1998 - Teil 6

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„They say life's a waste,

I say they lack belief."

- Battle Scars – Paradise Fears

Es war Mittag als ich wach wurde. Ich sah es an dem langsam tickenden Sekundenzeiger und an den Stundenzeiger der strikt Richtung Norden zeigte. Meine Augenlider waren so schwer wie Anfang des Jahres, als ich von dem Unfall noch benommen war. Doch diesmal war es ein anderes Gefühl von Benommenheit: schwerer, aggressiver und anhänglicher. Ich blieb für einige Minuten auf dem Kissen liegen, das Gesicht Richtung Nachttisch und der darauf vertickenden Zeit und überlegte was letzte Nacht passiert war.

Ich hatte geraucht, ja. Und ich hatte an dem Joint gezogen, den mir Dexter angeboten hatte. Aber danach wollte sich keine weiteren Bilder dazu gesellen, sodass mein Kopf ein großes, schwarzes Loch blieb, in den ich versucht war zu ertrinken. Jonas stöhnte neben mir, drehte sich von mir weg und blieb wieder regungslos liegen. Ich zählte leise bis 10, bis ich ihn vorsichtig ansprach.

„Hey."

Ich setzte mich auf, die Bettdecke wie ein Badetuch um meine Hüfte gebunden.

„Was ist gestern noch passiert?"

Als Jonas nicht antwortete, legte ich meine Hand auf seinen Rücken. Meine Finger wanderten wie Krebsbeine zu seinem Nacken hoch und versanken in seinen Haaren.

„Jonas?"

                                                                                                                                                                                       Plötzlich schüttelte er meine Hand ab, fast schon aggressiv, und murmelte, dass ich ihn in Ruhe lassen sollte. Ich überlegte fieberhaft, ob ich irgendetwas falsch gemacht habe oder gestern etwas vorgefallen ist, was ihn mich anwidern ließ, als ich mich mit meinen Beinen aus den Bett schwang und die Füße das kalte Parkett berührten. Meine Armstumpf juckte unangenehm und mit einer Bewegung stand ich auf, schnappte mir mein Handy auf den Boden und verließ das Schlafzimmer. Auf den Flur war das laute Brummen von Dexter zu hören. Ich tapste schräg über den Flur hinüber ins Bad und wäre beinahe mit Monicé zusammen gestoßen.

„'tschuldigung", lachte ich verlegen.

„Pssttt", zischte sie mit einem Finger auf dem Mund und spähte Richtung Wohnzimmer. Das Schnarchen wurde für keinen Moment unterbrochen. Monicé musterte mich von oben bis unten und ich merkte in ihrem Gesicht, dass sie an meinen Beinen hängen blieb.

„Maus, hat er dir wehgetan?"

„Nein, warum?", verwunderte schaute ich sie an. Sie deutete mit ihren Augen auf meine Oberschenkel und schürzte bestürzt die Lippen. Ich schaute an mir herab und bemerkte die langen roten Linien von denen manche noch mit getrocknete Blutperlen bestickt waren. Wie ertappt zog ich mein Minikleid zurecht, sodass sie von den dünnen Stoff bedeckt wurden. Es war mein Geheimnis.

„Das ist nichts, Monicé", versuchte ich sie zu beruhigen. Als ihr Blick mich weiterhin durchbohrte, fügte ich noch hinzu: „Ehrlich nicht."

Wir blieben für weitere Augenblicke erstarrt stehen und eine Erwartungslücke baute sich auf, die sich unangenehm schwer meine Brust nieder drückte. Ich wollte anfangen zu erklären, was die Schnittwunden bedeuteten, ich glaubte, das sei ich ihr schuldig, doch zeitgleich fand ich es abstoßend es irgendjemanden erklären zu müssen. Jeder hat etwas, eine dumme Angewohnheit, einen peinlichen Tick, der besser bei sich selbst aufgehoben war, als bei irgendjemanden anderen.

'Bin Ich hübsch, Mama?'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt