19 - Coming Home (Part 2)

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Christina

Seltsam. Das ist das einzige Wort, das mir dazu einfällt. So. Verdammt. Seltsam.
Schon seit heute Morgen muss ich mich immer wieder kneifen, um mich davon zu überzeugen, dass das hier wirklich passiert und jetzt, als Luca und ich im Taxi auf dem Weg zu meiner alten Tanzschule sitzen, ist es nicht anders. Momentan bin ich mir allerdings noch nicht so recht sicher ob sich das Ganze hier zu einem Traum oder eher zu einem Alptraum entwickelt. Ich meine, eine Party mit all den Frauen, die mich früher immer schikaniert haben, Alkohol und Luca, der meinen Fake-Freund und offiziellen Let's Dance Partner spielt und in den ich heimlich verschossen bin und das alles auf einem Haufen. Klar, was soll da schon schief gehen?

Während ich mit jedem Meter, den wir zurücklegen, nervöser werde, sieht Luca neben mir anscheinend absolut tiefenentspannt aus dem Fenster und beobachtet die vorbeiziehende Umgebung, in der ich die ersten Jahre meines Lebens verbracht habe. Er trägt seinen geliebten grauen Mantel über einem schwarzen Hemd und einer schlichten dunklen Jeans - ein denkbar einfaches Outfit, das an Luca aber keineswegs billig sondern schlichtweg unverschämt gut aussieht. Schnell drehe ich mich wieder weg, bevor die Röte in meinen Wangen überhand nehmen kann und streiche stattdessen zum gefühlt hundertsten Mal eine nicht existente Falte aus meinem Rock. Unzufrieden wende ich mich danach meinem Oberteil zu und zupfe murrend an dem Stoff herum. Ob der Ausschnitt zu tief ist? Ich will ja schließlich nicht aussehen als würde ich seit neuestem an ner Stange tanzen. Nichts gegen Poledance, aber um bei meinen alten Widersacherinnen einen guten Eindruck zu hinterlassen wäre das denkbar ungünstig. Meine Güte, wieso hab ich nur zugestimmt India mein Outfit aussuchen zu lassen? Frustriert stoße ich ein Schnauben aus, als mein Rock zum wiederholten Mal verrutscht und ziehe den Stoff hektisch wieder zurück an seinen Platz. Allerdings komme ich damit nicht sonderlich weit, denn im nächsten Moment legt sich eine große Hand auf mein Bein und stoppt so nicht nur meine Bewegung, sondern lässt mein Herz auch einen kräftigen Schlag aussetzen. Es sollte wohl eine beruhigende Geste sein, die aber eher einen Herzinfarkt und Schnappatmung auslöst, als wirklich zu helfen. Luca bekommt von der Auswirkung seiner Berührung natürlich nichts mit, stattdessen lächelt er mich amüsiert, aber dennoch mit einem ernsten Ausdruck in den Augen an. "Du siehst toll aus, Christina. Mach dir nicht so einen Kopf", versucht er mir gut zuzureden aber mit Lucas Hand auf meinem Oberschenkel und seinem Daumen, der sanft über die Haut dort streicht ist das wesentlich schwieriger als gedacht. Trotz meiner dünnen Strumpfhose kann ich die Wärme auf meiner Haut spüren, die sein Körper abgibt und mir damit eine gewaltige Gänsehaut beschert. "Danke", murmle ich verlegen und spüre schon wieder, wie mir die Hitze in die Wangen steigt. Na Halleluja, wenn das so weitergeht kann das heute ja noch lustig werden. "Und dir macht das wirklich nichts aus, mich zu begleiten?", frage ich schließlich, um mich zumindest ein bisschen von dem warmen Gefühl abzulenken, das Lucas Berührung unweigerlich in mir auslöst. Allerdings ist seine Antwort zumindest in dem Zusammenhang auch nicht wirklich förderlich. "Christina, das Thema hatten wir doch schon", lacht er leise und schüttelt den Kopf über meine Frage. "Ich hab dir das doch vorgeschlagen. Außerdem würde ich gerne wissen, wo du aufgewachsen bist."
"Wieso?" Diesmal scheint Luca ehrlich überrascht von meiner Frage zu sein, denn er runzelt die Stirn, legt den Kopf schief und meint, als wäre es das Logischste der Welt: "Na weil ich mich für die Menschen interessiere, die mir was bedeuten." Bevor mein Herz vor Rührung komplett den Geist aufgeben kann, fügt Luca mit einem frechen Grinsen hinzu: "Und vielleicht hoffe ich auch ein bisschen darauf eine junge, ungestüme Christina in ihrem natürlichen Habitat kennenzulernen." Obwohl er mich mit seinen süßen Worten schon wieder fast sprachlos gemacht hat, klappt mein Mund bei seinen Worten auf und ich verpasse ihm einen empörten Stoß in die Seite. Überrascht von meinem plötzlichen Gegenschlag rutscht seine Hand von meinem Oberschenkel und er reibt sich beleidigt die Stelle, an der ich ihn getroffen habe. "Ey, wofür war das denn jetzt?", beschwert er sich und ich funkle ihn gespielt eingeschnappt an. "Das war dafür, dass du gerade indirekt angedeutet hast, dass ich nicht mehr jung wäre."
"Naja, ob 30 noch so jung ist, darüber lässt sich ja streiten", entgegnet Luca prompt und mir klappt diesmal tatsächlich die Kinnlade nach unten. "Sehr dünnes Eis mein Freund, sehr dünnes Eis. Du bist auch nur vier Jahre jünger, vergiss das nicht", feuere ich zurück, was meinem Tanzpartner aber nur ein Schulterzucken entlockt. "Immerhin steht bei mir noch eine 2 vorne dran." Mit einem Schnauben schlage ich erneut nach seinem Oberarm, diesmal ist Luca allerdings schneller und weicht mir aus, sodass ich nur das weiche Polster des Autositzes treffe. Der Taxifahrer wirft uns durch den Rückspiegel einen amüsierten Blick zu, wendet sich aber schnell wieder der Straße zu, wenn auch mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Währenddessen tue ich immer noch so, als wäre ich eingeschnappt. Die Arme verschränkt und mit einen anscheinend beleidigten Ausdruck auf dem Gesicht wende ich Luca die Schulter zu und starre stattdessen aus dem Autofenster. Ein Vorteil unserer Beziehung ist, dass ich Luca mittlerweile in fast jeder Situation einschätzen kann und so wundert es mich auch nicht, dass ich nach ein paar Sekunden ein leichtes Zupfen an meinem Ärmel spüre. "Christina?" Eine vorsichtige Nachfrage. Ich ignoriere ihn. "Christina, komm schon. Sei doch nicht beleidigt bitte." Diesmal klingt seine Stimme flehender und fast hätte ich aufgegeben, aber ich kann mein schlechtes Gewissen gerade noch davon abhalten, mich zum Nachgeben zu bewegen. Soll er ruhig ein bisschen zappeln. Auf einmal hört das Zupfen an meinem Ärmel auf und obwohl ich nicht hinsehe, weiß ich, dass Luca sich wieder abgewendet hat. Gerade als ich wirklich denke er hätte es aufgegeben, schiebt sich auf einmal eine rot-weiße Packung in mein Blickfeld. Ungläubig starre ich die Kinderriegel an, die leise klappern, als Luca die Schachtel jetzt schüttelt. Fast augenblicklich bröckelt meine Fassade und ich drehe mich mit großen Augen zu ihm um. "Du hast Kinderriegel dabei?", frage ich, während ich gierig einen davon aus der Box ziehe und das raschelnde Papier abwickle. Er zuckt nur die Schultern, ein verlegenes Grinsen auf den Lippen. "Eigentlich waren die für die Feier selbst gedacht, falls du Nervennahrung brauchst oder so, aber nachdem ich es nicht ausstehen kann wenn du mir böse bist, müssen sie wohl jetzt schon herhalten." Und wieder einmal hat er mich völlig sprachlos gemacht. Alleine der Fakt, dass er überhaupt daran gedacht hat, dass Kinderriegel meine absolute Lieblingssüßigkeit sind, ist schon wieder viel zu aufmerksam von ihm. Weil ich einfach nicht weiß, was ich sonst tun soll, flüstere ich nur ein weiteres leises "Danke", bevor ich mich mit einem Lächeln auf den Lippen wieder meiner Schokolade zuwende. Vielleicht wird das Ganze hier ja doch nicht so übel, solange Luca bei mir ist.

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