Mit jeder Sekunde spüre ich mein pochendes Herz etwas mehr. Meine Hände sind nass vor Schweiß und ich wische sie jetzt schon bestimmt zum vierten Mal an meiner Bettdecke ab.
Halt. In weniger als einer Stunde ist sie nicht mehr deine Bettdecke. Dann gehört sie einem anderen Patienten. Dann bist du hier raus, Vince.
Bei der Vorstellung muss ich lächeln und ich kratze mich nervös im Nacken. Ich freue mich wie verrückt auf Zuhause, auf mein Zimmer, auf das Essen von Mama, auf Normalität...
Und trotzdem habe ich Angst, dass nichts so werden wird, wie ich es mir vorgestellt habe.
Mein Hals ist trocken, als ich versuche, den Kloß, der sich in meiner Kehle immer mehr vergrößern zu scheint, hinunter zu schlucken. East war gestern noch hier. Mit ihm habe ich auch darüber geredet, dass ich ja doch ein bisschen Angst habe, das Krankenhaus zu verlassen. Natürlich überwiegt jedoch die Freude darüber, endlich hier raus zu kommen, wieder ein halbwegs normaler 18-jähriger Teenager zu sein.
Ein leises Pochen an der Tür unterbricht meinen Gedankengang und ich setze mich erwartungsvoll auf, in der Hoffnung, meine Eltern mit den unterschriebenen Entlassungspapieren zu sehen.
Stattdessen drückt sich ein kleiner, blonder Lockenkopf durch den winzigen Türspalt.
"Toby", begrüße ich den kleinen Jungen erfreut. Toby hält in seinen Händen ein leicht zerknittertes Blatt Papier und sieht mich traurig an.
"Ich habe gehört, dass du entlassen wirst", erwidert er und kommt auf mich zu. Ich nicke langsam. Er zieht die Nase kraus und verschränkt seine kleinen Arme ineinander. Das Papier erleidet dadurch einen weiteren Knick.
"Das ist blöd", meint er dann. "Dann habe ich hier keinen Freund mehr." Ich spüre einen kleinen Stich im Herzen, als er die Worte ausspricht und seufze dann leise.
"Du wirst bestimmt ganz viele neue Freunde finden."
Toby schüttelt schnell den Kopf und schiebt seine Unterlippe nach vorne.
"Aber von denen ist keiner so toll wie du!"
Ich lache leise und helfe Toby, als er auf die Matratze neben mich klettert. Besorgt sehe ich, wie seine Beine wieder etwas dünner geworden sind. Seine Arme mehr blaue Flecken von schlecht gelegten Infusionen haben.
Ich fahre ihm durch die Haare und stupse ihn leicht mit der Schulter an.
"Ich komme dich immer besuchen, wenn ich zu einer Kontrolluntersuchung herkommen muss, ja?"
Toby grinst mich hoffnungsvoll an, seine Augen funkeln wieder spitzbübisch. Er nickt schnell und umarmt mich fest. Ich streiche ihm über den Rücken und spüre jeden einzigen Wirbel seiner Wirbelsäule, jede einzelne Rippe.
Ich presse meine Kiefer fest aufeinander und wieder wird mir klar, wie gemein es ist, dass ich hier raus kann du wieder einigermaßen geheilt bin, während Toby in seinen jungen Jahren mit jedem Tag härter ums Leben kämpfen muss.
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Kämpferherzen
General Fiction"Ich kann dir nicht versprechen, dass ich all deine Probleme lösen kann. Aber ich kann dir versprechen, dass du nicht alleine kämpfen musst." ___ Ich glaube nicht an Schicksal. Ich glaube nicht daran, dass unser Leben vorprogrammiert wird, sobald wi...