4. Kapitel

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1 Monat später

    Einen Monat später hatte Flo sich deutlich von dem Unfall erholt.
    Mittlerweile hatte er erfahren, dass wohl einen Autounfall gehabt hatte. Irgendetwas in seinem Auto war überhitzt, dadurch hatte er die Kontrolle über seinen Wagen verloren und war mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h gegen einen Baum gekracht. Zu allem Überfluss hatte auch noch der Airbag nicht ausgelöst, er konnte von Glück sagen, dass er überhaupt überlebt und ohne bleibende Schäden, mal abgesehen von seinen fehlenden Erinnerungen, geblieben war.
    Ein paar Tage nachdem er aufgewacht und sich wieder einigermaßen erholt hatte, sodass er wenigstens wieder ohne Hilfe trinken konnte, war die Polizei aufgetaucht und hatte ihn befragen wollen, doch da er sich nach wie vor an nichts erinnerte , waren die Ermittlungen ohne Erfolg geblieben. Er hatte die beiden Polizisten am Ende gefragt, warum sie ihn überhaupt befragten. Sie hatten nur geantwortet, das diene nur der Aufklärung des Unfalls, sie müssten das tun, aus diversen Gründen. Danach hatten sie sich freundlich verabschiedet, ihm gute Besserung gewünscht und waren gegangen und Flo hatte sie nie wieder gesehen.
    Dafür hatten seine Familie sämtliche Fotoalben, die sie besaßen mitgebracht und weil er sie mehrmals darum bat auch den Artikel über seinen Unfall. Eigentlich hatte er darüber gar nichts erfahren sollen, doch weil Niki sich verplapperte, hatte er es doch herausgefunden. Die Sache hatte größere Schlagzeilen gemacht, als er erwartet hatte. Seine Familie hatte ihn zwar über seine Fußballkarriere aufgeklärt - er hatte Saison für einen Bundesligisten gespielt und das nicht einmal schlecht - doch mit diesem Ausmaß hätte er nicht gerechnet. Auf einer Titelseite war er in riesengroß zu sehen. Er schien gerade seinen Gegner auszudribbeln, auf seinem Gesicht war ein leichtes Lächeln zu sehen. Über seinem Kopf stand in fetten Buchstaben die Überschrift, darunter war ein ausführlicher Artikel geschrieben:

Youngster schwer verletzt: Muss Gladbach ohne einen weiteren Hoffnungsträger in die neue Saison starten?
Gestern Abend wurde der Gladbacher Youngster Florian Neuhaus (22) schwer verletzt in eine Klinik eingeliefert. Er war mit seinem Auto gegen einen Baum gefahren, berichtete ein Augenzeuge, der den Unfall beobachtete und daraufhin Polizei und Krankenwagen verständigte. Genauere Informationen der Polizei gab es zu dem Unfall jedoch noch nicht, auch die Familie wollte sich nicht äußern.
Nach Informationen der Redaktion, wurde Neuhaus jedoch sofort notoperiert und in ein künstliches Koma versetzt, wann er wieder aufwacht bleibt abzuwarten.
Noch am Tag zuvor soll der Youngster gesehen worden sein, wie er sich mit einer weiblichen Person stritt. Neuhaus stellte zwar nie offiziell eine Partnerin vor, doch auch andere Profifußballer hielten ihre Beziehungen aus Schutz vor der Öffentlichkeit schon geheim. Bis jetzt ist noch völlig ungeklärt, wieso er nicht versuchte zu bremsen, als er mit voller Geschwindigkeit auf den Baum zufuhr. Es bleibt abzuwarten, was die Ermittlungen der Polizei hervorbringen, fraglicher ist nun erstmal, wie schnell und vor allem wie gut sich Neuhaus von den Blessuren des Unfalls erholt.
Mit Thorgan Hazard verlies diesen Sommer bereits ein Leistungsträger die Borussia und wechselte zum Ligakonkurrenten Dortmund. Verliert Gladbach nun auch noch einen zweiten Leistungs- und Hoffnungsträger für die Zukunft? Auf diese Frage wollte Manager Max Eberl zunächst nicht antworten: "Wir warten erstmal ab und wünschen Flo alles Gute, damit er schnell wieder gesund wird", antwortete er auf Bild Anfrage. "Natürlich macht sich die Mannschaft da Gedanken, aber nicht wegen der Auswirkung auf ihre spielerische Leistung, sondern wegen Flo als Mensch. Er war durch und durch beliebt bei uns."
Neuhaus war vor allem wegen seiner standhaft starken Leistungen auf seiner Position im Mittelfeld zum Stammspieler aufgerückt, außerdem agierte er als großartiger Vorlagengeber und glänzte vor allem durch die seine trickreiche Spielweise und der Pässe, mit denen er oft ganze Abwehrreihen im richtigen Moment überspielte.

    In diesem Moment hatte Flo aufgeschaut und seiner Familie ungläubig ins Gesicht geschaut. Sein Vater hatte geschnaubt: "Ich hab's dir ja gesagt."
    Und dieser Artikel war nur der Anfang einer ganzen Reihe gewesen. Als herausgekommen war, dass er wirklich im Koma lag, hatte es eine ganze Reihe von Schlagzeilen gegeben. Flo rechnete es seiner Familie hoch an, dass sie bis heute kein Wort zu den Medien gesagt hatten. Sein Verein und auch einige der Spieler hatten jedoch eine Aktion gestartet, ein Bild auf Social media zu posten, mit der Caption #prayingforflo. Nachdem Flo sich an die Handys gewöhnt hatte und ihm seine Familie, und auch Linda, geholfen hatten die alltäglichen Dinge des Lebens zu verstehen, ging es ihm schon deutlich besser.
    In den letzten Wochen waren auch ein paar wenige Freunde, die er gehabt hatte, vorbeigekommen. Zuerst war Flo ein wenig enttäuscht gewesen, doch dann hatte ihm Daniel, den er jetzt nur noch Dani nannte, zugeflüstert, dass seine Eltern nicht wollten, dass er zu viel Besuch bekam, da sie dachten er sei damit überfordert. Zuerst war Flo ein wenig sauer - er war immerhin mehr als volljährig -, doch nachdem er zum ersten Mal Besuch bekommen hatte, wusste er, dass sie, zumindest zum Teil, Recht hatten.
    Doch ab heute würde es hoffentlich anders werden. Flo platzte fast vor Tatendrang, als er an diesem Morgen aufwachte. Heute sollte er auf eine normale Station verlegt werden. Alles schien sich zum besseren zu wenden, nur seine Erinnerungen kamen nicht zurück, als hätte er sie irgendwo eingeschlossen und den Schlüssel weggeworfen.
    Vor ungefähr 2 Wochen war er das erste Mal wieder aufgestanden. Sein Doktor hatte darauf bestanden, dass er davor seine Muskeln trainierte und aufbaute. Auch das war, wie er feststellen musste, eine richtige Entscheidung gewesen. Als er das erste Mal stand, mit Unterstützung von irgendeinem Gerät aus Metallstangen, auf die er sich stützen konnte, waren ihm fast seine Beine weg geknickt. Er hatte es gerade Mal auf die andere Seite seines Bettes geschafft, bevor er nicht mehr konnte. Mittlerweile hatte er sich so sehr verbessert, dass er den Flur der Intensivstation einmal hoch und wieder runterlaufen konnte.
    Trotzdem wurde er heute in einem Rollstuhl auf die neue Station gefahren, auch wenn er zuerst dagegen protestiert hatte. „Entweder das oder wir karren dich in dem Bett rüber", hatte Doktor Harrison nur gesagt und war aus dem Zimmer gegangen, ohne Flo die Chance zu lassen noch einmal zu widersprechen, sodass er widerstrebend zugestimmt hatte.
    Linda grinste, als sie ihm die Tasche mit seinen wichtigsten Sachen reichte, die er auf dem Schoß behalten würde, während sie ihn schob. „Auf gehts!"  Er musterte sie. Als sie es bemerkte, warf sie ihm einen Blick zu, dem er rasch auswich. Er wusste, dass er sie in irgendeine idiotische Art und Weise vermissen würde. Sie hatten viel gesprochen in letzter Zeit, er hatte ihr Sachen erzählt, die er nicht einmal seiner Familie anvertrauen konnte - seine Ängste, seine Sorgen. Vielleicht würde er sie ab und zu nochmal wiedersehen, sie verließ ja nicht das Krankenhaus oder die Stadt, sondern blieb einfach nur auf ihrer Station und er wechselte seine, doch die freundschaftlichen Gespräche würden ihm fehlen. Und doch war er für sie nur ein Patient. Immerhin hatte sie mit hunderten von Patienten zu tun, das ganze Jahr lang.
    „Yep. Los gehts", antwortete er, mit nicht ganz so viel Elan wie sie. Natürlich bemerkte sie, das etwas nicht stimmte und natürlich wusste sie auch was los war, es gab nicht viele Gründe traurig zu sein, wenn sein Leben endlich wieder ein Stück normaler werden sollte: „Hey. Nicht traurig sein", sie hockte sich vor ihn, sodass sie beide auf Augenhöhe waren. „Ich kann ja ab und zu mal vorbeikommen." Er zog die Augenbrauen hoch: „Echt?" Sie nickte: „Klar. Und sobald du hier raus bist und wieder Fußball spielen kannst, komm ich mal ins Stadion. Dann kann ich allen Mädchen die dir hinterherlaufen sagen, ich kenn dich." Er lachte. Sie schaffte es immer ihn aufzumuntern. Auch sie lächelte ihn an: „Wollen wir dann?"
    Er nickte: „Ja."

    Seine Familie wartete bereits in seinem Zimmer auf ihn. Er war in der obersten Station untergebracht, der für Privatpatienten und hatte dementsprechend auch ein Einzelzimmer. Sein Zimmer war hell gestrichen, die Wand gegenüber des Bettes, an der ein großer Flachbildfernseher hing, war mit hellem Holz vertäfelt. Darunter stand ein Tisch mit einer Vase und frischen Blumen darin. Links neben dem Bett, das frisch bezogen war, war sein Kleiderschrank und rechts befand sich neben einer Tür, hinter der er ein kleines Bad vermutete, Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten. Flo schaute sich um: „Cool!"
    Linda grinste und nahm ihm die Tasche ab: „Sag ich doch. Viel besser als meine langweilige Intensivstation." Flo verdrehte die Augen, lächelte aber dabei: „Das stimmt nicht und das weißt du." Er bemerkte, wie sich seine Eltern lächelnd einen Blick zuwarfen. „Doch das stimmt", antwortete sie, lud seine Tasche auf dem Bett ab und drehte sich, die Arme in die Seiten gestemmt wieder um. „Ich find es ja selber viel schöner hier."  Flo zuckte mit den Schultern: „Na gut. Es ist schon toll ohne die ganzen Geräte." „Na siehst du", sie lächelte, kam auf ihn zu und die beiden umarmten sich ein letztes mal: „Ich muss jetzt wieder zurück auf die Station. Bis irgendwann mal Flo." „Tschau", antwortete er und drehte seinen Rollstuhl so, dass er ihr nachschauen konnte, wie sie das Zimmer verließ. Nachdem sie verschwunden war, atmete er einmal tief durch, dann wandte er sich seiner Familie zu: „Also... Hat wer Lust auf eine Runde Schwimmen?"
    Sie hatten angefangen dieses Kartenspiel zu spielen, nachdem sie alle Fotos durchgeschaut hatten. Als sie fertig damit waren, und auch mit dem ewigen Geschichten erzählen, war mit einem Mal diese Befangenheit wieder da gewesen und da hatte Flos Vater gefragt, ob jemand Lust auf dieses Spiel hatte. Die Regeln waren simpel. Jeder hatte eine bestimmte Anzahl Karten und musste versuchen sich auf einen möglichst hohen Betrag zu tauschen. Sie hatten dieses Spiel die letzten Wochen wieder und wieder gespielt, mal in Teams, mal einzeln gegeneinander. Doch heute tauschten seine Eltern einen Blick.
    „Wir würden dir gerne erstmal was zeigen", sagte sein Vater zögerlich. Flo hob eine Augenbraue. „Was denn?" „Naja", sagte seine Mutter, zog ihren Rucksack ab und holte ein Heft heraus: „Es ist wohl irgendwie durchgesickert, dass du wieder wach bist."
    Flo griff nach dem Heft, die neueste Ausgabe vom Kicker. Wieder einmal sah er sich, riesengroß, in einem Trikot der Fußballmannschaft Borussia Mönchengladbach, dem Verein in dem er spielte, wie ihm seine Familie erklärt hatte. Die Schlagzeile lautete:

Star wieder zum Leben erweckt: Florian Neuhaus (22) aus Koma erwacht

    Flo lächelte ein wenig belustigt: „Ich wusste ja gar nicht, dass ich mal tot war." Er blickte auf und sah die besorgten Blicke seiner Eltern: „Es war doch klar, dass das irgendwann rauskommt. Das ist okay für mich wirklich." Er stand auf, lief die wenigen Schritte bis zum Bett - obwohl ihm laufen ohne Hilfe immer noch schwer fiel - und lies sich darauf fallen. Das Heft legte er auf sein Nachtschränkchen. Den Artikel würde er später lesen.
    „Bevor ich aber wieder Fußball spielen kann, sollte ich erstmal wieder richtig laufen können." Er kicherte. Daniel, der genauso wie Niki auf einem der Stühle an dem kleinen Tisch saß, meldete sich zu Wort: „Ich hab euch doch gesagt, dass es ihm nichts ausmacht. Der Junge ist hart im nehmen." Flo grinste und nickte. Ihre Eltern wechselten einen weiteren Blick, dann zuckte sein Vater mit den Schultern und zog das Kartenspiel aus dem Rucksack seiner Frau: „Na gut, dann spielen wir eben." Niki rutschte mit seinem Stuhl näher an das Bett heran: „Ihr werdet verlieren lernen."  Flo schnaubte: „Das werden wir ja noch sehen kleiner Bruder." Bei diesen Worten fing Niki an zu strahlen. Es war das erste Mal, dass Flo ihn wieder kleiner Bruder genannt hatte. Auch Flo entging das nicht und er lächelte in sich hinein, während er seine Karten musterte. Zum ersten Mal seit langem war er wieder richtig glücklich.

Wie schön es doch ist an einem Samstag Abend eine Klatsche von 6:0 gegen die Bayern zu kassieren... Und das wenn der Tag eigentlich toll war.

AngelfootWo Geschichten leben. Entdecke jetzt