24. Kapitel

11 1 0
                                    

Die Fans bemerkten ihn zuerst gar nicht. Sie schauten seinen Kameraden zu, die gerade dabei waren sich aufzuwärmen. Offensichtlich waren sie doch noch nicht so lange draußen, wie er geglaubt hatte, denn sie waren noch dabei sich aufzuwärmen. Erst als er das Tor öffnete und es quietschte, gab es ein paar Blicke in seine Richtung. Und ein Raunen, dass durch die Menge lief und immer lauter wurde, gefolgt von dem Klicken der Kameras der Reporter, die am Rand stationiert waren. Flo schluckte, beachtete sie nicht und joggte zum Trainerteam, hauptsächlich, weil er ein wenig weiter weg und schlechter zu erkennen sein wollte. Der Trainer bemerkte ihn, lächelte ihm zu und rief den Spielern noch ein letztes Kommando zu, bevor er sich zu Flo umdrehte, der gerade bei ihm ankam.
„Na wie gehts?"
„Ganz gut", antwortete Flo und trabte ein paar Schritte auf der Stelle: „ein bisschen aufgeregt."
„Ach, das wird schon", Daniel zwinkerte ihm zu. „Weißt du was du zu tun hast?"
Flo nickte und zog den gefalteten Zettel hervor, den er sich in seine Hosentasche geschoben hatte und hielt ihn ihm unter die Nase. Inzwischen war er ein wenig zerknittert.
„Na dann leg mal los", sein Trainer zwinkerte ihm zu und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. Flo war sich sehr bewusst, dass jeder dieser Momente gerade aufgezeichnet wurde, lief aber gehorsam los zu einer freien Ecke, etwas abseits von den anderen, und startete mit Aufwärmungsübungen.

Eineinhalb Stunden später war Flo fertig mit allem, was ihm aufgetragen worden war und setzte sich an den Rand des Trainingsplatzes, um den anderen noch ein wenig zuzusehen. Chris hatte Recht gehabt, sie spielten wirklich viel. Flo nahm einen Schluck aus seiner Flasche, lehnte sich zurück und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Zum Glück befand sich die Bank, auf der er sich niedergelassen hatte, auf der gegenüberliegenden Seite des Eingangs und der Fans. Er wollte den Moment einfach genießen und alleine sein. Chris zwinkerte ihm kurz zu, als er an Flo vorbei hinter Lazi Benés her rannte, der ihn jedoch langsam aber sicher abschüttelte und den Ball an Jordan Beyer weitergab. Flo lächelte zurück, doch das bemerkte Chris schon nicht mehr.
Die Zeit verging schnell. Als seine Teamkameraden begannen die Sachen wegzuräumen und Flo auf die Uhr schaute, war er überrascht, dass schon eine ganze Stunde vergangen war. Er stand auf und joggte locker zu Chris, um zu sehen ob er ihm helfen konnte. Sein Team hatte verloren, deshalb mussten sie die Sachen wegbringen. Doch bevor er bei ihm ankam, rief eine Stimme hinter ihm: „Ey Flo!" Als er sich umdrehte, konnte er den Ball, der auf ihn zuflog, gerade noch so abfangen. Lars lachte, als er seine verblüffte Miene sah und schloss dann in langsamen Trab zu ihm auf. „Na, wie ist es wieder hier zu sein?" Flo hob nur grinsend einen Daumen, statt zu antworten. Lars lächelte ebenfalls und zog ihn am Ellenbogen mit, als er hinter Chris und den anderen her in die Kammer wollte, in der die Tore und die Bälle gehörten. „Komm mit, wir gehen zu den Fans, die warten schon die ganze Zeit auf dich." Er stieß einen lauten Pfiff aus und nahm Flo den Ball schon wieder ab: „Tobi! Nehm den mal!"
Der Torhüter fing den Ball auf, stopfte ihn in das Ballnetz, das er in der Hand hielt, und nickte ihnen einmal zu, bevor er hinter den anderen her trottete. Lars hatte sich inzwischen schon wieder in Bewegung gesetzt. „Keine Angst, die beißen nicht." „Ach was", antwortete Flo trocken. „Jetzt hast du mir grade meine größte Angst genommen." Lars lachte leise, wurde dann aber schnell wieder ernst. „Die werden dich jetzt mit Fragen bombardieren, aber ignorier einfach das was du nicht beantworten willst. Einfach nett lächeln, ein paar Sachen unterschreiben, freundlich antworten und dann ist das schnell vorbei."
„Du tust grade so, als würdest du das richtig scheiße finden", Flo grinste. Wieder lachte Lars, doch weil sie jetzt in Hörweite der Fans kamen, ließ er sich nur zu einem „eher das Gegenteil" als Antwort herab.
Es waren nicht viele Leute da, wenn Flo richtig sah, vielleicht gerade einmal 20. Trotzdem reichte ihm das für den Anfang. Die Fans schienen sich überhaupt nicht für Lars oder andere aus dem Team, die hinter ihnen herkamen, zu interessieren, sondern nur für ihn. Er war freundlich, sprach mit jedem ein paar Worte, beantwortete aber, wie Lars ihm geraten hatte, nicht sehr viele Fragen. Dafür unterschrieb er auf allem, was ihm unter die Nase gehalten wurde, machte ein paar Bilder und brachte einen kleinen Jungen zum strahlen, der zu schüchtern war, ihn nach einem Autogramm zu fragen. Irgendwann wurde das gezwungene Lächeln, dass er am Anfang aufgesetzt hatte, echt und er genoss den Moment. Er nahm sich Zeit mit den Fans, irgendwann tauchten auch Chris und die anderen gemeinsam mit den Trainern auf.
Der letzte in der Reihe der Besucher, die nun doch Unterschriften und Fotos mit den anderen Spielern wollten, war ein junger Mann etwa in Flos Alter mit dunklen Haaren, der sich nicht so wirklich traute, ihm in die Augen zu schauen. Stattdessen hielt er ihm einfach wortlos eine Karte hin, auf der er unterschreiben sollte. Flo fand das zwar ein bisschen komisch, sagte aber nichts und gab ihm die Karte zurück, woraufhin der Mann dankbar lächelte und doch hochschaute.
Flo runzelte die Stirn: „Hey... Kennen wir uns nicht irgendwoher?", etwas schien in den Augen des Mannes aufzuflackern, doch er schüttelte schnell den Kopf, räusperte sich und sagte: „Nicht dass ich wüsste." Flo musterte ihn noch einmal und zuckte mit den Schultern: „Dann hab ich dich wohl mit wem verwechselt. Sorry." „Kein Problem", er rang sich ein Lächeln ab, drehte sich dann aber um und ging schnellen Schrittes davon. Flo schaute ihm stirnrunzelnd hinterher. Er war sich sicher diesen Mann schon einmal gesehen zu haben und er war sich genauso sicher, dass es irgendwann nach seinem Gedächtnisverlust gewesen war. Die Frage war nur woher er ihn kannte...
In diesem Moment stupste ihn Chris von hinten an. „Wollen wir?" „Klar", Flo verdrängte den Mann aus seinen Gedanken. Wenn er sich nicht an ihn erinnerte, konnte er auch nicht so wichtig gewesen sein. Gemeinsam mit Chris lief er zur Kabine zurück, um sich umzuziehen. „Und, wie wars?", fragte Chris, sobald sie wieder im Gebäude und damit ganz sicher waren, dass die Fans sie nicht mehr hören konnten. „Ganz cool", Flo grinste. „Ich bin mal gespannt, was die jetzt über dich schreiben", erwiderte Chris. „Wir haben die ja mal sowas von auf dem kalten Fuß erwischt." „Stimmt", Flo lachte. „Oh Mann, diese Gesichter, als ich aus der Tür kam." Chris stieg mit ein. „Aber wirklich. Das war großartig."

Warmes Wasser prasselte auf Flos Schultern. Er legte den Kopf in den Nacken und genoss das entspannende Gefühl, dass es in seinen geschundenen Muskeln auslöste. Heute war Samstag, sein zweiter Ruhetag dieser Woche, den sein Körper auch eindeutig brauchte. Mittlerweile wäre er dankbar für eine einzige Trainingseinheit mit Alex. Wie er bereits am Anfang vermutet hatte, hatte es das Aufbautraining wirklich in sich und jeder einzelne seiner Muskeln ließ ihn das spüren. Jeden morgen erwachte er mit Muskelkater, doch als er Chris davon erzählt hatte, hatte dieser nur gelacht und ihm gesagt, beim Trainingsstart ginge ihm das jedes Mal so. „Das geht vorbei", hatte er ihm versichert und danach hatten die beiden das Thema auf sich beruhen lassen. Es gab ohnehin viel spannendere Sachen zu besprechen. Zum Beispiel die Schlagzeilen, die Flo ausgelöst hatte. Bereits am Tag nach Training Nummer 2 war er riesengroß auf vielen Titelblättern zu sehen gewesen:
„Wunderkind zurück auf dem Trainingsplatz!"
„Riesenüberraschung bei Borussia"
„Flo Neuhaus - wo kommt der denn auf einmal her??"
So war es die nächsten Tage weiter gegangen. Irgendwann waren die Texte und Titel so albern geworden, dass man nur noch darüber lachen konnte und das hatten Chris und Flo auch auf jeder Fahrt getan. Flo hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen, so wie immer, und Chris die lustigsten Stellen vorgelesen. Das waren mit Abstand die lustigsten Momente gewesen, die er in letzter Zeit gehabt hatte. Langsam drehte er das Wasser ab. Während er aus der Dusche trat und sich ein Handtuch vom Haken schnappte, warf er einen Blick auf die Uhr. Schon fast halb 12. Er hatte den Samstag genutzt um auszuschlafen. Gleich, so hatte er beschlossen, würde er sein Mittagessen bei einer Folge Prison Break verspeisen. Danach war er mit Melina und ihrem Freund, der großer Gladbach-Fan war, verabredet, um mit ihnen ins Stadion zu fahren. Er hatte die Karten besorgt, dafür würden ihn die beiden mitnehmen.
Diese Abhängigkeit von anderen, sobald er weiter als 2 Kilometer weg musste, nervte Flo. Er hatte schon bei mehreren Fahrschulen angerufen und mit Glück bei einer noch einen Platz bekommen. Zuerst hieß es nun Theoriestunden. Wenn er daran dachte, wie er das mit dem Training unter einen Hut bringen sollte, hatte er schon jetzt keine Lust mehr. Aber die paar Monate würden sich lohnen und danach wäre er wieder wirklich frei. Erst gestern hatte er mit seiner Familie telefoniert und Niki hatte ihm voller Stolz erzählt, dass auch er mit dem Führerschein angefangen hatte. Allerdings für das Moped, nicht für das Auto, dafür war er noch nicht alt genug. Flo lächelte, als er daran dachte. In letzter Zeit war sein Leben wirklich nahezu perfekt.
Als er sich angezogen hatte, lief er ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Mit der Hand fuhr er ein paar mal durch seine nassen Haare, die er nur einmal kurz mit einem Handtuch trocken gerieben hatte. Dank der Heizung, die er aufgedreht hatte, brauchte er keinen Föhn. Er hatte in der Woche festgestellt, dass er nicht einmal einen besaß. Aber gut, wenn er früher schon der Meinung gewesen war, dass er keinen brauchte, brauchte er auch heute keinen.
Nach einer halben Folge ließ ihn sein knurrender Magen auf Pause drücken. Zeit fürs Mittagessen. Heute hatte er keine Motivation, deshalb schob er nur schnell einen Teller mit Nudeln von gestern in die Mikrowelle und wartete 2 Minuten ab, bis sie warm war. Danach machte er sich wieder auf den Weg zum Sofa, aber nicht ohne noch einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Draußen regnete es in Strömen. Er beneidete die Jungs nicht darum, heute spielen zu müssen. Selbst wenn der Regen bis heute Nachmittag aufgehört hatte, war der Platz rutschig und würde mit Sicherheit nicht gut zu bespielen sein. Er gähnte, während er den Teller abstellte und sich hinsetzte. Er hätte noch länger liegen bleiben sollen. Egal, jetzt war er wach und seine Serie war definitiv zu spannend, um jetzt aufzuhören und sich wieder schlafen zu legen.
Bevor er jedoch weiter schaute, warf er kurz einen Blick auf sein Handy. Weil er die Instagram-Benachrichtigungen ausgeschaltet hatte, war sein Homebildschirm mittlerweile um einiges übersichtlicher. Chris hatte ihm geschrieben, genauso wie Melina, die fragte, ob es bei 2 Uhr treffen blieb. Und... eine unterdrückte Nummer hatte ihm geschrieben. Flo runzelte die Stirn, als er die Nachricht aufrief. Als er las, was der Unbekannte geschrieben hatte, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter:
Ich werde dir das Leben zur Hölle machen für das was du getan hast.
Was hatte das zu bedeuten?

- 24.06.22

AngelfootWo Geschichten leben. Entdecke jetzt