30. Kapitel

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    Als das Spiel wieder angepfiffen war, wandte sich Aline ihrem Handy zu. Es wurde mal wieder Zeit ihrer besten Freundin zu schreiben. Seit sie umgezogen war, hatte sie noch nicht die Möglichkeit gehabt, sich mit ihr zu treffen und sie vermisste sie. Auch Katie war erneut in ihr Spiel vertieft und ließ sich genauso wenig wie Aline von Elenas gelegentlichem aufschreien stören. Was sie allerdings nicht mehr ignorieren konnte, war ein spitzes Kreischen und eine Hand, dessen Finger sich in ihren Unterarm bohrten: „Da ist er, da ist er, gleich wird er eingewechselt." Aline grinste: „Ich versteh ja, dass du dich freust, aber könntest du vielleicht versuchen mir nicht meinen Arm abzudrücken, den brauch ich...",
    Ihre Stimme erstarb. Ihr Blick war auf den Fernseher gefallen. Besser gesagt auf das Gesicht, das dort nun im Großformat zu sehen war. Das konnte nicht sein. Das. Konnte. Nicht. Sein. In ihrem Kopf spielte sich Elenas Stimme ab, an dem Tag, an dem sie sich das allererste Mal gesehen hatten: Er hatte einen Unfall. Lag 3 Monate im Koma und vor ein paar Tagen wurde bekannt gegeben, dass er sein Gedächtnis verloren hat... Er hatte sein Gedächtnis verloren. In ihren Ohren rauschte es, das einzige, was sie noch wahrnahm war er. Sie kannte ihn, besser als jeder andere. Während er an der Seitenlinie stand, war er kurz davor durchzudrehen vor Anspannung. Aber da war noch etwas anderes in seinem Blick. Dieser Stolz. Und dieses Funkeln. Dieses Funkeln, dass so selten seine Augen erreichte, das sie so sehr liebte und das sie fast immer in seinen Augen sah, wenn er sie anschaute. Einer seiner Mannschaftskameraden umarmte ihn, dann der zweite, länger als der erste. Dann trabte er aufs Feld. Er war kurz davor zu platzen vor Stolz. Und er hatte sein Gedächtnis verloren. Er hatte wirklich keine Erinnerungen mehr. An nichts.
„Aline? Alles in Ordnung?", Katies Stimme drang wie durch Watte zu ihr. Sie schien die Einzige zu sein, die etwas bemerkt hatte. Elena starrte immer noch mit einem Strahlen im Gesicht auf den Fernseher, auch wenn sich ihr Griff etwas gelockert hatte. Nur mit Mühe wandte Aline den Blick vom Fernseher ab und erwiderte Katies Blick. „Ich-", sie verstummte. Sie konnte es ihnen nicht sagen. Sie musste erst einmal selbst... irgendwie klar kommen. Sie sprang auf. „Ja. Muss nur mal kurz...", sie deutete mit dem Finger wage in Richtung Toilette und lief, so schnell es ging, aus dem Zimmer. Noch bevor sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, liefen ihr die ersten Tränen übers Gesicht.

Sie rutschte an der Badtür nach unten, sobald sie hinter sich abgeschlossen hatte und zog die Knie unters Kinn. In ihren Ohren hatte das Rauschen jetzt ein Fiepen ersetzt. Er hatte sein Gedächtnis verloren. Hieß das, er wusste auch nicht mehr wer sie war? Hatte er wirklich alles vergessen? Sie schluckte. Bis jetzt hatte sie noch nie von so etwas gehört. Was bedeutete das alles? Konnte es überhaupt sein, dass er sie vergessen hatte, sein altes Leben?
    Sie wusste die Antwort bereits. Etwas hatte sich verändert. Ihr Freund war nicht mehr ganz derselbe, den sie gekannt hatte. Es gab etwas, das nicht mehr da war. Die Verantwortung, die auf seine Schultern gedrückt hatte, war verschwunden. Er war glücklich. Da war kein griesgrämiger Blick mehr nach einem Lächeln, weil er wusste, dass dieser Moment nicht für immer sein würde. Da war kein dunkler Blick mehr, wenn er andere das Leben leben sah, dass er so gerne hätte. Da war nichts mehr. Er war nicht ganz verändert, natürlich war da immer noch ihr Flo. Aber...
    „Aline?", ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. Katie war ihr offenbar gefolgt, als sie nicht zurück gekommen war. „Alles in Ordnung?" Langsam stand Aline auf. Sie wusste nicht, wie es jetzt weitergehen sollte. Er kannte sie nicht mehr, wer wusste, ob er sein Gedächtnis überhaupt wieder bekommen würde, wenn sie zurückkehrten. Ihr Herz schien zu splittern. Vielleicht würde er sich neu verlieben. Jemand anderen so anschauen, wie er sie immer angeschaut hatte. Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie jetzt nicht in das Wohnzimmer zurückkehren konnte und ihn spielen sehen konnte. Vielleicht würde er nach dem Spiel ein Interview geben. Seine Stimme zu hören, würde sie nicht aushalten.
    Sie fuhr sich mit dem Ärmel ihres Pullovers einmal übers Gesicht und drehte dann mit zittrigen Händen das Schloss um. Katie stand vor der Tür, mit besorgtem Blick: „Alles ok?" Aline nickte, dann schüttelte sie den Kopf: „Mir gehts nur nicht so gut. Ich geh nach Hause, wenn das für euch ok ist?" Katie runzelte die Stirn: „Was ist passiert? Du siehst diesen Typ im Fernseher, wirst weiß wie die Wand und rennst aus dem Zimmer."
    Aline schluckte. In ihr zog sich alles zusammen. Sie wich Katies Blick aus, während sie antwortete: „Mit dem hatte das nichts zu tun. Ich... Mir gehts wirklich einfach nicht gut." Sie wusste, dass Katie ihr nicht glaubte und vermutlich irgendwann später eine Erklärung verlangen würde, aber jetzt gerade war ihr das egal. Sie musste einfach nur raus aus diesem Haus und an die frische Luft. Jetzt schon schienen die Wände sich auf die zuzubewegen und sie immer weiter einzuengen, bis sie keine Luft mehr bekam, während sie das Bild ihres Freundes nicht aus dem Kopf bekam. Zitternd holte sie Luft. Eine Panikattacke war das letzte, was sie jetzt noch gebrauchen konnte. „Ich geh mal lieber meine Sachen holen", so schnell es ging drängte sie sich an Katie vorbei. Weg hier. Raus hier. Mehr wollte sie nicht.

AngelfootWo Geschichten leben. Entdecke jetzt