Während Stephan und Sabine noch länger in der Küche beisammen saßen, war Manuel inzwischen dort angekommen wo er hin gewollt hatte. Aber nicht bei dem Stammlokal seiner Kumpels, sondern in einer komplett anderen Gegend. Genauer gesagt stand er nun vor dem Haus, in dem Stephan gemeinsam mit Melanie gewohnt hatte. Ein Wohnhaus mit mehreren Parteien war es und Melanie musste zu Hause sein, denn ihr Auto stand hier.
Also stieg Manuel aus, ging zur Haustür und klingelte. Es summte und Manuel konnte die Tür daraufhin öffnen. Er lief nach oben in den dritten Stock, wo Melanie wartete. "Du?", fragte sie. "Ich hab mit Stephan gerechnet und nicht mit seinem Brüderchen.", meinte Melanie belustigt. "Wir müssen reden!", stellte Manuel klar und ging einfach an der Frau vorbei in die Wohnung. Melanie schüttelte nur lachend den Kopf und schloss die Wohnungstür hinter sich. Sie wusste genau, was Manuel mit ihr zu bereden hatte.
Nun platzte es einfach so aus Manuel heraus. "Du bist schwanger?!", rief er aufgebracht. "Du bist schwanger und sagst mir nichts?! Und dann legst du so einen Auftritt hin, fast ein halbes Jahr später?!" Melanie ließ Manuel sich einfach beschweren und wartete bis er von selbst verstummte. "Fertig?", fragte sie. "Was soll der Blödsinn, Melanie?! Du weißt genauso gut wie ich, dass dieses Kind auch von mir sein könnte, der Zeitpunkt passt!"
Manuel war total durcheinander. "Erstens passt der Zeitpunkt überhaupt nicht und zweitens haben wir verhütet, auch wenn wir ziemlich betrunken waren.", erinnerte Melanie Manuel, ihren einstigen One-Night-Stand.
Es war vor der Sache mit dem anderen Mann geschehen, als Stephan auf Fortbildung in einer weiter entfernt liegenden Stadt gewesen war. Melanie und Manuel hatten sich in Melanies und Stephans Wohnung getroffen, da Melanie Hilfe beim Aufbau einiger neuer Möbel gebraucht hatte. Anschließend haben sie gemeinsam etwas getrunken, ein bisschen viel um genauer zu sein und Melanie hat sich beschwert das Stephan sie angeblich vernachlässigen und nur arbeiten würde. Dann war eins zum anderen gekommen und Manuel befürchtete nun der Vater des Kindes zu sein und nicht sein Bruder. Dieser wusste natürlich nichts von dem Ausrutscher und sollte es auch eigentlich nicht erfahren, da waren sich Melanie und Manuel einig gewesen.
"Egal ob wir verhütet haben oder nicht, sein kann es trotzdem!", meinte Manuel. "Ich werde doch wissen, wer der Vater meines Kindes ist!", stellte Melanie klar. "Und du bist es nicht, der Andere kann es auch nicht sein weil das Kind vorher schon gezeugt worden ist, also bleibt Stephan als einziger übrig!" Manuel fühlte sich schäbig. Er hatte bereits seine Freundin verloren, da er ihr gebeichtet hatte das er ihr fremd gegangen war. Aber er hatte nicht gesagt mit wem, das hatte er sich dann doch nicht getraut. So wussten nach wie vor nur Melanie und er selbst von dieser gemeinsamen Nacht, die Manuel zutiefst bereute. Manuel hatte es die ganze Zeit über irgendwie verdrängen können, aber jetzt war das unmöglich. Denn auch wenn Melanie glaubte, zu wissen das Stephan der Vater des Babys war, so blieb doch noch die Option übrig das sie sich irrte.
"Und was willst du jetzt tun?", fragte Manuel nach einer längeren Zeit des Schweigens. "Ich will Stephan zurück.", antwortete sie entschlossen. "Das vor ein paar Monaten ist scheiße gelaufen, ja. Aber ich liebe ihn immer noch und außerdem würde es dem Kind und mir bei ihm gut gehen.", erklärte die Schwangere. "Du willst also nur sein Geld.", schlussfolgerte Manuel. "Nein, natürlich nicht!"
Doch Manuel glaubte ihr kein Wort. "Nur ist er nun mal der Vater und das Kind braucht ihn, also brauche ich auch. Ich kann mich nämlich alleine nicht um das Kind kümmern. Ich möchte, dass unser Kind bei Mama und Papa groß wird, als Paar und du wirst mir helfen Stephan davon zu überzeugen. Ansonsten erfährt der große Bruder vom Verrat des kleinen Bruders.", drohte Melanie nun. Manuel war nach dem Gespräch mit Melanie nach Hause gefahren.
Diese hatte ihm ein Ultimatum gestellt. Sollte sich Stephan nicht innerhalb von drei Tagen bei ihr gemeldet haben, dann würde sie ihm alles erzählen. Manuel sollte dafür sorgen, dass Stephan mit Melanie Kontakt aufnahm und das hatte er tatsächlich geschafft. Er hatte seinen Bruder so lange zugetextet, dass er ja eine Verantwortung hätte und sich nicht drücken darf, dass Stephan letztendlich aufgrund des schlechten Gewissens eingeknickt war. Am dritten Tag, also gerade noch rechtzeitig hatte er Melanie zu Hause aufgesucht und hatte versprochen sich um sie und das Kind zu kümmern.
Das war inzwischen fast drei Wochen her und sie waren sozusagen wieder ein Paar. Stephan hatte noch öfter versucht Elena zu erreichen, jedoch vergeblich. Manuel hatte überlegt, es Stephan selbst zu sagen das er mit Melanie eine Nacht verbracht hatte, nur hatte er sich nicht getraut und war letztendlich auf Melanies Forderungen eingegangen.
Sabine war fassungslos, konnte aber nichts ausrichten da Stephan ihr nicht zuhören wollte. Sie kannte ihren Sohn und wusste, dass er unglücklich war. Und sie wusste auch, dass er nur die Verantwortung für Melanie übernahm da sie ihm sonst den Umgang mit dem Baby nach der Geburt verweigern würde und außerdem vermisste er Elena. Er versuchte sich also darüber hinweg zu trösten und wollte sich wenigstens um sein Kind kümmern, wenn er Elena schon verloren hatte. Dennoch war Stephan wenigstens davon überzeugt, nach der Geburt einen Vaterschaftstest machen zu wollen.
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Fast drei Wochen waren inzwischen vergangen und ich wohnte immer noch im Hotel. Allerdings hatte ich beim Kontrolltermin in der Klinik letzte Woche mal nachgefragt und erfahren, dass man noch eine Stelle für mich frei war. Zwar erstmal nur als Hilfe im OP oder auf Stationen mit Unterbesetzung, aber es war Arbeit und ich konnte Geld verdienen. Das würde reichen, bis man mir eine Assistenzarztstelle anbieten konnte und das würde sowieso erst nach der Geburt meines Kindes der Fall sein. Also ungefähr erst in einem Jahr oder sogar später.
Aber ich hatte keine Wahl gehabt. Entweder diese Stelle oder gar keine. Seit ein paar Tagen arbeitete ich also in der Klinik am Südring und hatte mich in dieser kurzen Zeit schon richtig gut eingelebt. Das Team war super und die Arbeit machte mir deshalb total Spaß. Ich kannte ja viele schon von meinem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus und sie hatten mich ebenfalls wieder erkannt. Überwiegend arbeitete ich sogar auf der Station, auf der ich gelegen war oder half in der Notaufnahme mit oder assistierte bei leichten Eingriffen im OP. Ich lernte also bereits etwas, was mir für meine Facharztausbildung durchaus etwas brachte.
Eine Wohnung hatte ich vielleicht auch bald, jedenfalls wenn die Besichtigung heute Nachmittag gut lief. Ich hatte mir schon ein paar Wohnungen angesehen, aber bis jetzt noch nichts passendes gefunden. Jedoch hatte ich bei der die ich mir später ansehen würde ein sehr positives Gefühl.
Vor dem Feierabend hatte ich jedoch noch eine OP, bei der ich ausdrücklich als Assistentin angefordert worden war. Ich war froh, dass die Kollegen mich mochten und das obwohl ich vorerst nur eine Aushilfe war. Ich fühlte mich wohl und freute mich auf meine bevorstehende Assistenzarztausbildung in ein paar Monaten.
Ich hatte mir auch überlegt in meine Heimat zurück zu kehren, jedoch gab es da ein Problem und zwar meinen Vater. Er war bestimmt immer noch sauer auf mich und ich wollte im Moment wirklich jeden privaten Stress so gut es ging vermeiden. Den hatte ich die letzten Monate genug gehabt und auf der Arbeit ging es auch nicht immer ruhig zu, da brauchte ich privat im Moment einfach Zeit für mich. Bei Stephan hatte ich mich nicht mehr gemeldet, auch wenn mich das schlechte Gewissen plagte, aber es war einfach besser für ihn.
Vor der OP wollte ich nun aber noch etwas essen, ansonsten würde ich währendessen Hunger kriegen und das wollte ich vermeiden. Im Moment hatte ich wirklich ständig Hunger, nachdem ich aber für zwei sorgen musste war das aber ganz normal. Leider war auch die Morgenübelkeit sehr ausgeprägt, jedoch nahm ich die ebenfalls hin, denn dem kleinen Bauchzwerg ging es einfach prächtig und das grenzte an ein Wunder. Ich freute mich auf meinen Neuanfang mit meinem Baby und ich wollte ihm eine Zukunft bieten, auch ohne Vater.
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Stephan parkte vor dem Haus, in dem Melanie und er gewohnt hatten. Sie hatte heute einen Ultraschalltermin in der Klinik und Stephan würde dorthin bringen. Wenn es wirklich sein Kind war, dann wollte er nichts verpassen und Verantwortung übernehmen und das von Anfang an. Ohne ihn wäre Melanie während der Schwangerschaft nämlich allein. Melanie kam ein paar Minuten später aus dem Haus und stieg ins Auto ein.
"Du bist spät dran.", merkte Stephan an. "Musste mich schließlich noch fertig machen. Schlepp du mal 24 Stunden ununterbrochen so ein Gewicht mit dir rum, dann weißt du was du getan hast.", meinte Melanie schnippisch. "Dieses Gewicht ist ein Baby.", erinnerte Stephan Melanie und fuhr gleich darauf los. Melanie verdrehte die Augen. "Ich weiß was das ist.", antwortete sie. "Dann beschwer dich nicht.", sagte Stephan bestimmt und blickte kurz zu Melanie. "Sag mal.. hast du Haare gefärbt?!", fragte er, als er die deutliche Veränderung bemerkte.
"Ja, war bitter nötig. Sieht gut aus, oder?", fragte Melanie Stephan fröhlich. "Hast du diese spezielle Farbe benutzt? Da gibt's doch extra für Schwangere irgendwas." Stephan war davon gar nicht begeistert. "Ne, ich hab die benutzt die ich immer nehme. Kauf mir doch nicht extra was, wenn ich noch was zu Hause hab." Stephan traute seinen Ohren kaum. "Spinnst du eigentlich?!", ging er Melanie an. "Selbst ich weiß, dass man das lassen soll wenn man schwanger ist!" Melanie blieb entspannt. "Jetzt reg dich nicht schon wieder so künstlich auf, Stephan. Jeder sagt da irgendwas anderes und wenn man es ganz genau nimmt dürfte ich ja überhaupt nichts mehr machen. Und ich verzichte ganz sicher nicht darauf mir was Gutes zu tun, nur weil ich schwanger bin."
Der Beamte am Steuer war kurz davor zu explodieren, wusste aber das er nicht zu weit gehen durfte, ansonsten würde Melanie ihn unter Druck setzen. Ein geeignetes Mittel dazu hatte sie ja in sich und er kannte sie inzwischen lange genug, um zu wissen wie sie tickte. Deshalb schwieg er daraufhin einfach und hoffte, dass die Fahrt zum Krankenhaus schnell vorüber sein würde.
Letztendlich kamen sie doch noch pünktlich in der Klinik an, aber es war knapp gewesen. Stephan und Melanie stiegen aus und gingen gleich in das Gebäude. Kurz darauf standen sie auch schon vor den Aufzügen und mussten warten, bis einer kam.
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Gestärkt für die OP machte ich mich auf den Weg zu den Aufzügen. Ich hatte noch genügend Zeit um mich für die Operation fertig zu machen, weshalb ich nicht hetzen musste. Ein Aufzug kam gerade, als ich ankam und ich erwischte ihn noch. Er war leer, da alle auf dem Stockwerk ausgestiegen waren wo sich die Cafeteria befand.
Ich drückte auf einen Knopf, allerdings fuhr der Aufzug erst auf ein anderes Stockwerk da diejenigen wohl eher gedrückt hatten als ich. Als sich die Türen öffneten blieb mein Herz gefühlt für einen Moment stehen, denn Stephan stand plötzlich vor mir. Auch er schien ihn Schockstarre gefallen zu sein, als er mich erkannte.
"Elena?!", stellte er überrascht fest. "Stephan.", sagte ich ebenso verblüfft. "Melanie.", meinte nun die Frau, die offenbar zu ihm gehörte. "Ich weiß zwar nicht was das jetzt soll, aber ich dachte mal ich sag auch einfach mal meinen Namen, wenn ihr zwei euch offenbar schon bekannt seid. Komm, Schatz." Diese Melanie nahm Stephan an die Hand und zog ihn mit in den Aufzug. Sie stellten sich auf die Seite gegenüber von mir. 'Schatz?', fragte ich mich im Gedanken. Das musste seine Freundin sein, zweifellos.
Aber hatte er sich nicht von ihr getrennt? Unauffällig musterte ich die Frau und erkannte, dass sie schwanger war und das schon eine Weile, zumindest der Größe des Bauches nach zu urteilen. "Arbeitest du etwa hier?", fragte Stephan und riss mich aus meinen Gedanken. "Na offensichtlich tut sie das, sonst würde sie nicht in den Klamotten hier herum laufen.", antwortete Melanie, bevor ich ihm antworten konnte.
Mir war die Situation mehr als unangenehm. "Ja, ich arbeite hier und muss gleich in den OP.", erklärte ich ihm und war erleichtert, als sich genau in diesem Moment die Tür des Aufzugs öffnete. "Ich muss hier raus, ihnen noch viel Glück und alles Gute.", sagte ich zu Melanie, bemerkte Stephans Blicke aber trotzdem.
"Aber ist der OP nicht woanders?", fragte er verwirrt, jedoch ging ich ohne eine Antwort zu geben hinaus. Ich konnte genauso gut die Treppe nehmen, es war nicht mehr weit. Ich fühlte mich verraten. Aus irgendeinem Grund war ich plötzlich total traurig, enttäuscht und wütend zugleich.
Er hatte sich doch getrennt, oder etwa nicht? Hatte er mich angelogen? Warum hatte er sich dann so um mich gekümmert und mich geküsst, obwohl er ein Baby mit einer anderen Frau erwartete?
'Der Kuss war nicht ernst gemeint!', ermahnte ich mich stumm. 'Und du bist gegangen, du darfst nicht sauer sein, es gibt keinen Grund dafür!'
Doch mein Kopf ließ sich das nicht einreden. Ich fühlte mich einfach verletzt, denn ich hatte geglaubt er mag mich wirklich. Ich bin doch nur gegangen, damit er keine Schwierigkeiten mit seiner Familie bekommt.
Doch jetzt war da diese Frau. Melanie, die schwanger war und die Schuldgefühle schlichen sich augenblicklich ein. Es war doch eigentlich nichts passiert, aber dieser gewisse Funken der zwischen Stephan und mir über gegangen war ließ sich nicht leugnen.
Die Küsse waren eigentlich nicht aus Liebe ausgetauscht worden, aber es hatte sich dennoch so zärtlich angefühlt, so als wären wir wirklich zusammen gewesen. Ich biss mir auf die Lippen, als ich mich an dieses Gefühl erinnerte und gleichzeitig kamen mir die Tränen. Ernst gemeint oder nicht, genau genommen hatte er Melanie betrogen. Wir hatten seine schwangere Freundin hintergangen, gemeinsam.
Jedenfalls glaubte ich das, denn es wies alles darauf hin. Das ich mich irrte wusste ich bis dato noch nicht.
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