1992 - Teil 3

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Ich hockte in meinen Zimmer, umgeben von Kuscheltieren, die mir mein Vater zu jedem Feiertag den es gab geschenkt hatte. Rosa Elefanten, gelbe Hasen, grüne Löwen und blaue Pinguine Ich fühlte mich zwischen all diesen leblosen Tieren so geborgen, wie lange nicht mehr. Zwei Tagen waren seit der Umkleidekabine vergangen und obwohl ich wirklich nicht dorthin zurück wollte, hatte irgend ein Mädchen Frau Rehweg beschied gesagt. Ohne ein Wort hat sie mich vom Treppenhaus weggeholt und mir beim Umziehen geholfen. Natalie hatte die ganze Zeit hinter ihren Rücken gekichert und mir die Zunge raus gestreckt. Ich fühlte mich so verdammt klein, als Frau Rehweg wie ein kleines Baby mich umzog. Diese Peinlichkeit hatte noch lange danach angehalten. Ich wollte das niemanden erzählen, nicht meine Mutter, aber auch komischerweise nicht Papa – ich schämte mich einfach dafür. Doch ausgerechnet Frau Rehweg rief bei uns noch am selben Abend an, m meine Eltern von den Vorfall zu erzählen. Damit war sie von jetzt an bei mir unten durch und sofort unsympathischer geworden. Zum Glück hatte sie mit Papa telefoniert und nicht mit Mama. Ich hatte mich unter eine großen Decke im Wohnzimmer versteckt, doch Papa hatte mich trotzdem gefunden. Er wollte zwar mit mir darüber sprechen und sagte mir, dass es überhaupt kein Grund gäbe sich zu schämen oder sich klein und unbedeutend zu fühlen, doch er hätte genauso gut mit einer Wand reden können. Ich schwieg. Es war nicht deswegen weil ich nicht reden wollte, denn ich wollte schon, sondern weil ich nicht konnte. Diese Scham,das Gefühl nie irgendetwas auf die Reihe zu bekommen, und die Worte der Mädchen hatten meinen Mund zugenäht. Tausende Gedanken überfluteten meinen Kopf, aber kein einziger ließ mich wieder einigermaßen besser stimmen, sondern machte mich nur noch trauriger.

                                                                                                   

Und jetzt, zwei Tage danach, habe ich immer noch kein einziges Wort mit niemanden geredet. Ich streichelte mein Lieblingskuscheltier. Ein Affe Schnuffi , der anders als die Anderen Tiere sogar normal aussah. Papa hatte ihn mir zum zweiten Geburtstag geschenkt, damals habe ich ihn über all hin mitgenommen, sodass das Fell nicht mehr kuschelig, sondern schon stumpf geworden ist. Ein Arm wird sogar nur noch von zwei dünnen Fäden zusammen gehalten. Ich liebte ihn am meisten und drückte ihn ganz fest an meine Brust.

                                                                                                                                                                                  

„Nein, nein, sie redet immer noch nicht."

Ich hörte Mamas Stimme außerhalb meiner verschlossenen Tür. Sie hatte beim Abendessen schon angekündigt, dass sie mit Oma telefonieren wollte, und nun redeten sie schon seit Stunden miteinander. Über das Wetter oder dem Bäcker von nebenan, der Mama verzweifeln ließ, weil er sein Laden schließen wollte. Unwichtige Sachen eben und ich hatte auch nicht wirklich zugehört, aber jetzt spitzte ich die Ohren, als sie anfingen über mich zu sprechen.

„Ja. Nein. Sie macht mich wirklich krank."

Kurze Pause. 

„Dieses trotzige hat sie bestimmt von Ron vererbt bekommen, er hat auch einfach so ein Dickkopf. Ja, meine Kopfschmerzen sind auch schlimmer geworden. Ich verstehe nicht warum sie nicht einfach redet! Ich mein, wir sind doch ihre Eltern, wir hören ihr doch zu, wenn sie Probleme hat."

Ich musste unweigerlich lächeln. Ich konnte mit allen über alles reden, doch sie war genau diese Person, zu der ich niemals hingehen würde, wenn ich Probleme oder Sorgen hätte. Genauso war es bei Oma.

 „Am liebsten würde ich sie einfach nehmen und schütteln: 'Was ist los mit dir Marie? Rede mit mir!' Aber nein, sie bleibt stur. Ich..."

Ich hörte wie sie schluchzte. Es berührte mich kein bisschen.

„Manchmal denke ich, Ron liebt sie mehr als mich. Ich weiß, dass klingt blöd, aber ich habe das Gefühl, sie kommt immer an erster Stelle. Dummer Gedanke als Mutter, aber ich kann einfach nichts dagegen tun. Ach, Mama, manchmal denke ich, ich bin wirklich Eifersüchtig auf Marie!"

Ihr schluchzen ging in ein unfassbares Lachen über eigene Dummheit über. Ich blendete, dass weitere Gespräch aus, als sie anfingen über „das Monster" zu reden. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie befriedigte mich das Wissen, dass Mama eifersüchtig auf mich war. Bestimmt nicht wegen meinen Arm, sondern wegen der Aufmerksamkeit und Liebe, die mir mein Papa so bereitwillig gab. Ich hob Schnuffi eine Armlänge von meiner Brust entfernt in die Höhe. Nach Minuten, die ich ihm n die Augen geschaut hatte, stand ich von meinem Bett auf und flitzte mit ihm zum Schreibtisch. Dort legte ich ihn ab und holte meine Schere aus mein Federmäppchen hervor.

„Bist du bereit für dein neuen Lebensabschnitt, Schnuffi?"

Ich bildete mir ein wie er nickte und mit zuzwinkerte.

„Nun gut," ich hob die Schere zwischen die beiden dünnen Fäden, die seinen linken Arm mit seinen Körper verbündeten.

  „Willkommen", ich spannte meine Hand an, „in deinem neuen Leben, als Außenseiter!"

                                  

Ich schnitt seinen Arm ab. Nun bin ich nicht mehr alleine. Zu zweit lässt sich alles viel besser über stehen.




'Bin Ich hübsch, Mama?'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt