1991 - Teil 4

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Weiße Schneeflocken wirbelten umher und ließen sich auf meine dunkle Jacke nieder. Sie zerschmolzen langsam und mein Mantel wurde schwer von der Nässe. Ich mochte Schnee. Er sah immer so ruhig und magisch aus. In der Stadt herrschte regelrechtes treiben und in den Schaufenster hingen Weihnachts-Deko und Lichter, die den späten Nachmittag in ein beruhigendes Licht tauchten. Der Geruch von Glühwein und Lebkuchenplätzchen hing in der Luft, sodass ich mich schon auf Weihnachten und meine Geschenke freute. 

                                                                        

Ich blieb vor einen Spielwarengeschäft stehen. „Da willst du doch nicht etwa rein, Marie?“, Tess beäugte mich argwöhnisch und warf dann einen blick durch das Schaufenster in den Laden.                        

 „Doch.“ Erwiderte ich.                                                                          

“Ich muss noch Geschenke besorgen, komm”, Tess krallte mein Handgelenk und zog mich weiter. Wiederwillig folgte ich hier und versuchte ihr in die Haken zu treten. Ich hasste sie. Sie war zwar meine Oma, aber sie war Mamas Mutter und das erklärt hoffentlich einiges. Nicht nur das sie wie sie aussah, bei ihr hatte immer das Gefühl nichts wert zu sein. Und dieses Gefühl hasste ich ungemein. 

                        

Der Schnee knirschte unter unseren Stiefeln, als wir weiter die Einkaufsstraße entlang gingen. Männer und Frauen rannten oder gingen mit schnellerem Schritt an uns vorbei, um noch die letzten Besorgungen zu erledigen. Sie würdigten mir keinen Blick. Ich mochte den Winter.                                                 

Die langen Ärmel bedeckten meinen nicht vorhandenen Arm und auch wenn keine Hand hervor lugte, könnte man denken, dass ich sie wegen der Kälte hochgezogen habe. Ich mochte das Gefühl mal keine Aufmerksamkeit zu erregen und mich normal zu fühlen.                                                

Tess öffnete eine kleine Ladentür und die Wärme schlug mir entgegen. Es roch nach Karamellbonbons.   “Oh Darling! Das bist du ja endlich! Ich habe dir die Besten Bonbons zur Seite gelegt“, eine dickere Frau, mit roten Stirnband und ebenso rote Lippen, kam auf Tess zugelaufen und sie machten die typische klischeehafte Begrüßung mit Küsschen rechts und Küsschen links. Ich verdrehte die Augen und versuchte mich aus dem Griff von Tess zu befreien. „Ach du weißt ja, man hat doch nie Zeit für irgendetwas.“ Die beiden lachten gackernd und Tess folgte der Frau zu den abgepackten Bonbons.                            

Ich schaute mich um. Dieser Laden war ein so einer wo ich niemals freiwillig hinein gegangen wäre. Es war solch ein Laden, der in Filmen mir immer Angst machte. Ich blieb an der Tür stehen und lauschte den Beiden. „Du wirst wieder Oma habe ich gehört. Oh das ist doch so aufregend!“                                      

„Ja Melanie hat schreckliche Stimmungsschwankungen und starke Übelkeit plagen sie auch noch“, Tess nahm den Bonbon in den Mund, den die Frau ihr anbot. Sie senkte die Stimme, aber ich hörte es trotzdem.    

                                                                         

„Ich hoffe sosehr, dass das Kind keine Behinderung hat. Ich will nicht wieder von allen Seiten bemitleidet und Angestarrt werden.“

„Ich verstehe.” Die Frau tätschelte mitfühlend Tess Arm und warf mir einen kurzen Blick zu. Als sie bemerkte, dass ich sie beobachtete fragte sie mich ob ich auch einen Bonbon wollte. Mir entging nicht ihr Röntgenblick, der unbedingt sehen wollte, welche Behinderung ich den habe. Ich schüttelte den Kopf. Habe ich schon gesagt, dass ich Tess hasste? Warum hatte sie Mitleid gekriegt, obwohl ich diejenige war, die mit nur einem Arm geboren wurde? Warum wurde sie angestarrt? Ich glaubte, dass das neue Baby meiner Mutter, eine bessere Position in ihr Leben haben wird, sofern es den normal war. Sie würde mich gänzlich ignorieren. Vielleicht war es besser so. Ich wollte nicht dass sie ein Teil meines Lebens war. Sie sollte mich in Ruhe lassen.

Tess bezahlte die Bonbons und verabschiedete sich von der Frau und versprach bald wieder zukommen. Vielleicht zu Ostern, oder vielleicht auch wieder erst zum nächsten Weihnachten. Mir konnte es egal sein. Tess öffnete die Tür und die Kälte schlug mir willkommen entgegen. Ich schloss meine Augen und ließ Tess mich rausziehen. Der Schnee bedeckte meine Haut und schmolz. Das Wasser lief wie Tränen meine Wange hinab.                                                                                    

„Ich habe gehört was du gesagt hast“, Tess blieb stehen und drehte sich zu mir um. Ihr Blick war starr. „Ich will dich nicht wieder sehen. Du kannst nicht von dir behaupten, dass es für dich schwer ist. Ich bin Abschaum für dich. Ich glaube du hast Angst, wenn ich in deiner Gegenwart bin, oder Tess?“                      

Empört schnaubte sie. „Ich lasse mir gar nichts von einem kleinen Menschen sagen. Du bist ungehorsam, ich bin deine Oma, meine Liebe, zeige mal ein bisschen Respekt.“ Sie griff mein Handgelenk und zog mich grob hinter sich her. Sie bestrafte mich, indem sie nicht mit mir redete und mich nicht mehr ansah, bis sie mich zuhause absetzte. Und ich sah hinter ihrer Fassade die Angst. Die Angst vor mir und der Ekel. Das was mich mein ganzes Leben lang begleiten wird.

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Tipps und Verbesserungsvorschläge immer gerne gesehen !

                                                                                     

'Bin Ich hübsch, Mama?'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt