Kapitel 15

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Am nächsten Morgen wachte ich total durch gefroren und mit Kopfschmerzen auf. Vielleicht hätte ich nach meinem Lauf im Regen doch noch heiß duschen gehen sollen, aber dazu war ich gestern einfach nicht mehr fähig gewesen. Ich überlegte auch kurz, ob ich nicht lieber zu Hause bleiben sollte, entschied mich dann aber dagegen. Ich brauchte die Ablenkung auf der Arbeit, ansonsten würde ich wohl den ganzen Tag damit verbringen zu heulen.
Die Entscheidung aufzustehen nahm mir mein Baby außerdem  ab, da mir plötzlich total schlecht wurde. Ich rannte also ins Bad, um mich dort zu übergeben. Vielleicht lag es auch an den Kopfschmerzen, genau konnte ich das gerade nicht sagen. Jedenfalls ging es mir alles andere als gut, sowohl psychisch als auch physisch. Trotzdem wollte ich ins Krankenhaus fahren und mir ging es kurz darauf auch wieder besser, sodass ich duschen gehen konnte. Anschließend zog ich die erstbesten Klamotten an, die ich finden konnte und ging erneut ins Bad um mich komplett fertig zu machen. Meine Augen waren total geschwollen und mein Gesicht war unbeschreiblich blass.
Der gestrige Abend war wider erwarten in einem Desaster geendet und als ich an Stephan dachte, kamen mir augenblicklich wieder die Tränen. Früher als notwendig verließ ich an diesem Morgen meine Wohnung, da ich es mit meinen Gedanken alleine einfach nicht mehr aus hier.
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Derweil hatte Stephan die Nacht im Krankenhaus verbracht. Melanie war irgendwann eingeschlafen, worüber Stephan sehr froh gewesen war. Das hatte ihm die nötige Zeit zum Nachdenken verschafft. Wenigstens hatten das Personal ihm erlaubt die Nacht über im Krankenhaus zu bleiben, was absolute Ausnahme gewesen war. Da er allerdings nicht geschlafen hatte, war Stephan dementsprechend müde, weshalb er nun dringend einen Kaffee brauchte.
So leise wie möglich verließ er deshalb das Zimmer und schlich den Flur entlang. Er traf auf eine Schwester, die bereit war ihm im Schwesternzimmer einen Kaffee zuzubereiten.
"Entschuldigung, eine Frage hätte ich noch.", meinte Stephan, nachdem die Schwester ihm eine Tasse überreicht und er sich bedankt hatte. "Gerne.", meinte die Schwester und wandte sich nochmal um. "Wann beginnt die Schicht für die Ärzte hier im Haus?", wollte Stephan wissen. "Puh.. das kann ich ihnen leider pauschal nicht sagen. Das ist von Station zu Station und von Arzt zu Arzt verschieden.", meinte sie. "Schade.", antwortete Stephan. "Aber trotzdem danke." Die Krankenschwester lächelte und Stephan ebenfalls, ehe er sich dann auf den Rückweg zu Melanies Zimmer machte. Er würde Elena schon irgendwie abfangen können, das musste einfach klappen.
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Für den Weg zum Krankenhaus brauchte ich ziemlich lange, auch deshalb, weil ich gewissen Umwege fuhr. Ich wollte dort nicht hin, dorthin wo es passiert war. Es fühlte sich schrecklich an, dieser Verrat. Noch schlimmer als jeder Schlag, den mein Ex-Freund mir verpasst hatte. Schlimmer als zu der Zeit, als Kai mich gezwungen hatte mit ihm zu schlafen. Verrat, das war einfach das richtige Wort für das was Stephan abgezogen hatte. Aber ich musste arbeiten und etwas tun, was mich auf andere Gedanken brachte. Mit in den OP gehen, um zu lernen und mich um meine Patienten kümmern. Ich musste das tun, solange ich es noch konnte.
Wenn das Baby erstmal auf der Welt war, musste ich schauen wie ich klar kam. Ganz allein, so wie es aussah. Meine Familie war schließlich kilometerweit entfernt und einen Typen wollte ich definitiv nicht mehr. Stephan wäre der einzige gewesen, aber auch von ihm war ich enttäuscht worden und ich hatte es satt.
Ich parkte auf einem freien Parkplatz für Mitarbeiter und schnappte mir alles, was ich für heute brauchte. Danach stieg ich aus und ging ins Gebäude. Mein erstes Ziel war die Umkleide. Dort war zum Glück niemand und ich konnte mich fertig machen, ohne das mich jemand störte. Ich konnte mir Zeit lassen, runter kommen, mich sammeln. Ich musste Patienten versorgen und musste demnach vollends bei Verstand sein. Ein Fehler und ich konnte jemandem ernsthaft schaden. Nur war es schwer Stephan aus dem Kopf zu kriegen. Unmöglich fast, aber letztendlich schaffte ich es wenigstens teilweise, sodass ich mich auf Station begeben konnte. Stephan wollte ich einfach nie wieder sehen.
Nachdem ich fertig umgezogen war, verließ ich die Umkleide und verschaffte mir einen Überblick über meine Aufgaben des heutigen Tages. Wenigstens waren ein paar OPs dabei, bei denen ich assistieren durfte, das würde mich hoffentlich ein wenig ablenken. Ansonsten kümmerte ich mich um die Patienten und versorgte deren Wunden oder nahm Blut ab. Meinen Kollegen, die mich bereits gefragt hatten ob alles in Ordnung sei, konnte ich so wenigstens aus dem Weg gehen.
Gerade als ich vom Labor zurück auf Station kam, hörte ich plötzlich eine mir nur allzu bekannte Stimme. "Entschuldigung, ich suche Ele.. ähm.. Frau Doktor Nowak. Ist sie schon da?" Ich sah Stephan im Gang stehen und mit einer Krankenschwester reden. "Die Frau Doktor ist kurz mal ins Labor, müsste aber gleich wieder da sein, wenn sie warten möchten.", meinte diese und Stephan nickte.
Leider drehte er sich genau in diesem Moment um und entdeckte mich neben der Tür, die auf die Station führte. Genau durch diese Tür, durch die ich einige Sekunden zuvor herein gekommen war, ging ich jetzt wieder hinaus und lief eilig zur Tür die zum Treppenhaus führte. "Elena!", hörte ich Stephan hinter mir rufen, doch ich dachte gar nicht daran stehen zu bleiben.
Leider hatte er gesehen, wohin ich gegangen war und folgte mir nun durchs Treppenhaus. Ich eilte jedoch die Treppen Stockwerk für Stockwerk hinunter, ohne auch nur einmal anzuhalten. "Elena, jetzt warte bitte!", rief Stephan mir nach, der ebenfalls hörbar die Treppen hinunter rannte.
Ich dachte nicht, das er mich einholen würde, doch kurz bevor ich den Raum erreichte wo ich mich hätte verbarrikadieren können, fing er mich ein und hielt mich fest. Ich versuchte sofort, mich wieder zu befreien, aber Stephan hatte eindeutig mehr Kraft als ich und als Polizist beherrschte er gewisse Griffe die es mir unmöglich machten zu entkommen.
"Lass mich los!", rief ich aufgebracht und hoffte das mich irgendjemand hörte. Aber wir waren hier unten wahrscheinlich alleine. "Stephan, du sollst mich loslassen!", forderte ich noch einmal. "Erst wenn du mir zuhörst!", stellte er klar. "Nein!", antwortete ich wütend. "Lass mich in Ruhe, ich will dich nie wieder sehen!"
Doch Stephan hob mich mit Leichtigkeit über die Schulter und trug mich bis zur nächsten Tür. Dahinter befand sich eine Art Lager. Ich zappelte und schrie, aber das war sinnlos. Kaum waren wir in dem Raum schloss Stephan die Tür und ließ mich dann endlich runter.
"Wir müssen reden!", stellte er klar. "Wolltest du das nicht gestern schon?!", erinnerte ich ihn. "Und ich war so blöd und hab dir alles geglaubt, dabei wolltest du mich nur flach legen! Oder warum hast du mich gestern sitzen lassen, hm?! Warum hast du dich nicht mehr gemeldet?! Nur aus diesem Grund, ist es nicht so?! Ne schnelle Nummer und mehr war es nicht, gib es einfach zu!"
Stephan packte mich und drückte mich mit zärtlicher Gewalt gegen die Wand. Entkommen war unmöglich und zusätzlich hielt er mir mit einer Hand den Mund zu. "Wie soll ich dir erklären was los ist, wenn du mir nicht die Chance dazu lässt und ununterbrochen redest?! Es ist nicht so wie du denkst, Elena! Wirklich!", beteuerte Stephan und nahm die Hand von meinem Gesicht weg.
Wieder standen wir uns gegenüber, genau wie gestern im Ärztezimmer, als er auf unser Gespräch bestanden hatte. Nur heute klang er viel verzweifelter. Ich schubste ihn von mir weg.
"Dann sprich!", knurrte ich. "Aber egal was du sagst, es wird nichts daran ändern, dass ich furchtbar enttäuscht von dir bin!", stellte ich klar. "Du hast mich sitzen lassen!" Mir kamen die Tränen. "Du hast mich im Restaurant sitzen lassen, in das du mich bestellt hast! Wir haben miteinander geschlafen und du hast es nicht einmal für nötig gehalten mir abzusagen! Du hast mich nicht zurückgerufen, obwohl ich unzählige Male versucht habe, dich zu erreichen! Ich saß da in diesem Lokal, stundenlang und du bist nicht aufgetaucht! Der Kellner hat mich sogar mit Eis versorgt, weil ich offenbar so erbärmlich ausgesehen haben muss, weil der Mann der mich eingeladen hat einfach nicht aufgetaucht ist!"
Stephan ließ mich tatsächlich aussprechen, ehe er anfing zu reden. "Es tut mir leid!", beteuerte er. "Es tut dir leid?!", wiederholte ich wütend. "Mehr hast du dazu nicht zu sagen außer das?! Originell!", spottete ich. "Elena bitte, ich.." Stephan brach kurz ab, um nach den richtigen Worten zu suchen. Allerdings gab es die meiner Meinung nach nicht. "Was, Stephan?! Du willst es mir erklären, dann tu es!", forderte ich ihn auf. "Oder versuch es zumindest!", fügte ich hinzu. "Es ist gestern noch einiges passiert.", begann Stephan. "Und danach war ich die ganze Nacht hier und.. ich bin müde, Elena. Wirklich verdammt müde, also lass uns bitte nicht streiten. Das halte ich nach alledem wirklich nicht auch aus!" Er fuhr sich nervös durch die Haare und langsam bekam ich wirklich Angst.
Was konnte nur passiert sein, dass er jetzt so mit dem Nerven am Ende vor mir stand? Hatte ich ihm doch Unrecht getan, indem ich ihn gleich so angegangen war? "Du hast fünf Minuten!", sagte ich genau wie gestern. "Also los, die Zeit läuft.", stellte ich klar, da er ewig nicht anfing zu erzählen.
"Ich musste Melanie gestern her bringen.", begann er zögerlich und mir war klar das dies nichts gutes bedeuten konnte, ließ mir jedoch nichts anmerken. Ich schwieg und wartete ab, was noch kommen würde. "Wir haben uns gestern gestritten und.. daraufhin ist sie zusammen gebrochen." Man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel darüber zu sprechen. "Okay, sonst noch was?", fragte ich kalt, obwohl ich Stephan tatsächlich lieber in den Arm genommen hätte.
"Mehr hast du dazu nicht zu sagen?", stellte er eine Gegenfrage. "Was soll ich denn sagen, Stephan?" Er fuhr sich abermals durch die Haare. "Irgendetwas, Hauptsache du bist nicht so abweisend mir gegenüber. Das ertrage ich nicht, nicht heute.", meinte er. "Ich habe dir eine Chance gegeben und du hast es verbockt. Du hättest mich auch anrufen können, wenn es wirklich so dringlich gewesen wäre. Ich bin es leid.. ständig werde ich von Männern behandelt wie ein Stück Dreck! Wenn du.."
Stephan unterbrach mich einfach. "Elena, Melanie hätte fast das Kind verloren!", offenbarte er mir nun. "Und anrufen konnte ich dich nicht, weil sie mein Handy zerstört hat! Sie hat das mit dir raus gefunden und ist deshalb durchgedreht, dadurch hat sie fast eine Fehlgeburt erlitten!"
Stephan hatte Tränen in den Augen und nun hatte ich noch mehr Mitleid mit ihm als vorher. "Es tut mir leid, das habe ich nicht gewusst." Da ich selbst schon um das Leben meines Kindes hatte bangen müssen, konnte ich mich gut in die Lage von Stephan und vor allem in die von Melanie hinein versetzen. Auch sie tat mir leid.
"Woher hättest du das auch wissen sollen? Eigentlich dürfte ich dich damit ja nicht belasten, aber ich weiß nicht mit wem ich sonst darüber reden kann.", erklärte Stephan mir verzweifelt. "Du belastest mich damit nicht.", antwortete ich ehrlich. "Es ist besser zu verkraften, wenn man drüber spricht." Das wusste ich aus eigener Erfahrung und da er in dieser Situation für mich da gewesen war, wollte ich das nun ebenfalls für ihn sein. Egal was zwischen uns vorgefallen war, gerade war das Nebensache.
"Ich hab wirklich kurz überlegt, wie es wäre wenn ich mich komplett von Melanie distanzieren würde. Aber.. nachdem es jetzt nicht gut um das Kind steht, welches meins sein könnte.. Elena, ich kann es nicht!" Instinktiv musste ich ihn jetzt einfach in den Arm nehmen und erkannte, dass wir beide uns in gewisser Weise wie Idioten verhalten hatten.
Stephan, weil er mir Hoffnungen auf mehr als nur Freundschaft gemacht hatte. Und ich mich, weil ich nur an mich gedacht hatte. "Es tut mir alles so leid!", flüsterte ich. Ein Teil von mir war nach wie vor sauer und das mehr als zuvor, aber ich konnte Stephan jetzt einfach nicht nochmal anschreien. Er hatte diese Frau schließlich einmal geliebt und tat es offenbar trotz allem noch und solange die Möglichkeit bestand, dass es sein Kind war, würde er sich auch zwangsläufig dafür entscheiden. Für das Baby und Melanie, dagegen hatte ich keine Chance. Und er war mir zu wichtig geworden, weshalb ich ihn jetzt einfach trösten musste.
Zwar gab es da etwas zwischen uns und das konnten wir beide nicht leugnen, dennoch hatte er eine große Verantwortung für Melanie und sein vermeintliches, ungeborenes Kind. "Wenn ich euch irgendwie helfen kann, dann sag es." Wir lösten uns voneinander und Stephan legte mir seine Hände auf die Schultern, so konnten wir uns direkt in die Augen sehen.
"Geh nicht weg von hier!", bat er mich. "Egal wie sauer du jetzt auf mich bist.. Ich weiß, du kommst nicht von hier und bestimmt möchtest du nur ungern in meiner Nähe bleiben.. Aber bitte, Elena, bleib!" Ich fragte mich, warum er glaubte, ich würde von hier weggehen wollen. Wahrscheinlich weil er glaubte, dass ich verletzt war. Das war ich auch, zutiefst, aber trotzdem wollte ich ihm helfen. "Natürlich bleibe ich.", versprach ich ihm daraufhin. "Ich hab hier jetzt schließlich einen Job und eine Wohnung, so schnell verlasse ich Köln nicht mehr." Völlig überraschend gab er mir daraufhin einen Kuss auf die Stirn.
Ich ertappte mich dabei, wie ich gerade dabei war, es zu genießen. Aber das durfte ich nicht. Zum Glück ging dann genau in diesem Augenblick mein Pieper und Stephan musste sich von mir lösen. Ich warf einen Blick auf das kleine Gerät, welches ich bereits aus meiner Kitteltasche geholt hatte. "Die Arbeit ruft.", meinte ich und wandte mich schon zum gehen. Jedoch hielt Stephan mich nochmal am Arm fest.
"Wir sehen uns doch wirklich wieder, oder?", fragte er mich. "Du solltest jetzt erstmal nach Melanie sehen, bevor du dir über mich Gedanken machst." Das klang berechnender, als eigentlich gewollt. Ich hatte ihm zwar meine Hilfe angeboten, aber war mir plötzlich doch nicht mehr so sicher, ob ich das konnte. Meine Gefühle waren im Moment viel zu chaotisch, um ihm auf seine Frage eine eindeutige Antwort zu geben.
"Mach's gut, Stephan.", sagte ich, entzog ihm meinen Arm und ging zur Tür hinaus.

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