25. Kapitel

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    „Alles gut?" Melina warf Flo einen besorgten Seitenblick zu. Seit sie ihn abgeholt hatten, schwieg er, bis auf die Begrüßung, eisern und hatte noch kein Wort zu dem Spiel heute verloren. Dabei wusste sie, wie sehr er sich darauf gefreut hatte. Die ganze letzte Woche hatte er kaum über irgendetwas anderes geredet.
    Er nickte nur, starrte jedoch unentwegt auf sein Handy. Sie musterte ihn noch einmal im Rückspiegel: „Okay."
    Er bemerkte ihren Blick, lächelte und steckte sein Handy weg, das er während der ganzen Fahrt kein einziges Mal aus der Hand gelegt hatte. „Wirklich. Ich freu mich auf heute." Das hörte sich zwar nicht besonders überzeugend an, aber immerhin hatte sie ihn zum reden gebracht, was schon ein Fortschritt war. Deshalb gab sie sich mit der Antwort zufrieden, zumal sowieso Jayden antwortete. Melina warf ihrem Freund einen Seitenblick zu. Sie liebte diesen Kerl wirklich. Auch, wenn er dazu neigte, sehr viel zu reden, wenn er aufgeregt war, wie gerade in diesem Moment. Als sie ihm das erste Mal erzählt hatte, dass sie Florian Neuhaus in ihrem Café bedient hatte, war er nicht mehr zu bremsen gewesen und hatte ihr eine Stunde lang alles über den Kerl erzählt, was er wusste. Witzigerweise hatte er jedoch dann, als er Flo das erste Mal getroffen hatte kein einziges Wort herausbekommen und ihn nur angestarrt, als wäre er ein Gott. Zum Glück hatte sich diese Aufregung nach kurzer Zeit gelegt und die beiden verstanden sich mittlerweile wirklich gut.
    „Ich freu mich auch", antwortete er. „Das Spiel wird so krass, und dann ist dein Comeback gleich ein Derby, du kannst dich so glücklich schätzen." Flo lächelte gutmütig: „Ein richtiges Comeback ist das aber nicht Jayden. Ich bin nur als Zuschauer da." „Stimmt", antwortete Melinas Freund. „Aber die Fans werden dich trotzdem feiern." „Wenn du das sagst", Flo grinste.
    Melina musste ein Lächeln unterdrücken, als sie den beiden zuhörte.

    Eine halbe Stunde später waren sie auf ihren Plätzen angekommen. Zum Glück hatten sie das Stadion nicht durch die normalen Gänge betreten, sonst hätten sie wohl nie rechtzeitig zum Anpfiff gesessen. Bis jetzt hatten ihn nur wenige Fans bemerkt, aber Flo wusste, dass Knippi, der Stadionsprecher, ihn ankündigen würde.
    Von ihren Plätzen auf der Vip-Tribüne hatten sie guten Blick auf den Gästeblock. Es war noch etwa eine Dreiviertelstunde bis Anpfiff, deshalb war er schon jetzt gut gefühlt. Die ersten Kölner begangen sogar schon mit „Wir schmeißen Stein und Bein auf die Elf vom Niederrhein"-Gesänge. Flo verdrehte nur die Augen. Sie hatten eine sehr gute Bilanz gegen die Kölner und die Jungs waren verdammt gut drauf, mal davon abgesehen, dass der Fc Richtung Abstiegplätze tendierte. Er zweifelte nicht daran, dass sie gewinnen würden.
    In diesem Moment trabten auch die Spieler nacheinander auf die Plätze. Während die Gladbacher Spieler von Knippi angekündigt und bejubelt wurden, bekamen die Gegner größtenteils Pfiffe. Bis auf ihren Fanblock natürlich, vor dem sie sich aufwärmten. Flo ließ seinen Blick über das Spielfeld wandern und stellte sich vor, wie er dort unten stehen würde. Wie der Stadionsprecher ihn ankündigen würde, die Fans seinen Namen rufen würden. Eine Gänsehaut rieselte ihm den Rücken herunter. Was musste das für ein Gefühl sein.
    Er zuckte zusammen, als ihn plötzlich jemand an der Schulter antippte. Melina stand hinter ihm und hielt ihm eine Bratwurst entgegen. „So wie du sie gerne magst", sie grinste. Flo lächelte: „Danke." Sie sprang über die Stühle eine Reihe zu ihnen herunter und ließ sich auf ihren Platz, zwischen ihm und Jayden, fallen. Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und Flo fühlte sich ein wenig wie das dritte Rad am Wagen. Er ließ seinen Blick über die Spieler schweifen und brauchte nicht lang, bis er Chris gefunden hatte. Der trabte neben Lars her und absolvierte Aufwärmübungen. Irgendwie war es komisch zu wissen, dass nun 51.000 Menschen auf seine Teamkameraden herabschauten, mit denen er gestern noch Witze gerissen hatte.
    Es dauerte lange, zumindest fühlte es sich für Flo so an, bis Knippi endlich begann und die Mannschaftsaufstellung durchsagte: Sommer, Elvedi, Ginter, Lainer, Bensebaini, Kramer, Zakaria, Stindl, Hofmann, Embolo und Thuram. Flo bekam eine Gänsehaut nach der anderen, als er die Namen mitschrie. Wahrscheinlich würde er gleich beim Spiel einen Nervenzusammenbruch kriegen, wenn sein Herz jetzt schon so sehr hämmerte. Danach ging der Stadionsprecher die Ersatzbank durch. Weil es im Kader neben Flos Verletzung auch noch ein paar weitere Ausfälle gab, waren einige der jungen Spieler dabei, die er schon beim Training kennengelernt hatte. Zeit darüber nachzudenken hatte er allerdings keine, denn Knippi fuhr fort: „Bevor wir nun aber gleich zu unserer Hymne kommen, möchte ich euch noch bitten einen ganz besonderen Gast zu begrüßen. Doooort", er drehte sich zu Flo: „in der Westkurve sitzt er, zum ersten Mal seit 5 Monaten wieder hier, im Borussia Park. Meine Damen und Herren, Florian NEUHAUS." Im nächsten Moment war Flo auf den Bildschirmen zu sehen, auf denen während des Spiels der Spielstand angezeigt wurde und er sah sich selbst lächeln, während das Stadion in Applaus und Pfiffe ausbrach. Knippi sprach weiter, allerdings konnte Flo nicht verstehen, was er sagte, deshalb winkte er nur ab und 10 Sekunden später war es vorbei und sein Bild verschwunden. Als er sich sicher war, dass er nicht mehr zu sehen war, atmete er einmal tief durch und beugte sich zu Melina herüber: „'ne Ahnung was Knippi grad gesagt hat?" „Nö", sie schüttelte den Kopf. Jayden hatte ihre Unterhaltung mitbekommen: „Wenn ich das richtig mitbekommen habe, will er, dass du in der Halbzeit zu ihm kommst." Flo zuckte mit den Schultern. Das würden sie wohl noch früh genug herausfinden.
    Dieses Spiel war eindeutig nichts für Jammerlappen. Es war eindeutig, dass beide Mannschaften sich über die Bedeutung des Derbys bewusst waren. Das Stadion kochte, die Spieler auf dem Platz gingen nicht gerade zimperlich miteinander um und dementsprechend vergab der Schiri nicht gerade wenige gelbe Karten - an beide Parteien. Auch der Trainer der Kölner hatte schon eine Karte zu Gesicht bekommen, was ihn allerdings nicht daran hinderte wie Rumpelstilzchen an der Seitenlinie herumzuhüpfen und seinen Spielern Befehle zuzubrüllen. Daniel Farke auf Gladbacher Seite wirkte dagegen etwas besonnener, auch wenn die ein oder andere Schiedsrichterentscheidung ihn ebenfalls zur Weißglut trieb. Flo musste sich zusammenreißen um nicht ebenfalls ein paar Mal aufzuspringen und seine Senf zum Spiel dazuzugeben
    Trotzdem stand es in der 38. Minute, als ein Security Guard auf Flo zu kam, immer noch 0:0. Er verstand kaum ein Wort, als sich der Guard zu ihm herunterbeugte und ihm etwas ins Ohr schrie, nickte aber, weil er die wichtigsten Worte gehört hatte. Der Security hob erleichtert den Daumen und deutete auf einen Eingang aufs Feld, zu dem Flo anscheinend kommen sollte, wenn Halbzeit war. Flo, in Gedanken schon wieder beim Spiel, nickte geistesabwesend und bejubelte kurz darauf Lars der den Ball eroberte und auf den Torwart zustürmte, sich das ganze jedoch mit einem Fehlpass zu Marcus Thuram wieder zunichte machte. Flo stöhnte, ließ sich zurück in seinen Sitz fallen und warf einen Blick auf die Anzeige. Noch gut 3 Minuten zu spielen. Plus Nachspielzeit.
    Plötzlich schrie die Zuschauermenge entrüstet auf und schnell richtete Flo seinen Blick zurück aufs Spielfeld. Im Kölner Strafraum lag Jonas Hofmann am Boden und rieb sich das Schienbein. Eine Horde aus Gladbachern und Kölnern stand um den Schiri herum und diskutierte. Der versuchte sie zu beruhigen und deutete auf den Knopf in seinem Ohr. Flo beugte sich gespannt nach vorne, er wusste was das bedeutete: Videobeweis.
    Es dauerte lange, bis eine Entscheidung gefallen war, doch dann winkte der Schiri ab. Flo schrie, genauso wie das restliche Stadion, entrüstet auf. Kein Elfmeter. Bald darauf wurde zur Halbzeit gepfiffen. Trotz des nicht gegebenen Elfmeters gab es Applaus von der Tribüne und gratis dazu einige Gesänge in Richtung Köln. Schnell kippte Flo sein restliches (natürlich alkoholfreies) Bier runter und stand auf, um zu Knippi zu gehen. Wenn er richtig überlegte war das sein erstes richtiges Interview. Zumindest, seit er sich erinnern konnte. Trotzdem hielt sich seine Aufregung in Grenzen, woran auch immer das lag. Wahrscheinlich an dem herzlichen Empfang, den die Fans ihm beschert hatten. Ein Ordner erwartete ihn bereits am Spielfeldrand, öffnete die Tür für ihn und führte ihn einmal um den halben Platz herum, bis er rechts von der Nordkurve stand. Während sie liefen, schaute Flo sehnsüchtig auf den Platz. Was würde er dafür geben jetzt schon spielen zu können. Als er an der Nordkurve vorbeiging bekam er noch einmal Applaus. Er lächelte und winkte den Fans zu, die nach und nach immer lauter wurden. Erst, als er bei Knippi ankam, wurde es ein wenig ruhiger.
    „Alsoo Flo", begann der Stadionsprecher. „Wie fühlt es sich an wieder hier zu sein?" Flo ließ seinen Blick einmal über die Nordkurve fliegen, nahm das Micro von Knippi entgegen und brauchte nur ein einziges Wort, um zu antworten: „Großartig." Ein weiteres Mal brach das Stadion in Applaus und Pfiffe aus und Flo lachte ein wenig verlegen, als er sah, dass er schon wieder in Großaufnahme auf den Bildschirmen zu sehen war. Als es wieder leiser geworden war, sprach er weiter: „Ich hab ja bis jetzt die Spiele immer nur auf dem Fernseher gesehen, aber hier ist die Stimmung nochmal ganz anders. Dann gerade bei einem Derby wieder hier zu stehen ist überwältigend." „Das glaub ich dir", antwortete Knippi. „Wie gehts denn dir mittlerweile?" Flo musste kurz überlegen. „Es wird noch ein bisschen dauern, bis ich selber wieder spielen kann, aber es geht definitiv bergauf." Wieder musste sein Gegenüber warten, bis der Applaus verebbt war, bevor er seine letzte Frage stellte: „Wie denkst du wird das Spiel heute ausgehen?" Flo grinste: „Die Jungs machen da ein 2:0 draus."
    Der restliche Nachmittag verging wie im Rausch. Tatsächlich spielte sich in der 2. Halbzeit einiges mehr vor den Toren der Mannschaften ab, aber nach mehreren Rettungstaten von Yann Sommer, einem Tor das nicht zählte und gefühlten 100 Chancen, stand es am Ende 3:0 für die Borussia. Damit hatten sie auch den Kölner Gästeblock zum verstummen gebracht.
    Glücklich schaute Flo zu, wie die Mannschaft zuerst eine Runde durch das Stadion drehte und danach vor der Nordkurve stehen blieb und feierte. Mit der Zeit leerte sich das Stadion, bis sich schließlich auch die Spieler auf den Weg in die Kabinen machten. Chris suchte Flo auf der Tribüne und winkte ihm fröhlich zu. Flo winkte zurück. In diesem Moment stupste ihn Melina von der Seite an. „Wollen wir?" Flo nickte und begann seine Sachen zusammen zu suchen: „Klar."
    Bevor sie draußen ankamen, zog Flo sich die Kapuze seines Pullis über den Kopf. Draußen war es schon dämmrig, ihn würden hoffentlich nicht viele Fans erkennen. Er war nicht besonders scharf darauf, von ein paar tausenden Menschen überrannt zu werden. Melina und Jayden gingen ein Stück vor ihm und unterhielten sich leise, Flo hatte die Hände in den Taschen vergraben und genoss den Moment. Der Tag heute war wunderbar gewesen und er würde ihn sein ganzes Leben nicht. Fast hätte er darüber sogar die Nachricht vergessen. Aber nur fast.

AngelfootWo Geschichten leben. Entdecke jetzt