„Du bist ganz schön groß geworden, mein Engel?“, sagte Papa und nahm mich lachend in dem Arm, als ich aus der großen Eingangstür der Schule trat. Auch andere Kinder wurden von ihren Müttern oder Vätern abgeholt. Als Papa mich im Kreis herum wirbelte, erblickte ich für einen kurzen Moment Paul. Er lief mit gesenktem Kopf neben seiner Mutter, die einen Kinderwagen schob. Hatte er etwa ein Geschwisterchen bekommen? Ich musste ihn unbedingt morgen fragen. So etwas ist doch großartig! Etwas kleines lebendes, was wie du, aus den Genen deiner Eltern bestand. Für mich könnte es nichts Besseres geben.
Wir saßen beim Essen zusammen in der Küche an einem kleinen runden Tisch. Es war halb sieben und mein Vater saß direkt gegenüber von mir und blödelte herum. Er wollte mich zum Lachen bringen. Netter Versuch.
Mir war nicht zum Lachen zu mute, irgendwie war ich immer schlecht gelaunt, wollte einfach in Ruhe gelassen werden, doch mein Vater war da anderer Meinung. Ich war sein Mädchen, sein Engel. So schön, dass es ihm in den Augen wehtat, mich nur anzusehen. Zu schön, um jemanden anderes zu gehören, als ihm. Ich würde sagen ich war ein Vaterkind. Ich liebte ihn mehr als meine Mutter, mehr als alles andere auf der Welt. „Hör auf Papa“, ich schaute den aufgespießten Brokkoli auf meiner Gabel an. Ich hatte keinen Hunger und doch machte mein Magen unaufhörlich komische Geräusche. Das werde ich nie ganz verstehen. „Ach komm schon, Marie“, er verzog sein Gesicht und ich brach doch in schallendes Gelächter aus. Er hatte seine grünen Augen unnatürlich weit aufgerissen und seine dunkelbraunen Haare umrahmten sein Gesicht perfekt. Er war mein Papa.
„Hör auf am Tisch solche Faxen zumachen, Ronald”, Mama warf ihn ein warnenden Blick. Sie wollte nicht, dass ich lache, sie wollte nicht, dass ich glücklich war. Oder verstand ich es falsch? Durfte ich nicht einmal lachen? „Ja”, kam es nur von Papa und er blinzelte mir noch zu, bevor ich mich von ihm abwand und auf Mama schaute. Mir geraden Rücken saß sie auf ihren Stuhl und aß ihren Brokkoli und Kartoffelbrei. Sie machte Pilates. So etwas wie Sport, aber entspannter, sagt sie. Ich halte nichts davon. Ich konnte mich mit meiner Mutter nicht identifizieren. Sie war so ganz anders als ich oder Papa. Sie war so ganz anders, also sonst. Es schien als wäre jede Lebensfreude aus ihren Körper gesaugt worden. Als ob Aliens, gelandet wären, sie ihn ein Ufo gezerrt, und sie ausgelaugt hätten. So urplötzlich, so unvorhersehbar.
„Ich steh auf, Ron! Ich kann das nicht mit ansehen, wie du unserer Tochter solche Manieren beibringst, die unter aller Sau sind. Wir sitzen am Tisch zu Abendbrot, hast du das vergessen? Solche Manieren sind einfach nur Scheiße!“, Mama stand wütend auf, knallte ihre Servierte von ihrem Schoß auf dem Tisch und funkelte meinen Papa an. Dann verließ sie den Raum.
Sie hat sich verändert. Ich mochte sie nicht, ich hasste sie.
„Ich geh…gehe mal gucken ob mit ihr alles in Ordnung ist. Am besten du machst dich schon mal Bett fertig, ja Engelchen?“, Papa warf mir einen besorgte Blick und stand auf, um meiner Mutter hinter herzurennen. Wollte sie Aufmerksamkeit? Stand ich zu häufig im Mittelpunkt?
Wie mein Papa mir gesagt hat, machte ich mich Bett fertig. Ich lag schon unter der Decke, als er leise an meine angelehnte Tür anklopfte und in mein Zimmer trat. Ich versuchte ihn nicht anzugucken und starrte aus meinem Fenster. Der Mond war als eine Sichel am dunklen Himmel zu erkennen und ein paar Sterne säumten das dunkle Schwarz. Sterne faszinierend und doch erschreckend zu gleich. So wie ich.
Papa setzte sich neben mich auf die Bettkante und strich sanft über meinen Rücken.
„Du schläfst noch nicht wirklich, oder Marie? Ich….“, er schaute ebenfalls aus dem Fenster. Es schien als verlor er sich in der Schwärze, und nur die weißen kleinen Punkte waren etwas an denen er sich festhalten konnte.
„Deine Mutter hat im Moment häufig solche Stimmungsschwankungen. Sie wird in den nächsten Monaten wahrscheinlich öfter mal… naja anders sein“, er schaute immer noch in den Himmel, „verstehst du?“ Ich verstand. Oder ich versuchte zu verstehen. Eines von beiden.
„Wir, ich und deine Mama, werden dir morgen alles in Ruhe erklären. Jetzt schlafe, mein Engel“, abrupt riss er seinen Blick von Fenster weg und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. „Gott brauch mich….“, nuschelte ich leise in meine Kissen.
„Gott braucht seine Engel in der Nacht, ja.“ Er verstand mich. Ich liebte ihn.
Er stand nach einer langen Zeit auf und schloss meine Zimmertür hinter sich, als er den Raum verließ. Meine Mama kam nicht noch mal ins Zimmer. Es war in Ordnung, das wollte ich so. Ich hätte nicht ertragen, dass sie genau dort gesessen hätte, wo vorher Papa saß. Ich hätte nicht ertragen, dass sie mich, wie Papa, Engel genannt hätte. Sie verstand nichts von Engel oder Götter.
Ich spürte, dass ich für sie eher ein Dämon war, der nachts in der Hölle gebraucht wurde.
Es war Samstagnachmittags und die Höchsttemperatur war für diesen Tag erreicht worden. Ich saß draußen im Garten und beobachte Schmetterlinge, die von Blüte zu Blüte flogen, sich auf Blätter niederließen, mir ihre schönen prachtvollen Flügel zeigten, und dann weiter flogen. Jeder einzelne war wunderschön.
Ich hörte Geräusche hinter mir und drehte mich halb um, umsehen zu können, wie Mama und Papa zusammen auf mich zukamen. Mama lachte wieder und schaute Papa voller Liebe und Wärme an. An die gestrige Situation schien sie sich nicht mehr erinnern zu können. Machte mir das Angst? Nein, es löste nur ein komisches Unbehagen aus. Einen Knoten in meinem Bauch und ein unangenehmes Kribbeln in meinen Armstumpf.
Beiden setzten sich gegenüber von mir auf den Rasen und Mama strahlte mich an. Papa ergriff das Wort: „Könne wir reden?“ Er lächelte mir aufmunternd zu, als er meinen distanzierten Blick sah, „Wie gesagt, Marie. Deine Mutter wird in nächster Zeit häufig mal gestresst reagieren, öfters mal eine Pause benötigen. Du weißt das es ihr leid tat sich gestern so benommen zu haben und…“
Er wurde unterbrochen.
„Ich bin Schwanger, Marie! Hier drinnen“, sie streichelte ihren Bauch. Er war nicht dick, wie ich es erwartet hätte, sondern noch platt wie eine Flunder.
„Hier drinnen wächst ein neues Leben heran. Deine Schwester oder dein Bruder. Ist das nicht toll?“
Ich hatte Angst. Wie konnte sie gestern so wütend gewesen sein, wenn es doch heute für sie so toll war ein Baby zu bekommen? Wieso konnte sie sich nicht dafür entschuldigen für das was passiert ist und hat Papa sich für sie sprechen lassen? Ich ließ meinen Blick über Papas Gesicht schweifen. Versuchte irgendetwas zu erkennen. Hatte auch er Angst?
„Alles okay?“, Papa schaute mich besorgt an. Mamas lächeln verschwand für einen kurzen Augenblick und sie schaute besorgt Papa und dann mich an, bevor ihr Augen und Lippen wieder strahlten.
„Ich liebe euch!“, ich lächelte zaghaft. Mama lachte glücklich und nahm mich in den Arm. Papa warf mir noch einen besorgten Blick zu, bevor auch er sich in die Umarmung mit einspannte. Waren wir nicht eine perfekte Familie?
DU LIEST GERADE
'Bin Ich hübsch, Mama?'
Teen FictionIch bin als Monster geboren worden, werde als Monster weiter leben und auch als eines Sterben. Zwischendurch versuche Ich ein Mensch zu werden.