SIEBENUNDDREISSIG - Judy

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Wir stehen wieder an dem Geländer vor dem kleinen Fluss

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Wir stehen wieder an dem Geländer vor dem kleinen Fluss. Dort, wo wir uns das erste Mal geküsst haben. Vince hat nach der Schule auf mich gewartet. Einerseits war es komisch, andererseits war es schön, als er auf mich zukam. Vor allen anderen.

Wir mussten nicht miteinander reden und wussten doch beide, wohin es uns verschlagen wird. Den ganzen Tag über habe ich mich auf das Treffen heute Nachmittag gefreut. Und für einen Moment musste ich nicht an die Dinge denken, die Zuhause auf mich warten würden.

Zac geht es mittlerweile besser. Er hatte gestern zwar einen wahnsinnigen Kater und hing gefühlt die ganze Nacht über der Toilette, aber ihm geht es besser. Miles schwänzt heute die Uni und passt auf ihn auf. Er meint, ihm würde es nichts ausmachen. Mama war denke ich ganz froh, dass sie es nicht machen musste.

Wir haben mit ihm geredet, ob er Hilfe braucht. Ob er jemanden zum Reden braucht, der nicht zur Familie gehört. Zac lachte immer nur laut und meinte, ob wir den Verstand verloren hätten. Ob wir wirklich dachten, dass er es gemacht hat, weil es ihm schlecht ging. Er wollte für einen Tag vergessen, meinte er. Warum, wissen wir nicht.

Wir waren nach dem Unfall alle in Therapie. Zac war am Kürzesten von uns, Miles am längsten. Auch wenn ich weiß, dass es falsch ist, die Therapiezeit zu vergleichen habe ich das Gefühl, dass Zac länger gebraucht hätte. Dass er nur an der Oberfläche seiner Gefühle gekratzt hat und nicht wirklich darüber gesprochen hat, was der Unfall mit ihm angestellt hat.

Seufzend starre ich hinunter auf das kalte Wasser. Die Strömung ist heute stärker als sonst, was an dem vielen Regen vom Wochenende liegt. Mein Herz pocht schneller, als auch Vince neben mir leise ausatmet. Wir stehen dicht nebeneinander. Ich spüre seine Wärme durch meine Jacke hindurch und genieße es, dass er einfach nur neben mir steht. Manchmal sagt das Schweigen mehr als tausend Worte.

Ich verlagere mein Gewicht und versuche, mein linkes Bein zu entlasten. Auch wenn es mit jeder Woche besser wird, tut es ab und zu immer noch etwas weh. So wie heute. Wenn ich es lange belaste. Vince sieht mich von der Seite an, sagt aber nichts. Mittlerweile weiß er, was es bedeutet.

Ich kaue auf meiner Unterlippe und ziehe die Jackenärmel weiter über meine Finger. Die Luft ist kalt. Und trotzdem friert mich nicht. Mein Blick wandert hinüber zu Vince, der mit glasigen Augen hinunter auf das Wasser starrt. Windböen tanzen durch seine Haare und zerzausen einzelne Strähnen. Ein leichtes Lächeln liegt auf seinen Lippen.

Zuvor hatte ich Miles noch geschrieben, dass er mich erst später abholen soll. Und dass er sich keine Sorgen machen muss. Mein Bruder hat dies mit einem Foto von sich grinsend und Zac schlafend auf der Couch quittiert. Hätte ich nicht gewusst, dass Miles bei ihm zu Hause war den ganzen Tag über, hätten mich die Sorgen während der Schule bestimmt langsam aufgefressen.

„Ist dir kalt?", raunt Vince leise. Beim Klang von seiner Stimme zucke ich kurz zusammen. Ich schüttle den Kopf und kann nicht anders, als zu lächeln. Es ist nicht warm hier draußen. Wirklich nicht. Und trotzdem breitet sich in mir drin eine Wärme aus, wie ich sie noch nie gespürt habe.

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