Kapitel 16

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Am Abend sitzt Maria mit an die Brust gezogenen Beinen auf ihrer kleinen Couch und starrt auf den Bildschirm des Fernsehers. Doch obwohl ihr Blick schon seit einer Weile genau auf diesen Punkt geheftet ist, kann sie nicht sagen, was gerade läuft, da sie viel zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt ist.
Nachdem sie am Vormittag von Stark rausgeworfen wurde, ist sie auf direktem Weg in ihre Wohnung zurückgefahren und hatte ihren restlichen Patienten für diesen Tag abgesagt. Die Ausrede, dass sie krank sei, stimmte zwar nicht so ganz aber in ihrer Verfassung hätte sie sich unmöglich konzentrieren können und deshalb musste diese kleine Notlüge sein.
Die Psychologin weiß nicht, wie sie sich fühlen, geschweige denn sich verhalten soll. Am liebsten würde sie jedes Mal, wenn sie an diesen Vormittag denkt, zu weinen beginnen und sich in irgendeiner dunkeln Ecke verkriechen, in der Hoffnung so den ganzen Geschehnissen aus dem Weg gehen zu können.
Doch Maria weiß auch, dass das überhaupt nichts bringen würde und sich ihre Probleme nicht einfach in Luft auflösen, wenn sie nur lang genug davor wegläuft. Sie muss sich ihren stellen und den Konsequenzen ihres Handeln ins Auge sehen auch wenn ihr das unmöglich erscheinen mag.
Sie hat einen riesigen Fehler gemacht und wenn die Avengers sie jetzt endgültig rauswerfen, dann hat sie ganz einfach nichts anderes verdient. Die Frau kann sich wahrscheinlich schon mehr als glücklich schätzen, dass Stark noch mit den Anderen hat reden wollen und ihr nicht gleich den Laufpass gegeben hat.
Aber viel Hoffnung gibt es dennoch nicht für sie, da solch ein Fehler ganz offensichtlich ziemlich unverzeihlich ist und vorallem von jemandem wie den Avengers unter keinen Umständen gebilligt werden kann. Aber das ist sehr verständlich, wenn man bedenkt, dass Maria heute einem Massenmörder mehr als genug Chancen gegeben hat auszubrechen und seine kranken Pläne fortzusetzen. Es grenzt schon an ein Wunder, dass Loki anscheinend keinen Gedanken daran verschwendet hat eben jenes zu tun.
Je lägter die Rot-Blonde darüber nachdenkt, desto bescheuerte kommt ihr ihre Aktion vom Vormittag vor und desto weniger kann sie verstehen, was sich ihr Unterbewusstsein dabei gedacht hat.
Sie hat ohne nachzudenken die Zelle eines Mannes geöffnet, der vor wenigen Tagen noch versucht hat die Weltherrschaft an sich zu reißen und das alles nur, weil er ein bischen zu emotional geworden ist.
Wie komplett durchgeknallt muss man sein um nicht direkt zu merken, dass das die wohl dümmste Idee ist, die man im Leben auch nur haben kann?
Offenbar hat es Maria geschafft diese Grenze an Dummheit zu überschreiten und hat in dem Moment nicht eine Sekunde daran gedacht, welche Auswirkungen ihr Handeln haben könnte.
Aber das Öffnen der Zelle ist ja nicht mal das Hirnverbrannteste, sonder dass sie den Schwarzhaarigen auch noch umarmt hat, während er vollkommen ausgerastet ist. Wenn er gewollt hätte, und da ist sich Maria sicher, dann hätte er sie mit Leichtigkeit umbringen und dann die Flucht ergreifen können, ohne dass irgend jemand die Möglichkeit gehabt hätte, ihn früh genug aufzuhalten. Er hätte in dieser riesigen Stadt untertauchen können, ohne dass ihn so schnell jemand gefunden hätte und das wäre dann alles ihre Schuld gewesen.
Nicht auszudenken, was alles hätte passieren können, wenn Stark nicht rechtzeitig aufgetaucht und dem ganzen ein Ende gesetzt hätte.
Neben den Schuldgefühlen, die die Frau plagen muss sie auch noch ständig daran denken, wie unprofessionell sie die ganze Zeit über gewesen ist.
Als Psychologin ist sie Menschen gewöhnt, die in schwierigen Situationen stecken und teilweise während den Sitzungen emotional werden. Sie muss mit so etwas umgehen können und stehts Ruhe bewahren, was bei Loki heute alles andere als funktioniert hat. Warum, dass ist Maria schleierhaft.
Für gewöhnlich kommt sie mit emotionalen Ausbrüchen von Menschen immer recht gut klar und kann sie auch meißtens schnell wieder beruhigen, doch bei dem Gott scheint sie auf einmal alles vergessen zu haben, was sie über die Jahre gelernt hat. Sie hat sich gefühlt, als ob sie das erste Mal jemanden in einer solchen Situation sehen würde und als hätte sie nicht den Hauch einer Ahnung, wie man so etwas händelt.
Aber warum?
Was ist an Loki anders als an allen ihren Patienten?
Warum ist sie so überfordert, wenn er die Fassung verliert?
Vielleicht ist es, weil sie von ihm alles aber keinen Nervenzusammenbruch erwartet hat und sich in keiner Weise hat darauf vorbereiten können.
Aber da muss noch etwas anderes sein. Irgendetwas an dem, was passiert ist, hat die Psychologin so sehr aus dem Konzept gebracht, dass sie jegliche fachliche Kompetenz auf einen Schlag verloren hat.
Aber was in aller Welt kann das sein?
Im Prinzip ist der Schwarzhaarige doch nicht anders, als jeder ihrer Patienten, wenn man einmal davon absieht, dass diese für gewöhnlich keine machtsüchtigen Halbgötter sind.
Obwohl, ist Loki das eigentlich?
Maria ist sich mittlerweile mit überhaupt nichts mehr sicher, was sie bisher über ihn gedacht hat.
Bevor sie ihn das erste Mal gesehen hat, war sie der festen Überzeugung, dass der Mann durch und durch böse ist und es nichts an ihm gibt, was noch in irgendeiner Weise menschlich und gut ist. Doch diese Sicht auf ihn begann spätestens mit dem Gespräch mit Thor über ihn stark zu bröckeln. Der Zusammenbruch von heute hat dann noch sein übriges getan.
Der Schwarzhaarige ist viel mehr ein emotionales und gebrochenen Wrak als ein Bösewicht. Maria will sich gar nicht vorstellen, was er schon alles hat durchmachen müssen und wie schwer es ihm gefallen sein muss, seine Maske alles anderen gegenüber so lange aufrecht zu erhalten.
Wann und vorallem wie ist all diese Trauer und dieser Schmerz in Wut und Zorn umgeschlagen?
Wiso hat der junge Gott sich augenscheinlich spontan dazu entschieden die Erde anzugreifen, wenn die Menschen rein gar nichts mit seiner so verhängnisvollen Vergangenheit zu tun haben?
All diese Fragen schwirren Maria auf einmal durch den Kopf und sie kann sich auf keine einzige eine Erklärung geben. Und das wird sie vermutlich auch in Zukunft nicht mehr können, da sie Loki vermutlich nie wieder zu Gesicht bekommen wird um ihn fragen zu können.
Die Frau schließt mit einem traurigen Seufzen die Augen und lässt ihren Kopf in den Nacken fallen.
Sie wird weder Antworten auf ihre Fragen bekommen noch den Avengers die ihren beantworten können. Sie kann Loki nicht mehr helfen und sie wird nichts tun können um noch etwas an seiner ziemlich aussichtslosen Situation zu ändern. Denn weder die Menschen, noch sein eigener Bruder scheinen ihn zu verstehen und haben noch weniger Ahnung von Loki als die Psychologin selbst. Und da sie vermutlich nach ihrem gescheiterten Versuch keinen anderen Therapeuten dazuziehen werden, wird sich ihnen der Schwarzhaarige auch nicht öffnen. Sie werden das gleiche, falsche Bild von ihm behalten und ihm so seinem Schicksal in Asgard überlassen, was mit ziemlicher Sicherheit auch nicht besonders rosig aussehen wird. Loki wird nie wider die Chance haben, sein Handeln zu erklären oder die Sicht auf ihn zu ändern.
Allein deshalb wünscht sich Maria schon, noch einmal zurückkommen zu dürfen. Doch das erscheint ihr immer unwahrscheinlicher und wird vermutlich auch nie passieren, da ihre viel zu schwerwiegenden Fehler einfach nicht wieder rückgängig zu machen, gleichzeitig jedoch genauso unverzeihlich sind.
Ihr bleibt also nichts anderes übrig als auf das Beste zu hoffen und die Zeit bis zur Gewissheit irgendwie zu überstehen.

- I'm here for you - (Loki FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt