Mit finsterer Miene starrte Flo durch die Scheibe von Kais Auto, auf das immer noch die Regentropfen trommelten: „Ich hasse mein Leben."
Kai neben ihm wischte sich die Lachtränen aus den Augen und prustete direkt wieder los: „Dieses... dieses Bild werde ich nie vergessen! Maaan, ich wünschte ich hätte das auf Video." „Ich nicht", antwortete Flo, dessen Laune sich mittlerweile so tief im Keller befand, wie sie heute morgen gut gewesen war. „Und erinner mich bitte daran nie wieder im Regen in die Stadt zu gehen." Das brachte Kai wieder so sehr zum Lachen, dass er sich auf dem Lenkrad abstützen musste, um nicht vom Sitz zu rutschen. Flo schwieg einen Moment beleidigt, dann unterbrach er Kais Gelächter: „Können wir bitte jetzt losfahren? Mir wird kalt." „Klar", kicherte Kai und warf den Motor an, woraufhin das Radio startete, das natürlich prompt Señorita abspielte. Flo stöhnte auf, Kai jedoch bekam einen weiteren Lachkick und brachte nur noch „Das ist Karma Flo, das ist Karma!" heraus, bevor er keine Luft mehr bekam.
Flo antwortete nicht, sondern starrte nur griesgrämig aus seinem Fenster, während er an eine halbe Stunde zuvor dachte, als noch alles in Ordnung war.
„Guck mal", sagte Kai, als er aus der Umkleide trat. „Sieht das nicht sexy aus?" Flo starrte Kai mit aufgerissenen Augen an und musterte ihn einmal von oben bis unten. Er trug eine weite Hose, eine rot-weiß kariertes Hemd und kakifarbene Hosenträger. „Ich... ähm-", Flo wusste nicht was er sagen sollte. Kai grinste. Flo stand auf: „Warte mal." Er ging zu der Umkleidekabine aus der Kai gerade gekommen war und streckte den Kopf herein, als würde er irgendetwas suchen. Als er wieder herauskam, starrte Kai ihn ein wenig perplex an: „Was war das denn?" „Ach", antwortete Flo. „Ich hab nur geguckt, ob es in der Umkleide keinen Spiegel gab. Hat sich aber rausgestellt, du hast einfach nur den schlechtesten Geschmack, den ich kenne."
Kai runzelte die Stirn: „Hey!"
Flo hob entschuldigend die Hände: „Tut mir leid... Ist halt so." Kai drehte sich ungläubig zu dem Spiegel um, der außen neben den Kabinen an der Wand angebracht war. „Ist doch mal was anderes." Flo schüttelte nur lachend den Kopf. „Ich glaub das solltest du lassen." Kai seufzte: „Na gut. Wenn du meinst." Als er den Vorhang der Kabine wieder zurückschob, um sich auf Flos Rat hin umzuziehen, hielt Flo ihn zurück. „Warte", Er zog sein Handy hervor. „Davon brauch ich ein Erinnerungsfoto." Kais Blick hätte töten können, doch er lies Flo sein Bild machen und stapfte danach erneut in die Kabine.
Kurz darauf kam er mit seinen normalen Klamotten bekleidet wieder heraus. Die anderen hatte er über dem Arm. „Wo hatte ich die denn jetzt her?" Flo zeugte nach links in den Gang: „Ich weiß nicht wo genau du das ausgegraben hast, aber du kamst von da drüben."
Immer noch grummelnd zog Kai von dannen. Als er wiederkam stand Flo noch an derselben Stelle wie zuvor. Er hatte nicht ansatzweise so viel Spaß am shoppen wie Kai, seine Füße taten weh und das einzige was er wollte war, sich irgendwo hinzusetzen und am besten etwas zu essen. „Jetzt mach nicht so ein Gesicht", sagte Kai. „Ich sollte derjenige sein, der beleidigt ist." Das brachte Flo dann doch zum Lächeln. „Außerdem", redete Kai weiter, der sich schon auf dem Weg zum nächsten Klamottenständer befand, „brauchst du solche Erfahrungen. Glaub mir wenn du mal eine Freundin hast, wird das noch viel viel schlimmer." Flo stöhnte, trottete Kai hinterher und rief: „Auf diese Erfahrung hätt ich trotzdem gerne verzichtet." Kai lachte nur.
Bis auf wenige andere Menschen war das Geschäft, in dem sie sich befanden, leer. Flo achtete darauf keinen direkt anzugucken und bis jetzt schien diese Taktik ganz gut zu klappen. Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie das werden würde, wenn er wieder richtig trainieren würde. Er seufzte. Und schon waren seine Gedanken wieder bei dem Thema angekommen. In den letzten Tagen drehte sich alles, woran er dachte nur darum und er begann eine richtige Panik vor seinem ersten Tag zu entwickeln. Er hatte keine Ahnung woran es lag, aber so langsam nervte es ihn, schließlich war das alles worauf er hingearbeitet hatte und davor nun Angst zu bekommen, war ja auch irgendwie albern oder nicht?
„Nicht gut?", fragte Kai, der sein Seufzen falsch interpretiert hatte, und riss ihn damit aus seinen Gedanken. Er hielt eine etwas weitere, helle Jeanshose hoch, damit Flo sie sich anschauen konnte. Dieser schob seine Gedanken entschlossen weg. Dafür war jetzt nicht die Zeit, er konnte auch später noch darüber nachdenken. Bevor er jedoch Kai versichern konnte, dass diese Wahl definitiv besser war als seine letzte, kam ihm hinter ihm eine Stimme zuvor: „Also ich find das passt eigentlich ganz gut." Flo zuckte zusammen, drehte sich um und sah sich einer jungen Verkäuferin gegenüber, die er ungefähr in seinem Alter schätzte.
Sie lächelte ihnen freundlich zu. „Braucht ihr vielleicht Hilfe?" Bevor Kai ihm dazwischenkommen konnte, antwortete Flo: „Ja. Mein Freund hier ist anscheinend shoppingsüchtig, das Problem ist allerdings, dass er absolut keinen Geschmack hat was Klamotten angeht. Ich frag mich sowieso, wie er es bis jetzt geschafft hat halbwegs anständig auszusehen." „Ich wollte mal was neues ausprobieren!", protestierte Kai. Die Verkäuferin grinste, während Flo ihr erklärte: „Rot-weißes Hemd, Hosenträger und 'ne Jeans." Sie lachte und musterte Kai einmal von oben bis unten: „Also..." Kai wandte sich genervt ab, faltete die Hose fein säuberlich zusammen, legte sie zurück auf den Stapel und grummelte währenddessen vor sich hin: „Ihr habt doch alle keine Ahnung. Andere hätten das super gefunden." „Klar Kai", Flo lachte. „Und am Nordpol tanzen grade Eisbären Macarena." „Woher willst du denn überhaupt wissen, was gut aussieht?", fuhr ihn Kai an, der jetzt richtig schlechte Laune hatte. Doch Flo nahm es gelassen und tippte sich nur an den Kopf: „Instinkt Kai. Instinkt."
Bevor das Gespräch noch weiter ausarten konnte, denn Kai sah aus, als hätte er gerade einen unschönen Satz auf der Zunge, den er Flo an den Kopf werfen wollte, schritt die Verkäuferin ein: „Wenn ihr euch draußen an die Kehle gehen wollt von mir aus, aber bitte macht das nicht hier drin, dann bin ich nämlich gezwungen euch Hausverbot zu geben."
Kai und Flo verstummten beide und sahen sie an. Sie zuckte nur mit den Schultern und wechselte das Thema: „Und außerdem, ich fand die Hose gut. Probier sie doch mal an." „Na gut", murmelte Kai, immer noch beleidigt und verschwand - erneut - in der Umkleidekabine. Zwischen Flo und der Verkäuferin machte sich ein unangenehmes Schweigen breit. Flo wollte die Stille gerne unterbrechen, hatte aber keine Ahnung, über was er mit einer wildfremden Person reden sollte. Ihr ging es anscheinend genauso, denn sie schaute auf ihre Füße, bis sie dachte Flo würde wegschauen und musterte ihn dann von oben bis unten. Flo lächelte ihr etwas zurückhaltend zu, als er es bemerkte.
Sie holte tief Luft: „Sag mal...", Flo schoss ein Adrenalinstoß durch den Körper. Wenn sie ihn jetzt auch nur ansatzweise etwas wegen Fußball fragte, wäre er nicht in der Lage ihr zu antworten. Seine Kehle war wie zugeschnürt, er spürte wie die Panik langsam in ihm hochstieg und sein einziger Wunsch war in diesem Moment, Kai würde mal hinne machen und sich schneller umziehen. Er hatte keine Ahnung woher es kam, aber er hatte eine riesige Angst davor, erkannt zu werden. Doch sie fragte ihn etwas ganz anderes. Und diese Frage kam so unerwartet, dass Flo, trotz der Tatsache, dass sie nichts mit Fußball zu tun hatte, für ein paar Sekunden nicht in der Lage war zu antworten. „Tut mir leid, wenn das jetzt zu persönlich kommt, aber... seid ihr zusammen?"
Flo starrte sie verdattert an, dann lächelte er vorsichtig: „Nein, wir sind nur gut befreundet." „Schade", sie seufzte. „Ihr beide hättet ein süßes Paar abgegeben." Flo zuckte mit den Schultern: „Dann tut mir leid Ihnen das sagen zu müssen, aber sind wir nicht. Außerdem existiert für Kai sowieso nur die Eine. Oder ist es ein der?", den letzten Satz rief er in Richtung Kai, der wenige Sekunden später aus der Umkleidekabine kam, jedoch nicht mit einem Wort antwortete. Stattdessen stellte er sich vor den Spiegel, vor dem Flo und die Verkäuferin standen und fuhr sich demonstrativ mit größtem Interesse durch die Haare, als wäre eine unordentlich Frisur das größte Problem aller Zeiten. Die Verkäuferin warf Flo hinter Kais Rücken ein Grinsen zu, dass dieser schmunzelnd erwiderte.
Dann drehte Kai sich um und posierte in der Jeans, die er nun trug. Flo musterte ihn von oben bis unten. Es sah gut aus. Das fand offenbar auch die Verkäuferin. Ihre belustigende Miene war durch eine konzentrierte ersetzt worden und sie runzelte die Stirn: „Warte mal kurz." Eine Sekunde später war sie um eine Ecke verschwunden. Kai warf Flo einen verwirrten Blick zu, der nur, genauso überrascht, die Schultern hob. Doch es dauerte nicht lange, da war sie wieder zurück, dieses Mal mit einem Haufen Pullis über dem Arm, die sie Kai in die Hand drückte. „Zieh die mal an. Die sehen immer sehr gut zu solchen Hosen", sie deutete auf die, die Kai gerade trug, „aus." „Äh... okay", immer noch etwas überfordert drehte Kai sich um und begab sich auf den Rückweg zu seiner Kabine. Das Mädchen, das Flo mittlerweile an einen Welpen erinnerte, der seine fünf Minuten hatte, sauste weiter herum und kam kurz darauf mit weiteren Kleidungsstücken zurück (zwei Hosen und noch ein Pulli), die sie, weil Kai nicht da war, Flo gab. Als sie noch einmal verschwinden wollte, hielt Flo sie jedoch auf. „Äh... ich glaube das reicht erstmal", er lachte nervös. Sie stieg, mit einem echten Lachen, ein: „Tut mir leid. Manchmal, wenn ich so im Flow bin..." Flo winkte ab: „Alles gut. Wenigstens hat Kai dann endlich mal wieder ein paar ordentliche Sachen im Schrank." „Das hab ich gehört", antwortete Kai, der in diesem Moment aus der Umkleide trat.
Seine Haare waren noch verwuschelt, vom überziehen des Pullis, den er jetzt trug. Er war etwas weiter geschnitten, wie die Hose, hatte eine violette Farbe und vorne einen Aufdruck, den Flo jedoch beim besten Willen nicht entziffern konnte. Die Verkäuferin neben ihm strahlte: „Das sieht doch super aus!" Flo nickte zustimmend. Kai drehte sich zum Spiegel um, betrachtete sich von jeder Seite und nickte dann ebenfalls: „Das nehm ich." Die Verkäuferin strahlte: „Klasse! Magst du die anderen auch noch anprobieren?" Kai grinste: „Aber na klar doch!" Flo seufzte. Das konnte ein langer Nachmittag werden.
Zweieinhalb Stunden später war Flo kurz vorm verhungern, als Kai endlich bezahlte und seine drei vollbepackten Tüten entgegennahm. Flo schaute ihn kopfschüttelnd an: „Du bist doch echt verrückt." Kai zuckte mit den Schultern: „Wenigstens hab ich was gekauft im Gegensatz zu dir." Flo grinste, lief rückwärts durch die Eingangstür und schaute lachend dabei zu, wie Kai sich vergeblich bemühte ihm mit den Tüten hinterher zu kommen. „Kannst du mir nicht mal helfen?", fragte Kai griesgrämig. Flo grinste nur, legte den Kopf ein wenig schief und machte ihn nach: „Wenigstens pass ich durch die Tür im Gegensatz zu dir." Er schlug wieder seinen normalen Tonfall an: „Ich warte dann beim Auto." Er machte noch einen Schritt rückwärts, wollte sich umdrehen und davonschlendern. Allerdings hatte er die Breite des Bordsteins überschätzt, denn als sein Fuß trat ins Leere. Für einen Moment versuchte er noch wild mit den Armen rudernd das Gleichgewicht zu halten, doch dann saß er auf dem Boden - mitten in einer Pfütze. So schnell er konnte erhob er sich, aber verhindern, dass alle seine Klamotten nun triefend nass waren, konnte er trotzdem nicht. Kai, der lauthals loslachte, lies ihn aufblicken. Er hatte seine Tüten mit seiner neuen Kleidung fallen gelassen und hielt sich den Bauch vor Lachen. Zu Flos Verdruss tauchte auch noch die Verkäuferin hinter Kai auf, die neugierig schauen wollte, was passiert war. „Was ist denn los?", fragte sie Kai, während Flo griesgrämig da stand und sich von ihm auslachen lies. Kai brachte kaum ein Wort heraus vor Lachen: „Er... Er...", er brach ab und bekam erneut einen Lachflash, der ihn so sehr schüttelte, dass er kaum noch aufrecht stehen konnte. Stattdessen antwortete Flo: „Ich bin in die Pfütze gefallen." Er sah, wie große Mühe sie sich gab, nicht auch noch zu lachen, doch ein Lächeln konnte sie sich auch nicht verkneifen. Flo seufzte, verdrehte die Augen, drehte sich um und stapfte, jetzt mit seiner Laune am Tiefpunkt angelangt, zurück zum Auto. Damit war sein Tag gelaufen.- 30.11.21
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Angelfoot
FanfictionEin junger Prinz, dazu bestimmt seine Jahre auf der Erde zu verbringen. Ein Unfall, der ihm das Gedächtnis raubt. Ein Team für das er alles gibt. Ein außergewöhnlicher Weg zu sich selbst zurück. Ein Leben, das ihn für immer verändern wird. ...