19 - Coming Home (Part 3)

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Luca

Eine Weile lang unterhalten wir uns ein bisschen mit Christinas altem Tanzlehrer, der sichtlich interessiert ihren Erzählungen von Tanzturniere und den Let's Dance Trainings folgt und obwohl ich fast keinen der Fachbegriffe verstehe, mit denen die beiden um sich werfen, ist mir nicht langweilig. Ich glaube Christina könnte auch das Telefonbuch vorlesen und ich würde ihr immer noch meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, vor allem wenn sie mittlerweile entspannt in meinem Arm lehnt. Meine Hand verlässt dabei nie ihren Rücken und während ihr leises Lachen mein Herz regelmäßig zum Stolpern bringt, streicht mein Daumen ihr immer wieder unbewusst über ihre Seite. Irgendwann meldet sich aber dann doch mein Magen zu Wort und ich zupfe vorsichtig an ihrem Ärmel, bis sie mich fragend ansieht. "Christina...ich hab Hunger", flüstere ich mit einem quengelnden Unterton in der Stimme und grinse leicht, als sie daraufhin lachend den Kopf schüttelt. "Ob ich nochmal den Tag erlebe, an dem ein Luca Hänni mal keinen Hunger hat...", zieht sie mich auf, was ihr einen empörten Schlag gegen den Oberarm einbringt. "Hey, wir haben heute morgen nicht mal gefrühstückt!", rechtfertige ich mich, was diesmal nicht nur Christina einlenken lässt, sondern auch ihren Lehrer zum Lachen bringt. "Na dann halte ich euch mal nicht länger auf, nicht dass dir dein armer Freund verhungert." Sein scherzhafter Gesichtsausdruck verwandelt sich in ein freundliches Lächeln. "Das wäre sehr schade, ihr Zwei seid nämlich wirklich ein schönes Paar."
"Vielen Dank", bedanke ich mich höflich und bin stolz auf mich, wie gut ich es dabei schaffe meine lockere Stimmlage beizubehalten. Auch Christina bedankt sich mit roten Wangen aber es kann auch sein, dass ich mir das nur einbilde. Mir bleibt aber keine Zeit mehr, um sie genauer zu mustern, denn sie hat sich bereits verabschiedet und macht sich jetzt auf den Weg zu der großen Flügeltür, die in den anschließenden Tanzsaal führt und ich beeile mich sie einzuholen. In einem angenehmen Schweigen laufen wir nebeneinander her, die Musik und die fröhlichen Stimmen, die aus dem Saal zu uns heraus dringen, dabei für den Moment die einzigen Geräusche. "Danke, dass du das hier mitspielst", murmelt Christina irgendwann mit einem schüchternen Lächeln, als wir den schwach beleuchteten Tanzsaal betreten, wo die Lampen bunte Lichter auf unsere Haut werfen. "Ich versuche die neugierigen Fragen so weit wie möglich von dir fernzuhalten." In einem Anflug von Mut greife ich nach ihrer Hand und verschränke mit einem Lächeln unsere Finger miteinander. "Das ist überhaupt kein Problem, Schatz", versichere ich ihr und hätte beinahe leise aufgelacht, als ich ihren überraschten Gesichtsausdruck sehe. Schulterzuckend grinse ich sie an. "Was denn? Du hast doch vorhin gesagt, dass du nicht Babe genannt werden möchtest. Ist Schatz jetzt auch nicht okay?" Jetzt lacht auch Christina und fast glaube ich, schon wieder einen roten Schimmer auf ihren Wangen zu entdecken, als sie sich auf die Lippe beißt und nickt. "Nein, ich denke Schatz ist gut", flüstert sie verlegen und senkt daraufhin glücklicherweise den Kopf, sonst hätte sie wohl auf einen Blick gesehen, was diese Aussage bei mir anrichtet und das, obwohl ich eigentlich damit angefangen hab. Und dass Christinas Hand dabei mit meiner verschränkt bleibt, während sie mich in Richtung des Buffets zieht, hält mich auch nicht unbedingt davon ab, dass mir ihre Worte auch weiterhin durch den Kopf schwirren und das will in Anbetracht des absolut gut ausgestatteten Buffets wirklich was heißen. Den Job der Ablenkung übernimmt dann allerdings gleich jemand anders, denn wir haben gerade mal die Hälfte des Wegs dorthin zurückgelegt, als eine hohe Frauenstimme Christina so ruckartig innehalten lässt, dass ich beinahe in sie reingelaufen wäre. Augenblicklich ist Christinas Anspannung zurück und ich sehe mich suchend nach dem Grund für ihr Unbehagen um. Ein paar Sekunden später entdecke ich auch schon die Quelle des aufgedrehten Rufens, denn von einem der Tische am Rand der Tanzfläche löst sich eine Frau in einem teuer aussehenden Kostüm und stöckelt aufgeregt winkend auf ihren High Heels auf uns zu. Sie ist hübsch, mit großen blauen Augen, glänzend rotbraunen Haaren und einer Hammer-Figur wie sie sich vermutlich jedes Model wünscht. Vor ein paar Monaten hätte ich sie wahrscheinlich unglaublich attraktiv gefunden aber heute könnte mich das nicht weniger interessieren. Nicht wenn meine Finger mit Christinas verschränkt sind, während sie sich fast schon schutzsuchend gegen mich drückt. Und vor allem nicht wenn ich weiß, dass wahrscheinlich diese Frau dafür verantwortlich ist, dass ein so herzensguter, wundervoller Mensch wie Christina solche Selbstzweifel hat, dass er eigentlich gar nicht herkommen wollte. Aus einem Instinkt heraus streiche ich mit dem Daumen beruhigend über ihren Handrücken, in der Hoffnung ihr so auf irgendeine vertrackte Art und Weise vermitteln zu können, dass ich die ganze Zeit an ihrer Seite sein werde. Natürlich funktioniert meine Gedankenübertragung nicht, aber das dankbare Lächeln, dass Christina mir daraufhin schenkt, ist mindestens genauso viel wert und sorgt mal wieder für einen immensen Anstieg meiner Herzfrequenz. Das verfliegt aber gleich darauf wieder und wird stattdessen von einem Lächeln ersetzt, das so künstlich ist, dass mein Herz diesmal aus einem ganz anderen Grund einen Satz macht. Der Frau, die uns jetzt erreicht, scheint es entweder an jeglicher Empathie zu fehlen oder ihr ist es schlichtweg egal, denn sie drückt Christina mit einem unangenehmen Quietschen trotz alledem an sich, bevor sie sie wieder von sich wegschiebt. "Christina Luft, na das ist ja eine Überraschung!" Obwohl ein Lächeln auf den Lippen liegt, wirkt ihr Auftreten keineswegs freundlich und ich beiße fest die Zähne zusammen, als ich sehe, wie abschätzige diese Frau meine Tanzpartnerin mustert. "Hallo Lillian", seufzt Christina. Mein Magen dreht sich jetzt richtig um, als ich ihre leise Stimme höre und man braucht kein Detektiv zu sein um zu erkennen, dass sie ihr Selbstbewusstsein gerade mit Anlauf aus dem Fenster gesprungen ist. Und das nur beim Anblick dieser Lillian, die jetzt erneut ihren Blick von oben bis unten über sie gleiten lässt. "Ich hab mich schon gefragt, wieso ich dich auf keinen Turnieren mehr gesehen habe. Eigentlich dachte ich du würdest eine Pause machen, weil Evgeny dich nicht mehr wollte aber scheinbar hatte das noch andere Gründe", kommentiert sie mit aufgesetzter Freundlichkeit und fügt mit einem hysterischen Lachen hinzu: "Gut, dass du jetzt nur noch bei einer Fernsehshow tanzen musst, für eine Turniertänzerin hättest du zu ja auch viel zu viel zugelegt." Kabumm. Kaum haben die Worte ihren Mund verlassen, klappt mir die Kinnlade herunter und auch Christina neben mir zuckt so heftig zusammen, dass es meinem Herz einen schmerzhaften Stich versetzt. "Entschuldigung?", presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich Christina fast automatisch schützend enger an mich ziehe. "Was haben Sie gerade gesagt?" Jetzt fällt auch Lillians Blick auf mich, aber ihre Miene verrutscht kein Stückchen. "Na das ist doch die Wahrheit. Hebefiguren waren doch auch nicht so eure Stärke in den Shows, das müssten Sie als ihr Tanzpartner doch wohl am ehesten gemerkt haben." Okay, jetzt reichts. Normalerweise bin ich ein wirklich ruhiger Mensch aber bei dieser Frau platzt mir einfach der Kragen und das obwohl ich sie erst ein paar Minuten kenne. "Wissen Sie was? Ich weiß ja nicht was Sie für ein Problem haben, aber selbst wenn Christina zugenommen hat, ist sie immer noch die beste Tanzpartnerin, die ich mir hätte wünschen können! Also halten Sie mal die Luft an! Sie..." Atemlos öffne ich den Mund und will mich gerade weiter aufregen, als mich Christinas Hand auf meinem Arm davon abhält. "Schon okay, lass gut sein, Luca", murmelt sie leise und sieht bittend zu mir herauf, die braunen Augen glänzend, aber ich schüttle sofort so heftig den Kopf, dass Christinas Hand erschrocken von meinem Arm rutscht. "Doch, ist es!" Augenblicklich wird mein Blick weicher und ich streiche ihr entschuldigend mit dem dem Daumen über den Handrücken. "Ich mag es nicht, wenn jemand so über dich redet", flüstere ich wieder leiser, sodass nur Christina mich verstehen kann doch zu meiner Überraschung zuckt sie nur die Schultern. "Sie ist einfach so, sie lässt sich eh nichts sagen. Über andere Leute herziehen ist einfach in ihren Genen angelegt, da kannst du sowieso nichts machen", entgegnet sie ebenso leise aber auch wenn sie sich Mühe gibt möglichst unbeteiligt zu wirken, merke ich sofort, dass ihr die fiesen Worte sehr wohl etwas ausmachen. Aber das hier ist weder der Ort, noch die richtige Zeit um dieser dämlichen Lillian eine runterzuhauen - auch wenn ich das sehr gerne machen würde - also seufze ich nur. Christina hat ja Recht und ich bin schließlich hier, um sie zu unterstützen und nicht einen Polizeieinsatz auszulösen, weil ich auf der Tanzfläche eine Prügelei anfange. Eine kleine Bemerkung kann ich mir aber doch nicht verkneifen. "Okay, ich werde sie nicht in der Luft zerreißen. Aber nur damit du's weißt, egal was sie für einen Müll von sich gibt, es stimmt nichts davon." Christina sagt nichts, aber das muss sie auch gar nicht. Das stumme Nicken und der dankbare Ausdruck in ihren Augen sagt in dem Moment eh mehr als alles andere und lässt sogar die Wut in meinem Körper langsam wieder abklingen. Diese kurze Interaktion nutzt Lillian aus, um wieder wie ein kaputter Luftballon zu lachen - scheinbar besitzt sie wirklich keinerlei Empathie - klopft Christina frech auf die Schulter und sagt unvermittelt: "Naja, nachdem dein Kollege hier sich wieder beruhigt hat, könnt ihr ja noch ein Gläschen Champagner mit trinken." Sie gestikuliert hektisch in Richtung der Tische, die neben dem Buffet und am Rande der Tanzfläche aufgebaut sind. Eigentlich habe ich gelinde gesagt überhaupt keine Lust noch mehr Zeit als notwendig in ihrer Gesellschaft zu verbringen aber zu meiner Überraschung nickt Christina, also schlucke ich einen bösen Kommentar herunter und ergebe mich stattdessen widerstandslos. Automatisch verfestigt sich mein Griff um ihre Hand und auch als wir ihr dann mehr oder weniger freiwillig zu dem Tisch folgen, von dem sie kam, lasse ich sie nicht los. Zu meiner großen Überraschung stößt Christina im nächsten Moment erleichtert die Luft aus, als sie die restlichen Gesichter am Tisch erkennt und zupft gleichzeitig an meiner Hand. Nicht, dass sie überhaupt versuchen müsste meine Aufmerksamkeit zu bekommen, schließlich liegt mein Fokus sowieso auf ihr, aber lassen wir das mal. Schmunzelnd, aber trotzdem leicht verwirrt blicke ich auf Christina herunter. "Was, freust du dich jetzt auf einmal deine besten Freundinnen?", ziehe ich sie auf und sie schüttelt schmunzelnd den Kopf. "Glaub mir, ich wäre immer noch lieber mit Kaffee und Netflix zuhause auf der Couch."
"Na das lässt sich jederzeit nachholen." Jetzt breitet sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus und sie zieht amüsiert eine Augenbraue nach oben. "War das etwa gerade ein Angebot, Herr Hänni?" "Ich weiß nicht, Schatz, sag du's mir", entgegne ich frech, wofür ich gleich einen Schlag in die Seite kassiere, der mich einen Schritt zur Seite stolpern lässt. Mehr als ein Lachen und rote Wangen bekomme ich nicht zur Antwort aber das reicht schon. Für einen Moment grinsen wir uns einfach stumm an, bevor mir wieder einfällt, was ich ursprünglich gefragt habe. "Nein aber jetzt mal im Ernst", nehme ich das eigentliche Thema wieder auf. "Wo ist die kleine, grummelige Christina hin, die sich mit Händen und Füßen gegen ihr Klassentreffen gewehrt hat?" Wieder ein Lachen, dann zeigt sie mit der freien Hand unauffällig auf den Tisch, den wir jetzt schon fast erreicht haben. "Siehst du die Zwei in den dunklen Kleidern? Das sind Maria und Anna, zwei alte Freundinnen von mir, die leider nur die ersten paar Monate mit mir in der Gruppe waren, aber die beiden sind wirklich lieb. Das macht das Ganze hier schon um einiges erträglicher", erklärt sie und jetzt bin ich derjenige, der ihr einen sanften Stoß verpasst. "Hey, ich dachte ich mach das hier erträglich für dich!" Ihre Reaktion braucht ein paar Sekunden, doch der Blick, den sie mir dann zuwirft reicht, um mir erstmal die Sprache zu verschlagen. "Das tust du." 

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