7. Kapitel

30 3 0
                                    

Der nächste Tag war ein Montag. Eigentlich nichts besonderes. Doch es bedeutete, dass Flo den ganzen Morgen alleine sein würde. Seine Eltern würden erst nachmittags vorbeikommen, weil Niki länger Schule hatte. Er gähnte, streckte sich und schaute zum Fenster. Die Sonne war hinter ein paar Wolken verschwunden, doch am Horizont kündigte blauer Himmel einen schönen Tag an.
Sein Frühstück war noch nicht da, deshalb griff er nach seinem Handy, das noch von gestern auf seinem Nachttisch lag und schaltete es an. Er konnte sich gar nicht erinnern es ausgeschaltet zu haben... Einen Moment später wurde der Bildschirm hell und es dauerte einen Moment, bis dutzende von Nachrichten aufploppten. Offenbar hatte er mit seinem Kommentar gestern eine Welle von Aufregung ausgelöst. Mal abgesehen von den Tausenden von Likes, die er erhalten hatte, hatte er ein paar hundert Antworten bekommen und etwa genauso viele Nachrichten. Kein Wunder, dass sein Handy offenbar abgestürzt war.
Die Nachrichten waren nett. Von get well soon!, bis Bald stehst du wieder auf dem Feld und wir vermissen dich :(, war alles dabei.
Er lächelte. Auf gewisse Weise war es schön, zu hören wie sich alle um ihn sorgten.

Die Tage vergingen und langsam stellte sich ein Rhythmus für Flo ein. Er wachte früh auf. Nach einer Woche begann er damit morgens einen Spaziergang zu machen. Zuerst sagte er noch jeden Tag einer Schwester Bescheid, doch irgendwann wusste er, sie würde wissen wo er war. Danach kehrte er auf sein Zimmer zurück und frühstückte. Den Morgen verbrachte er meist damit alles über Fußball zu lesen, was er in die Finger bekam. Egal ob es um eine Mannschaft, um eine bestimmte Taktik, das letzte Spiel oder die neusten Transfers ging, er verschlang alles und auch Sendungen blieben nicht verschont. Bald kannte er sich so gut aus, dass er problemlos ein ganzes Spiel hätte kommentieren können, ohne das ihm ein einziger Fehler unterlief.
Am Nachmittag kam seine Familie vorbei und meistens gingen sie noch einmal nach draußen. Die frische Luft tat Flo gut, genauso wie die Spaziergänge. Er begann stärker zu werden und bald brauchte er weder Rollstuhl noch Krücken. Er hätte sogar angefangen richtig zu trainieren, wenn Doktor Harrison es ihm nicht strikt verboten hätte.
„Das kannst du machen, wenn ich es dir sage. Ich will nicht das du irgendwelche Langzeitschäden davon trägst, nur weil du nicht noch ein oder zwei Monate warten konntest", hatte er gesagt. Flo hatte protestieren wollen: „Aber Doktor!" „Ich kann dir nichts verbieten", hatte ihn der Arzt unterbrochen. „Du bist ein freier Mann", sein Blick war hart. „Aber ich glaube ich kann das Risiko dann doch ein wenig besser einschätzen, als du. Du weißt, dass dieser Bruch in deinem Bein von dem Unfall kompliziert war. Ich sage es nochmal, du hast Glück dass du richtig laufen kannst." Dieses Gespräch hatten sie davor schon zwei mal geführt. „Wenn du jetzt unverantwortliche Sachen machst, ist das deine Sache, aber ich kann dir mit 80 prozentiger Sicherheit sagen, dass das nicht gut ausgeht. Und wenn du dann nicht mehr richtig laufen kannst, brauch ich dir wohl nicht zu erklären, was das für deine Fußballkarriere bedeutet." Danach mit schnellen Schritten aus dem Zimmer verschwunden.
Flo hatte ihm hinterhergestarrt. So hatte er ihn noch nie sprechen gehört. Normalerweise war er immer freundlich und vor allem verständnisvoll.
Dieses Gespräch war nun zwei Wochen her und sie hatten nicht mehr über dieses Thema gesprochen. Langsam wurde Flo langweilig. Immer nur in seinem Zimmer sitzen und nichts tun zu können, hatte im gut getan, doch nun wanderte er fast nur noch herum. Linda kam ab und zu vorbei und dann unternahmen sie etwas zusammen, gingen spazieren oder genehmigten sich in dem kleinen Krankenhaus Café einen Cappuccino. Wenn er mit ihr zusammen war vergaß er die Zeit und fühlte sich einfach nur wohl.
Über Malcolm hatten sie weder gesprochen, noch hatte Flo ihn wiedergesehen, doch jetzt träumte er nicht nur von Eis und Schnee - unglücklicherweise waren seine Träume nicht ganz verschwunden, so wie er gehofft hatte - sondern von Eis und Schnee und Malcolm, der ihn jagte. Flo wusste noch nicht einmal warum er solche Angst vor dem Typen hatte. Er hatte zwar geschaut, als würde er ihn ermorden wollen, aber die Verabschiedung hatte doch eigentlich ganz... nett? geklungen. Aber was machte er sich vor, der Typ hatte ziemlich deutlich gemacht, dass er ihn nicht mochte.
Ganz im Gegensatz zu seinen Teamkameraden. Flo lächelte, als er daran dachte. Chris Kramer und Oscar Wendt waren letzte Woche zusammen mit Captain Lars Stindl vorbeigekommen. Zuerst waren sie unsicher gewesen, ähnlich seiner Familie, doch als Flo einmal das Thema Fußball angesprochen hatte, war die Stimmung super und es gab sofort genug Gesprächsthemen.
Die drei erzählten viel, vom Training, den Spielen und auch Geschichten, von Zeiten, als Flo noch gar nicht im Team gewesen war und noch in Düsseldorf gespielt hatte und solche Namen wie Kruse, Korb und Hahn aktuell gewesen waren. Besonders Chris sprach ihm immer wieder gut zu, dass er es sicher schaffen würde zurückzukommen und er nur noch stärker werden würde.
Sie redeten und redeten und vergaßen ganz die Zeit, bis seine Familie irgendwann hereinschneite und sich die drei verabschiedeten.

Es war bereits später Nachmittag, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete und Doktor Harrison hereinkam. Die Familie schaute auf. Über die Zeit hatten sich bei Flo im Zimmer etliche Spiele angesammelt und heute waren sie dabei eine der ewig langen Monopoly Runden zu spielen, die aus irgendeinem Grund immer Dani gewann.
Dieses Mal war der Doktor allerdings nicht allein, sondern hatte zwei weitere Ärzte dabei. Flo meinte sich wage an sie erinnern zu können, von dem Tag, als er das erste Mal aufgewacht war, doch ganz sicher war er sich nicht mehr. Dennoch, wenn er zusätzliche Verstärkung dabei hatte, musste der Arzt etwas großes zu besprechen zu haben.
„Guten Abend", begrüßte sie Doktor Harrison und atmete einmal tief durch. „Flo, wenn ich vorstellen darf: Das sind Doktor Martens", die kleine blonde an seiner Seite hob lächelnd die Hand. „Und Doktor Helen." Der etwas ältere an seiner anderen Seite winkte, ebenfalls lächelnd.
„Sie haben mich bei deiner Behandlung unterstützt und mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Sozusagen im Hintergrund die Fäden gezogen", fuhr der Arzt vor und erlaubte sich ein Grinsen. „Ich wusste aber, dass zu viele Menschen auf einmal dich nur überfordert hätten, deshalb bin ich immer alleine gekommen. Aber ich dachte beim..." - er atmete einmal tief durch - „Abschlussgespräch sollten sie wohl besser dabei sein."
Zuerst realisierte Flo gar nicht, was der Arzt gesagt hatte. Dann klappte ihm die Kinnlade herunter. „Abschlussgespräch?", er musste sicher gehen, dass er richtig gehört hatte. Doktor Harrison lächelte über seine Ungläubigkeit: „Naja, zwar noch nicht so wirklich Abschlussgespräch, aber in ein bis zwei Tagen könnten wir dich entlassen."
Flo starrte in ein wenig sprachlos an, dann begann er zu strahlen: „Wirklich? Das ist ja...", er wusste nicht was er sagen sollte. Tatsächlich hatte er ein paar Mal darüber nachgedacht, dass er irgendwann entlassen werden würde, doch er hätte nicht erwartet, dass es so schnell gehen würde. Doktor Martens trat vor: „Wir würden dich in eine Reha Klinik einweisen. Gerade wegen deines Jobs musst du wieder fit werden. Das hast du zwar auch schon ganz gut alleine geschafft", sie zwinkerte ihm zu. „Aber dort wird man viel individueller auf dich eingehen können, als wir hier."
„Danke das ist toll!"
Nun übernahm wieder Doktor Harrison das Wort, allerdings schien er Flo nicht mehr in die Augen blicken zu können: „Dir ist aber klar was das bedeutet oder? Das wir dich jetzt entlassen." Flo schluckte. Er wusste es tatsächlich: „Vermutlich das mein Gedächtnis nicht mehr zurückkehrt oder?", stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, seine gute Laune war wie weggeblasen. Der Arzt nickte zögernd: „Ich hab mit den besten Experten in diesem Gebiet gesprochen und Ihnen deine Bilder gezeigt. Sie wussten auch nicht was zu machen ist. Du... Ihr könnt euch natürlich gerne eine zweite Meinung einholen, aber wir haben bereits alles versucht. Es tut mir leid", beim letzten Satz schaute er auf, Flo erkannte einen bittenden Ausdruck in seinen Augen.
„Schon gut", er zwang sich zu einem Lächeln. „Ich weiß, dass sie nichts dafür können. Danke trotzdem." Der Arzt lächelte ebenfalls, wenn auch eher vorsichtig: „Gut. Du musst natürlich regelmäßig zu Nachuntersuchungen kommen. Aber das besprechen wir dann beim wirklichen Abschlussgespräch." Flo nickte, immer noch angestrengt lächelnd.
„Ok... Dann...", der Arzt nickte ihm und seiner Familie einmal kurz zu, dann lief er zur Tür und verschwand. Flo konnte nur an die Wand starren. War er wirklich überrascht davon? Nicht wirklich. Je länger es gedauert hatte, desto unwahrscheinlicher war es geworden, dass er seine Erinnerungen je wieder zurückbekommen würde. Aber ein kleines Fünkchen Hoffnung war immer da gewesen. Auch wenn er sich dessen vielleicht nicht bewusst gewesen war. Und das war jetzt weg.
Flo spürte die Blicke seiner Familie auf sich. „Alles gut?", fragte Dani vorsichtig. Flo atmete tief durch und nickte zögernd: „Ich... Könntet ihr mich vielleicht einen Moment alleine lassen?" „Klar", antwortete sein Vater und stand auf. „Wir hätten sowieso bald losgemusst."
Seine Mutter warf ihm einen besorgten Blick zu: „Ist das ok für dich?" „Na klar", wieder nickte Flo, diesmal überzeugender. „Ist schon gut."
„Na gut", sie musterte ihn noch einmal besorgt, als könnte sie seinen Worten nicht trauen, dann stand auch sie auf.
Als sich die Tür hinter seiner Familie geschlossen hatte, ließ Flo sich in seine Kissen zurücksinken. Er schloss die Augen und versuchte sich nur auf seinen Atem zu konzentrieren. Das war das Einzige was er aus den Stunden mit dem Psychodoktor gelernt hatte. Wenn er Panik bekam, sollte er sich auf etwas anderes konzentrieren und versuchen nicht mehr daran zu denken. Blöd nur, dass dieses Problem nicht so einfach aus den Gedanken zu verbannen war, wie ein immer wiederkehrender Traum - wobei selbst das zugegebenermaßen nicht sehr einfach war.
Er drehte sich auf die Seite, zog die Decke hoch und starrte aus dem Fenster den Sonnenuntergang an. Er wünschte der Mond wäre schon da, wie in seiner ersten Nacht hier. Irgendwie schien es ihn zu trösten, wenn er vom Himmel schien.
Er musste wohl irgendwie akzeptieren, dass sein Leben von ihm aus gesehen an dem Punkt startete, an dem er aus dem Koma erwacht war. Wie sollte er das schaffen? Er hatte seine gesamte Kindheit verpasst. Beziehungsweise wusste er nichts mehr davon. Er musste definitiv seine Eltern bitten ihm ein paar Geschichten zu erzählen... Und trotzdem war es nicht dasselbe. Es wäre immer unterschiedlich etwas selbst mit erlebt zu haben und etwas nur aus Erzählungen zu kennen.
Er seufzte, drehte sich wieder auf den Rücken und starrte stattdessen die Decke an. Aber was konnte er ändern? Er konnte nur versuchen die positiven Dinge zu sehen und ebenso positiv zu denken. Er hatte einen Neustart bekommen. Das war doch gut, irgendwie? Aber er hatte auch Freunde verloren, Zeit verloren, wichtige Dinge aus seinem alten Leben vergessen. Immerhin wusste er jetzt, wer seine wahren Freunde waren und Niki und Dani zählten definitiv dazu. Genauso Chris, Lars und auch Oscar. Außerdem hatte er jetzt die Erkenntnis wie schnell das Leben vorbei sein konnte und deshalb würde er nicht mehr ‚vor sich hin' leben, sondern impulsiv und ohne Nachzudenken. Naja, vielleicht nicht ganz, aber wenigstens öfter als er es sonst getan hatte. Was sollte er auch sonst tun?
Ein wenig beruhigt und tatsächlich abgelenkt, nahm er das Buch, dass seine Eltern ihm geschenkt hatten von seinem Nachttisch und versuchte sich auf die Geschichte zu konzentrieren. Doch tief im Inneren wusste er, dass er sich nur etwas vormachte. Er hatte definitiv noch nicht mit seinem Gedächtnisverlust abgeschlossen und das würde noch eine ganze Weile dauern, wenn er es überhaupt schaffen würde...

Frisch zurück mit einem neuen Kapitel yaaay. Die Saison abgeschlossen und nur knapp international verpasst... Ich würd lügen würd ich sagen ich bin nicht froh, dass die Saison vorbei ist. Freu mich auf Adi, bin mal gespannt was er mit den Jungs so anstellt und was an Transfers so über die Bühne geht :)
- 03.04.21

AngelfootWo Geschichten leben. Entdecke jetzt