Ich sitze neben Judy und versuche, das Grummeln meines Magens so gut es geht, zu unterdrücken. Das frisch gebackene Brot duftet köstlich und ich kann mir nur vorstellen, wie gut die Tomatensuppe von Kierra schmeckt. Gegenüber von uns beiden sitzen die beiden Brüder von Judy. Miles, den ich bereits kennenlernen durfte und Zacharias, der sich vorher kurz vorgestellt hat. Wenn mich nicht alles täuscht ist er etwas grummelig und würde gerade lieber wo anders sein, als hier bei uns am Tisch zu sitzen.
Jackie, die kleine Schwester von Judy, sitzt neben Miles und plappert fröhlich vor sich hin. Sie erinnert mich etwas an Lucy, Haydens kleine Schwester. Lucy war mindestens genauso aufgeweckt und die Fröhlichkeit in Person. Ob sie es überhaupt verstanden hat, warum ich nicht mehr zu ihnen komme.
Judys Mutter stellt einen riesigen Topf mit der dampfenden Suppe vor uns ab und wie der Blitz schellt der Arm von Miles nach vorne, um sich seinen Teller vollzuschaufeln. Judy muss ein grinsen unterdrücken, während ich angespannt auf meinem Stuhl sitze. Nacheinander werden die Teller aufgefüllt und als ich den ersten Löffel von der Suppe koste, muss ich ein leises Stöhnen unterdrücken. Auch wenn es nur Suppe ist, schmeckt sie wie ein Fünf-Sterne-Gericht.
Das Gespräch während des Essens ist holprig, Miles fragt mich kleine Löcher in den Bauch, was mich noch ein kleines bisschen nervöser werden lässt. Judy lächelt mich immer wieder von der Seite an, während Kierra wohl Angst hat, dass ich verhungere. Nur Zacharias sagt kein Wort und verabschiedet sich, nachdem er vielleicht einen halben Teller gegessen hat. Das lassen die anderen aber unkommentiert.
Schließlich räumen Miles und Judys Mutter den Tisch ab. Meine Hilfe wurde sofort abgelehnt, der Gast soll nicht mithelfen, meinten die beiden. Judy lächelt mich glücklich von der Seite an und sofort habe ich wieder den Drang, sie näher an mich zu ziehe. Sie ist noch immer blass um die Nasenspitze, sieht aber schon etwas besser aus als heute Nachmittag.
"Vielen Dank für das Essen", bedanke ich mich schließlich. Judys Mutter lächelt mich herzlich an.
"Es war doch nur Suppe, Vincent", lacht sie, während sie einen der Suppenteller abtrocknet. Miles räuspert sich, äußert sich aber nicht dazu. Kann es sein, dass er mich nicht mag?
"Ich sollte nach Hause fahren", raune ich Judy zu und stehe dann vom Tisch auf. Kommt es mir nur so vor, oder huscht ein Hauch von Traurigkeit über ihr Gesicht?
"Ich begleite dich noch zur Tür", meint sie hastig und streckt mir dann ihren Arm entgegen. Im ersten Moment runzle ich die Stirn, bis mein Blick dann auf ihr fehlendes Bein fällt. Natürlich.
Ich stütze sie, während Judy sich vom Tisch hochstemmt und helfe ihr, mit mir zur Haustüre zu gehen. Dabei spüre ich förmlich den kritischen Blick von Miles, der durch meinen Rücken bohrt.
Judy stützt sich an der Garderobe, während ich in meine Schuhe schlüpfe. Sie lächelt mich an, als ich zu ihr hochblicke und schließlich meine Jacke vom Kleiderbügel nehme. Obwohl sie ungeschminkt ist und tiefe Augenringe ihr Gesicht zieren, sieht sie wunderschön aus. Ihre Haare hat sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz hochgebunden. Einige Strähnen haben sich aus dem Zopf gelöst. Kurz habe ich den Moment, sie ihr hinter ihr Ohr zu streichen, wie damals, als wir am Ufer des Flusses standen. Ich atme tief durch und kratze mich im Nacken.
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Kämpferherzen
General Fiction"Ich kann dir nicht versprechen, dass ich all deine Probleme lösen kann. Aber ich kann dir versprechen, dass du nicht alleine kämpfen musst." ___ Ich glaube nicht an Schicksal. Ich glaube nicht daran, dass unser Leben vorprogrammiert wird, sobald wi...