32. Kapitel

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Flo sollte Recht behalten. Die nächsten Wochen meldete sich Linda nicht mehr bei ihm und wenn er ihr nicht geschrieben oder sie angerufen hätte, wäre ihr Kontakt ganz abgebrochen. Immer wieder fragte er sich, was er falsch gemacht hatte oder was sie so sehr an ihm ärgerte, dass sie nicht mehr mit ihm reden wollte. Auch Chris bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte, aber wenn er Flo danach fragte, schob dieser Erschöpfung vor. Er hing sich mehr und mehr in das Training rein, aber nicht, wie alle glaubten, weil er so gut werden wollte wie vorher, sondern weil er die Gedanken vertreiben wollte. An Linda - und an das Mädchen.
Jede Woche tauchte sie mindestens einmal beim Training auf. Wenn sie da war konnte Flo sich nicht richtig konzentrieren. Er spürte, dass sie ihren Blick nicht von ihm abwandte. Er bohrte sich in seinen Rücken wie Feuer. An solchen Tagen konnte er es kaum erwarten in den Schutz der Kabine zu kommen.
Er hatte auf Lindas Rat gehört, obwohl ihm das schwer fiel, redete so wenig wie möglich mit ihr und ging schnell weiter, wenn er ein weiteres Mal auf irgendetwas unterschrieben hatte. Dabei versuchte er zu ignorieren, dass jedes Mal ein Prickeln seinen Rücken hinunterlief, wenn ihre Hände sich streiften und auch, dass er gerne mehr über sie erfahren hätte. Ihren Namen zum Beispiel. Oder dass er sie fragen wollte, wo sie sich schon einmal gesehen haben könnten. Jedes Mal spürte er ihren enttäuschten Blick auf sich, wenn er sich wieder abwandte und an solchen Tagen wollte er einfach nur Hause und mit niemandem mehr sprechen, er wusste selber nicht wieso.
Trotzdem gab es auch etwas, dass ihn glücklich machte: schon 6 Wochen, nach dem Spiel gegen Mainz hatte er wieder in der Startelf gestanden. Er war zwar später wieder ausgewechselt worden, aber ein Spiel von Anfang an zu bestreiten, war nochmal etwas ganz anderes. Während die Tage wärmer wurden, spielte er sich immer fitter, zählte nach zweieinhalb Monaten wieder zur Stammelf und ehe er sich versah, kam das Saisonende immer näher.
„Die Zeit fliegt so", sagte Flo zu Kai, während die beiden telefonierten. Sie sprachen nicht oft miteinander, meistens schrieben sie, aber wenn einer den anderen anrief, dann telefonierten sie über Stunden. „Nächste Woche ist einfach schon Mai." „Stimmt", antwortete Kai. „Bald sehen wir uns wieder." „Endlich", Flo gähnte und blinzelte sich die Tränen aus den Augen. Er hatte Kai auf laut gestellt und schnippelte währenddessen Zwiebeln, die er für sein Abendessen brauchte. „Zwei Wochen oder?" „Jep", sagte Kai. „Mein Gott wir werden euch so fertig machen." Flo grinste: „Glaub ich eher weniger." Kai am anderen Ende der Leitung lachte: „Werden wir ja dann sehen."
    Es würde tatsächlich nicht mehr lange dauern, bis die Saison vorbei war und die Sommerpause anbrach. Ein paar von Flos Mitspielern würden auf Länderspielreise fahren. Auch er hatte mit dem Bundestrainer gesprochen, aber sie beide waren der Meinung, dass er die Pause brauchen würde. Trotzdem hatte er Flo versichert, würde er weiter so spielen, würde er das nächste Mal auf jeden Fall wieder mitfahren. „Hast du schon Pläne für den Sommer?", fragte er Kai. „Nö", antwortete dieser. „Wahrscheinlich irgendwo am Strand liegen, richtig schön braun werden und mein Leben genießen. Und du so?" „Auch nicht viel. Ich geh auf jeden Fall zu meiner Familie, guck mir das alles, wo ich aufgewachsen bin mal ein bisschen näher an und so. Aber ansonsten..." „Kenn ich", Kai lachte leise. „Du, ich muss jetzt mal auflegen, ich hab gleich Training." „Alles klar. Wir sehen uns ja dann bald", Flo grinste. „Ganz genau", erwiderte Kai. „Tschau." „Tschüss."

Als es an diesem Samstagnachmittag bei Aline klingelte, erwartete sie keinen Besuch. Umso überraschter war sie, als sie die Tür öffnete und Katie vor ihr stand. „Hey... Was machst du denn hier?" Katie schob sich ohne Begrüßung an ihr vorbei in die Wohnung. Aline schloss die Tür hinter ihr und murmelte: „Ok, komm ruhig rein." Die Ironie in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Ich muss mit dir reden", Katie hatte sich zu ihr umgedreht und betrachtete sie nun mit gerunzelter Stirn. „Ok", Aline zog die Augenbrauen hoch: „Wollen wir hoch in mein Zimmer gehen?" Ihre Freundin nickte und gemeinsam liefen sie die Treppen hoch. In ihrem Zimmer angekommen, ließ sich Katie auf ihren Schreibtischstuhl fallen, während Aline selbst auf ihrem Bett Platz nahm: „Worum gehts denn?" Sie wusste genau worum es ging. „Um dich", antwortete Katie. Noch einmal zog Aline die Augenbrauen hoch: „Um mich?" Katie nickte: „Um dich und diesen Typen."
    „Welchen Typen?"
    „Du weißt genau wen ich meine. Florian Neuhaus, dieser Fußballspieler."
    Aline ließ sich rücklings auf ihr Bett fallen und starrte an die Decke. Sie hatte gewusst, dass dieses Gespräch irgendwann kommen würde: „Was soll denn mit dem sein?" Katie seufzte: „Jetzt tu doch nicht so. Du bist jede Woche in Gladbach, seit wir mit Elena dieses Spiel geguckt haben. Und jedes Mal bringst du ein Autogramm von dem Typen mit und zwar nur von ihm", sie stockte kurz. „Außerdem hast du Elena noch kein einziges Mal gefragt, ob sie mal mitkommen will. Ihr geht es total mies deswegen."
    Aline schloss kurz die Augen, bevor sie antwortete. Es stimmte, dass sie Elena nie gefragt hatte, ob sie mal mit ihr kommen wollte. Ehrlich gesagt hatte sie nicht mal daran gedacht. Ihr war es immer nur um Flo gegangen. Wenn sie jetzt nur daran dachte wie er sich ihr gegenüber verhielt, zog sich in ihr alles zusammen. Sie wusste nicht, ob sie es sich nur einbildete, aber er zeigte ihr die kalte Schulter, jedes einzelne Mal, wenn sie da war. Nur das erste Mal war anders gewesen. Da hatte sie fast schon gedacht, es könnte wieder etwas werden, aus ihnen. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme kratzig:
„Bevor wir das Spiel geguckt haben, hat Elena mich doch gefragt, ob es irgendeinen Typen in meinem Leben gibt. Und ich hab gesagt es gäbe einen, aber dass das alles... kompliziert ist", sie schwieg für einen Moment. Katie starrte sie an: „Sag mir jetzt nicht, dass das dieser Fußballer ist."
Aline nickte. Bevor sie weiter erzählte, holte sie einmal tief Luft. Sie hatte sich diese Geschichte vor Ewigkeiten zurechtgelegt, für genau diesen Fall. „Wir haben uns im Urlaub kennengelernt. Als ich mein Abi gemacht hab, musste ich mal raus. Ich bin für ein halbes Jahr nur durch die Gegend gereist, quer durch Europa. Als ich dann wieder in Deutschland war, wollte ich zum Abschluss noch eine Woche an die Nordsee. Das hab ich dann aber ziemlich schnell bereut. Der Ort war voll mit spießigen Leuten ü50, kein einziger Club oder so in der Nähe. Ich wollte eigentlich schon früher weg, aber dann ist Flo aufgetaucht. In dem Haus in dem ich war, gab es zwei Ferienwohnungen. Er war in der anderen und hat gleich am ersten Tag bei mir geklingelt, weil... er irgendwas vergessen hatte und sich das von mir ausborgen wollte. Als ich ihn gesehen hab; das hat sich angefühlt, wie Liebe auf den ersten Blick. Am nächsten Tag bin ich zu ihm rüber, hab so getan, als bräuchte ich jetzt etwas von ihm. Am Abend stand er dann wieder vor meiner Tür. Da wusste ich, dass es gefunkt hat zwischen uns. Wir haben uns immer mehr unterhalten und irgendwann haben wir auch angefangen was miteinander zu unternehmen. Das hat dann darin geendet, dass wir unseren ganzen Urlaub miteinander verbracht haben." Sie räusperte sich. „Am dritten Abend haben wir uns das erste Mal geküsst. Ich wusste nie wie er mit Nachnamen heißt, irgendwie kam mir das total unwichtig vor. Wir hatten einfach eine gute Zeit zusammen. Als wir uns verabschiedet haben, hat er mir seine Nummer gegeben, aber anscheinend hat er sie falsch eingetippt oder so, jedenfalls war die Nummer nicht registriert." Sie seufzte. „Ich dachte vielleicht finden wir uns wieder, durch irgendeinen Zufall oder so. Aber jetzt..."
    „...kann er sich nicht mehr an dich erinnern", beendete Katie ihren Satz.
    Aline nickte. Sie konnte nicht verhindern, dass ihr plötzlich Tränen in die Augen stiegen. „Ich weiß ja nicht mal, ob das mit uns überhaupt was geworden wäre. Vielleicht hat er ja schon längst wieder eine Freundin. Aber ich weiß, dass ich seitdem nie wieder an irgendeinen anderen Typen gedacht hab. Und es tut einfach so weh, dass er sich nicht mehr an mich erinnert."
    Katie nickte langsam. Dann stand sie auf, setzte sich neben Aline und umarmte sie: „Das tut mir so leid."
Als sie sich einen Moment später wieder voneinander lösten, liefen Aline immer noch Tränen über die Wangen. „Ist Elena sehr sauer?" Katie zögerte und zuckte dann mit den Schultern: „Du solltest es ihr auf jeden Fall erklären", war ihre leise Antwort. Aline nickte. „Ok. Das mach ich. Versprochen." Katie lächelte vorsichtig: „Sehr gut. Was hältst du jetzt von ein paar frisch gebackenen Muffins? Ich hab uns welche mitgebracht." Sie zog eine Bäckertüte aus ihrem Rucksack, den sie neben Alines Schreibtisch abgestellt hatte. „Ich glaube sie sind sogar noch warm." Alines Augen wurden groß: „Immer her damit!"

    Flo zog fröstelnd die Schultern nach oben. „Seit wann ist es im Mai so kalt?" Chris neben ihm lachte: „Du alte Frostbeule." Die beiden liefen nebeneinander aus, nachdem das Abschlusstraining vor dem Spiel gegen Leverkusen beendet worden war und unterhielten sich dabei. Flo freute sich auf den nächsten Tag; endlich würde er Kai wiedersehen. Leider würden sie sich wohl erst im Stadion treffen (Kais Mannschaft reiste erst morgens an), aber sie hatten verabredet danach zusammen essen zu gehen. Wobei das, laut Kai, „abhängig vom Spielausgang", war. Als Flo daran dachte musste er ein Grinsen unterdrücken. Als Leistungssportler musste man verdammt ehrgeizig sein, anders ging das gar nicht, aber Kai schlug jeden den Flo kannte um Maßen. Er musste jedes kleinste Spiel gewinnen und wenn nicht, war er tagelang beleidigt; oder tat zumindest so.
    „Deine Stalkerin ist wieder da", murmelte Chris neben ihm. Flo zuckte zusammen, sah hinüber zu den Fans und stolperte prompt über seine eigenen Füße. Als er sich wieder gefangen hatte trabte er zu Chris auf. „Irgendwie wird das fast gruselig." Nach langem, langem Zögern hatte er Chris schließlich doch davon erzählt. Nicht die ganze Geschichte, nur dass ihm aufgefallen war, dass jede Woche jemand beim Training auftauchte und ihn beobachtete, und zu seiner Erleichterung hatte Chris ihn wirklich ernst genommen. „Wenn das schlimmer wird, musst du jemandem davon erzählen", hatte er gemeint, aber Flo hatte abgelehnt: „Sie tut ja nichts. Es ist nicht verboten beim öffentlichen Training zu sein. Und sonst hab ich sie noch nie gesehen." Auch wenn sie ihm bekannt vorkam. Aber das hatte er bis jetzt niemandem außer Linda erzählt und so würde er es auch erst einmal belassen. Er hatte beschlossen, erst einmal nur zu beobachten, die Polizei oder was auch immer konnte er auch später noch informieren. Kopfschüttelnd wandte er den Blick von dem Mädchen ab. Jetzt musste er sich erst einmal auf das Spiel konzentrieren.

- 23.12.22

AngelfootWo Geschichten leben. Entdecke jetzt