!" Jedoch rannte ich zur Haustür und wollte mich ins Freie retten. Es war noch stärker wie sonst eskaliert und wenn er mich jetzt in die Finger bekam, würde er mich diesmal richtig packen. Das war einfach Intuition. Und ich war nicht mehr nur für mich verantwortlich, sondern auch für das kleine Wesen das in mir heranwachsen wollte. Aber ich hatte keine Chance. Nach ein paar Metern holte er mich ein und packte mich
grob am Arm. Beinahe fiel ich hin. "Zurück ins Haus mit dir!" Ich schrie, aber das mich jemand hörte war unwahrscheinlich. Da es ihm offenbar zu anstrengend war mich hinterher zu ziehen, hob er mich hoch und schleppte mich zurück ins Haus. Dort warf er mich regelrecht auf den Boden im Flur. Ich krabbelte rückwärts, während er noch damit beschäftigt war die Tür zu schließen. Er drehte den Schlüssel um und steckte ihn ein. Ich saß in der Falle. Dann kam er auf mich zu, in seinen Augen konnte ich die Wut und den Hass erkennen.Er kam immer näher. "Nicht!", schluchzte ich. "Bitte, bitte nicht!" Aber er grinste nur hämisch, als hätte er Spaß daran mich zu verletzen und trat einmal kräftig zu. Eins.. zwei.. drei.. zählte ich die Tritte stumm mit und versuchte meinen Bauch und das darin befindliche Ungeborene zu schützen. Vergeblich. Denn dieser Bereich meines Körpers schien sein Hauptziel zu sein. Mein Weinen und Flehen ließ ihn kalt. Er hörte so schnell nicht mehr auf. Immer wenn ich aufstehen wollte, trat er mich wieder zu Boden. Als ich es schließlich geschafft hatte, schlug er mit den Fäusten auf mich ein. Irgendwann blieb ich liehen und ließ es über mich ergehen. Hörte auf zu schreien. Anscheinend verlor er daraufhin den Spaß, den er kurz davor noch empfunden hatte und hörte endlich auf mit den Misshandlungen. "Du gehst nirgendwo hin, das schwör ich dir! Und selbst wenn würde ich dich nie in Ruhe lassen! Versuchst du nochmal abzuhauen bring ich dich um! Reißt du noch einmal deine Klappe auf bring ich dich um!", drohte er mir an. "Und das Kind lassen wir weg machen, gleich Morgen am besten!" Ich unterdrückte angestrengt das Schluchzen. "Jetzt beweg dich in die Küche, ich hab Hunger!" Und dann setzte er sich auf die Couch, als wäre nie etwas passiert. Ich blieb noch kurz zusammen gekauert neben dem Wohnzimmertisch liegen. Ich war vorhin ins Wohnzimmer gerannt, wo er einfach weiter gemacht hatte. Und war beim Hinfallen mit der Stirn gegen die Ecke des Tisches geknallt. Überall an mir klebte Blut, zumindest fühlte es sich so an. Langsam setzte ich mich auf. Mir tat alles weh und ich bekam nur ganz schwer Luft. Hundertprozentig hatte er mir ein paar Rippen verletzt. Und eine Gehirnerschütterung hatte ich sicherlich auch. Aber ich sagte nichts und versuchte die Schmerzen zu ignorieren. Ich zog mich am Tisch hoch und hielt mir den Bauch. Das kleine, wehrlose Geschöpf in mir konnte das nicht überlebt haben. Zumindest war es unwahrscheinlich. "Jetzt geh schon oder muss ich dir Beine machen?! Und pass auf, dass du nicht den ganzen Boden voll blutest! Das kannst du später alles weg putzen!" Ich begab mich also mit langsamen Schritten zurück in die Küche.Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, aber das interessierte ihn nicht. Und ich durfte jetzt auf keinen Fall zusammenbrechen, denn er würde mir nicht helfen. Ich wusste, dass ich ziemlich schwer verletzt war. Aber im Moment gab es kein Entkommen. Ich hinterließ eine Blutspur bis in die Küche, da mir laufend Blut aus der Nase oder aus der Wunde an meiner Stirn tropfte. Ich räumte die Küche auf und machte dann das Essen. Nachdem ich es in den Ofen geschoben hatte, quälte ich mich ins Badezimmer. Dort befand sich der Schrank mit Verbandszeug und Medikamenten. Ich machte die sichtbaren Wunden sauber und versorgte sie mit Pflastern. Eigentlich müsste die Platzwunde genäht werden, aber ins Krankenhaus würde er mich nicht bringen. Da ich Ärztin war konnte ich die Diagnosen überwiegend selbst stellen. Rippenprellungen, Gehirnerschütterung und spätestens Morgen würden sich sicherlich unzählige Hämatome ausgebildet haben. Ich sah mich im Spiegel an und mir wurde nur noch schlechter als ohnehin schon. Dann legte ich mir eine Hand auf den Bauch und strich vorsichtig darüber. Selbst das tat weh. Heiße Tränen bahnten sich den Weg über meine Wangen und die salzige Flüssigkeit brannte in den Wunden. Ich schluchzte auf. Diese Ungewissheit, ob das Kleine noch lebte, war unerträglich. Ich hatte die Schwangerschaft erst vor ein paar Stunden festgestellt und trotzdem fühlte ich bereits so viel Liebe für dieses Kind, das für alles nichts konnte. Die Umstände, unter denen es gezeugt worden war, waren grauenhaft. Dennoch konnte es doch wirklich nichts für all das hier und hatte höchstwahrscheinlich mit seinem kurzweiligen Leben bezahlen müssen. Mir wurde plötzlich so schlecht, dass ich mich übergeben musste. Als das überstanden war, ging ich ins Schlafzimmer und zog mich um. Ich durfte auf keinen Fall länger aus der Küche fernbleiben als notwendig, weshalb ich mich dann wieder dem Essen widmete, das ich ihm eine Stunde später vorsetzte. Einen Entschluss hatte ich aber gefasst. Ich würde fliehen, noch heute.

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