Flo hatte eine Gänsehaut nach der anderen. Das Stadion war erst zur Hälfte gefüllt, doch schon jetzt schien der Boden unter ihm zu beben.
Lars hatte Recht gehabt. Sobald er den Rasen betrat waren alle Zweifel, Ängste und selbst seine Aufregung verschwunden. Dieses Gefühl im Kessel zu stehen, - und sie spielten nicht einmal, sondern wärmten sich nur auf - war unbeschreiblich. Er fühlte sich, als könnte er alles erreichen. Es war unglaublich
Kurz bevor sie wieder zurück in die Kabine mussten, begann Knippi die Mannschaftsaufstellungen vorzutragen. Er fing mit den Gästen an, danach kam zuerst die Gladbacher Bank und als letztes die Startelf. Das Stadion schien zu beben, wenn die Fans die Nachnamen der Spieler schrien. Bei Tony hallte nicht nur „Jantschke", sondern auch „Fußballgott", durch den Borussia Park. Chris fing Flos Blick auf, als er an ihm vorbeilief und zwinkerte ihm zu. Flo war der vorletzte der aufgerufen wurde, weil nur Rocco Reitz eine höhere Rückennummer hatte.
„Und nun, nach über 8 Monaten zurück: FLORIAN..." „NEUHAUS", donnerte es durch das Stadion. Flo zog eine Gänsehaut den ganzen Rücken herunter. Knippi musste kurz warten, weil ein Applaus durch das ganze Stadion lief, bevor er weitermachte.
Die restlichen Minuten, vom erneuten Einlaufen ins Stadion, über den Anpfiff, die Halbzeitpause, erneute Kabinengespräche, bis hin zu einem spektakulären Tor von Ramy Bensebaini, zogen an Flo vorbei wie in einem Traum. Einem guten diesmal, nicht einem Albtraum. Mehrmals fragte er sich, ob er nicht wirklich friedlich in seinem Bett schlummerte, aber dann erinnerte ihn ein Aufschrei von den Fans, wenn das Tor knapp verpasst wurde, ein Pfeifkonzert oder sein Trainer, der vor ihm nervös hin und her lief und ab und zu seinen Senf zu einer Entscheidung des Schiris gab, daran, dass alles real war und wirklich passierte.
Dann, in der 65. Minute, als gerade einer der Mainzer verletzt am Boden lag, drehte sich Daniel Farke um und ging zur Bank. Zu Flos Enttäuschung ging er jedoch zu Hannes Wolf, klopfte ihm einmal auf die Schulter und sagte etwas, dass Flo nicht verstehen konnte, ging danach weiter zu Toni Jantschke und... - blieb vor Flo stehen. Flo schaute nach oben, in die Augen seines Trainers, der ihn nur anstrahlte und sagte: „Auf geht's." Flo schluckte und plötzlich war es, als hätte jemand am Lautstärkeregler des Stadions gedreht und mit einem Mal wurde ihm bewusst wie laut es im Stadion war. Pfiffe, Schreie, Gesänge, das alles schien nun mit einer Wucht auf ihn einzuprasseln, dass es ihn zu erdrücken drohte. Trotzdem stand er auf und schloss sich Hannes an, der sich auf den Weg zum Aufwärmbereich, neben der Nordkurve des Stadions machte.
Es dauerte nicht lange, bis die Fans ihn bemerkten, aber Flo versuchte sie zu ignorieren und sich nur auf sich selbst zu konzentrieren. Er musste sich in sich hinein fühlen, jede einzelne seiner Bewegungen spüren und alles andere war egal. Mechanisch durchlief er die Aufwärmstationen. Mittlerweile war er so gut in Form, dass er danach kaum außer Atem war. Einer der Co-Trainer war bei ihnen und warf immer wieder Blicke in Richtung Farke. Flo hatte keine Ahnung wie viel Zeit vergangen war - es hätten 2 Minuten aber auch 20 Minuten sein können - als er die drei schließlich zu sich winkte und mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, dass sie wieder Richtung Auswechselbank gehen sollten. Toni und Hannes liefen ein Stück vor Flo und unterhielten sich, doch seine Kehle war wie ausgetrocknet.
Als er bei der Bank ankam, erwartete ihn ein aufmunterndes Lächeln des Trainers, der nach einem kurzen Blick aufs Spielfeld zu ihm herüberkam: „Aufgeregt?" Flo nickte nur, er brachte keinen Ton heraus. Daniel klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter: „Zeig denen was du drauf hast, wird schon schiefgehen." Flo zog das Trainingsshirt aus, während sein Trainer zurück an die Seitenlinie ging. Währenddessen warf er einen kurzen Blick auf den Spielstand. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn er ein Tor verpasst hatte. Aber nein, Ramys Treffer blieb der einzige des heutigen Nachmittags - bis jetzt. Wer wusste denn, was noch kommen würde?
Es dauerte ein paar Minuten, bis es eine Unterbrechung gab, in der es Daniel Farke erlaubt war zu wechseln (auch wenn diese Unterbrechung leider der Ausgleich der Mainzer war). Flo hielt die Luft an, als er den Schiri am anderen Ende des Feldes das Zeichen zum Wechseln geben sah. Es schien, als würde das ganze Stadion genauso reagieren. Oder war das nur wieder dieses Rauschen in seinen Ohren? Er hatte keine Ahnung, aber es war ihm auch egal. Er begann zu zittern. Ob vor Kälte oder vor Aufregung wusste er nicht. Um ein bisschen nervöse Energie abzubauen, lief er auf der Stelle. Matze Ginter war der erste der das Feld verließ, woraufhin Tony Jantschke lostrabte, um seinen Platz in der Innenverteidigung einzunehmen. Danach kam Lars, der mit einem Strahlen im Gesicht zuerst Hannes abklatschte und danach Flo umarmte.
Chris war der Letzte. Er drehte sich noch einmal zum Publikum um und applaudierte ihnen zu, während sie seinen Namen schrien, bevor er vor Flo zum stehen kam und ihn, wie Lars, umarmte.
Und dann war der Moment gekommen, auf den Flo so lange gewartet und auf den er so lange hingearbeitet hatte. Wie schon beim aufwärmen, war seine Nervosität ab dem Augenblick verschwunden, als sein Fuß auf den Rasen traf. Genau wie auch Tony und Hannes nahm er Chris Platz ein. Wage registrierte er, dass das Stadion bebte. Endlich traute er sich, einen Blick Richtung Fans zu werfen und bekam prompt eine Gänsehaut. Jeder einzelne im Publikum stand und klatschte. Flo konnte nicht verhindern, dass ein Strahlen sich über sein ganzes Gesicht zog. Womit hatte er das verdient?Aline bereute ihre Entscheidung, sobald sie die Tür hinter sich zuzog. Sie könnte jetzt in ihrem Bett liegen, gemütlich eine Folge Brooklyn 99 gucken und stattdessen würde sie sich jetzt ein Fußballspiel anschauen. Ihr Vater hatte viel mit Fußball zu tun gehabt, bevor sie hierher gekommen waren, aber sie hatte sich nie dafür interessiert. Wenigstens würde sie zusammen mit Elena und Katie danach ein paar Muffins backen und es sich richtig gemütlich machen. Und sie hatte es ihnen versprochen.
Es dauerte nur 5 Minuten, bis sie vor Elenas Haustür stand. Mittlerweile waren 3 Monate vergangen und sie hatte sich mit ihr und Katie immer besser angefreundet. Diese riss jetzt die Tür auf und umarmte sie zur Begrüßung. „Heyy!" „Na", antwortete Aline. „Wo ist denn Elena?" Katie zeigte mit dem Finger über ihre Schulter Richtung Wohnzimmer: „Die konnte sich nicht vom Fernseher losreißen. Florian Neuhaus steht heute wieder im Kader." Sie kicherte. „Und sie ist sauer, dass die nicht mehr darüber reden, sondern tatsächlich über das Spiel." Aline grinste. „Typisch." Da ertönte ein Ruf aus dem Wohnzimmer: „Könntet ihr vielleicht wenigstens über mich lästern, wenn ich nicht jedes Wort verstehen kann?"
Wenig später saßen die drei nebeneinander auf dem Sofa und unterhielten sich, während im Hintergrund Werbung lief. „Wie siehts bei dir eigentlich aus beim Thema Jungs?", fragte Katie Aline, während sie sich einen Chip aus der Tüte fischte, die Elena ihr hinhielt. „Oder bist du lesbisch?" „Nö", erwiderte Aline, nahm sich ebenfalls eine Handvoll Chips und lehnte sich zurück. Sie überlegte einen Moment, bevor sie auf ihre Frage antwortete: „Ich mein es gibt da schon so einen Jungen... aber das ist kompliziert." Elena runzelte die Stirn: „Inwiefern?" Aline blickte auf die Chips in ihren Händen und zuckte mit den Schultern: „Wir...", sie verstummte einen Moment. „Keine Ahnung. Irgendwie haben wir uns aus den Augen verloren." „Mmmh", machte Katie. „Habt ihr keine Nummern ausgetauscht oder so?" Aline schüttelte den Kopf. „Hast du mal nach seinem Insta gesucht?", schlug Elena vor und zog ihr Handy hervor. „Wie heißt er denn?" „Nein, ich...", Aline seufzte. „Ich weiß nicht mal wie er mit Nachnamen heißt. Außerdem haben wir uns seit 2 Jahren oder so nicht mehr gesehen. Er hat bestimmt längst eine Freundin." Ihr Blick fiel auf den Fernseher. „Schaut mal das Spiel geht gleich los."
Elena und Katie verstanden ihren Wink mit dem Zaunpfahl, dass sie nicht weiter darüber reden wollte und sprachen das Thema nicht mehr an, auch wenn Aline die verstohlenen Blicke sah, die sie sich zuwarfen. Aber sie wollte wirklich nicht über ihren Freund reden. Obwohl es dafür einen anderen Grund gab, als sie gesagt hatte. Sie war sich sehr sicher, dass er keine Freundin hatte. Er war jemand, der sich an Versprechen hielt, besonders wenn er sie ihr gegeben hatte. Sie hatte sowieso schon viel zu viel Zeit damit verbracht, darüber zu grübeln, wo er gerade war und ob er auch an sie dachte oder sie sogar suchte. Aber auch jetzt versank sie wieder in Gedanken an ihn, seine schokobraunen Augen, die Haare, in exakt derselben Farbe und dieses Lächeln, dass sich jedes Mal über sein Gesicht zog, wenn er sie anschaute. Gott, wie sie ihn vermisste. Wo er wohl gerade war...?
Elena riss sie brutal aus ihrer Tagträumerei, als sie die Arme nach oben riss und „JAAA", schrie. Aline zuckte zusammen und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher, auf dem gerade die Wiederholung eines Fallrückziehers von der Gladbacher Nummer 25 gezeigt wurde. Elena strahlte: „Ich liebe Ramy für so was!" Katie lächelte, warf Aline einen so-läuft-das-jedes-Mal-Blick zu und schüttelte nur den Kopf.
Irgendwann drifteten Alines Gedanken wieder ab. Auch Katie fing nach 20 Minuten an, irgendein sinnloses Spiel auf ihrem Handy zu spielen, doch sie tat wenigstens noch so, als würde sie sich wenigstens ein bisschen für das Spiel interessieren, während Aline gedankenverloren aus dem Fenster starrte und fast nichts mehr mitbekam. Erst als Halbzeit war, und Elena sie fragte, ob sie etwas trinken wollte, wurde ihr bewusst, wie viel Zeit vergangen war. Anscheinend war ihre geistige Abwesenheit doch nicht so offensichtlich gewesen, wie sie gedacht hatte. Elena strahlte von einem Ohr bis zum anderen, als sie zuerst Katie und dann Aline eine Flasche reichte: „Also wie findet ihr das Spiel bis jetzt?" Aline blinzelte und warf Katie einen Hilfesuchenden Blick zu, die sich räusperte und sagte: „Ähm, doch ja, ist ganz gut." Aline nickte zustimmend. Elena schaute von einem zum anderen, prustete los, nahm ein Kissen vom Sofa und warf es in ihre Richtung. „Immerhin sagt ihr mir nicht direkt ins Gesicht, wie scheiße ihr Fußball eigentlich findet. Nächstes Mal können wir wieder was anderes machen. Versprochen." Auch Katie und Aline kicherten los: „Bedeutet das wir müssen jetzt die zweite Halbzeit nicht mehr gucken?" Elena fiel die Kinnlade herunter: „Was? Nein. Ich... Flo steht doch heute im Kader." Sie bekam nur Gelächter als Antwort. Aline wischte sich ein Lachträne aus dem Augenwinkel: „Das war nur ein Witz. Wenn wir uns das schon antun, dann richtig." Katie nickte zustimmend und versuchte eine ernste Miene aufzusetzen, was ihr jedoch nicht besonders gut gelang. Elena schaute immer noch verdattert von einem zum anderen, dann schüttelte sie nur den Kopf und wandte sich wieder dem Fernseher zu.- 28.10.22
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Angelfoot
FanfictionEin junger Prinz, dazu bestimmt seine Jahre auf der Erde zu verbringen. Ein Unfall, der ihm das Gedächtnis raubt. Ein Team für das er alles gibt. Ein außergewöhnlicher Weg zu sich selbst zurück. Ein Leben, das ihn für immer verändern wird. ...