1997 - Teil 3

313 35 6
                                    


„When we were younger we saw Godspace in our fathers

Now that all our heroes died,

we're all alone"

- Where To Begin - Paraidse Fears

„Du machst Witze oder?!", war das einzige was ich rausbrigen konnte, als Papa mir zwei Tickets für das Weihnachtskonzert von Oasis vor die Nase hielt. Ich konnte nicht glauben, dass er sie bekommen hatte oder alleine daran gedacht hatte mich dort hinzu begleiten.

„Warum sollte ich?", Papa lächelte verschmilzt und ließ sich die Tickets aus der Hand ziehen. Wie bare Geldscheine hielt ich sie ins Licht, um zu überprüfen ob es auch echte waren. Ich konnte es wirklich kaum glauben.

„Weißt du, dass du der beste Papa der Welt bist?", rief ich aufgebracht und umarmte ihn fest. „Natürlich, dass hatte ich mir schon gedacht, mein Engel." Ab da an zählte ich die Tage von Oktober bis zu Heiligabend.

Tag 79 war der Tag,an dem wir unsere erste Mathearbeit zurück bekamen und ich stolz wie ein Honigkuchenpferd meine glatte 2 in die Höhe hielt. Mit Papa und Paul feierten wir diesen glorreichen Sieg mit selbstgemachten Eierkuchen am darauffolgenden Sonntag. Paul war derjenige, der die Idee hatte danach noch in den Park zu gehen, um das schöne Wetter zu genießen. Ich war erstaunt wie sehr Paul sich für mich freuen konnte, da er selbst nur eine 4 gschrieben hatte und Mathe nicht gerade sein Lieblingsfach geschweige denn Leistungstärkstefach war. Ich bewunderte diese Gabe, denn ich konnte so etwas nicht. Mich kotzten Leute an, die besser waren als ich.

Tag 44 war ein Samstag,wo ich zusammen mit Tante Maja und Onkel Leonard im Tierpark war und wir die Tiere im Streichelzoo mit Streufutter gemästet hatten. Tante Maja musste mich lange überreden mit ihnen mitzukommen, denn eigentlich hatte ich kein großes Interesse daran Tiere zubeobachten, wie sie auf Steinen herumlagenund ab und an eine Runde drehten. Ich wollte etwas actionreiches erleben und nicht etwas ödes für Grundschulkinder. Ich entwickelte langsam die Tendenz mich der Mehrheit anzuschließen, auf In&Out-Listen zu schauen und Modetipps umzusetzen.

Tag 23 war der erste Dezember und wie pünktlich zum Winteranfang rieselte der erste Schnee herunter. Nach der Schule schnappten wir uns alle unsere Schlitten, kletterten die kleinen Hügel in der Stadt hoch und rutschten mit voller Geschwindigkeit herunter. Nadine krallte sich an Pauls Hüfte fest und ich merkte einen kleinen Stich im Herzen, wusste aber nicht was er bedeutete. Ich teilte mir mit Jan einen Schlitten und all meine Gedanken waren wie weg geblasen, als Jan den Schlitten einen Stups gab, wir den Hügel hinunter schlitterten und sein glockenklares Lachen in meinen Ohren hallte. Er war die Sonne in meinen dunklen Gedanken, die immer wieder herunter schien.

Tag 14 war ein ganz besonderer Tag. Paul besuchte mich ganz hibbelig zuhause und sagte, er wolle mir etwas großartiges zeigen. Als ich mich warm einpackte und aus der Tür trat, zog er mich schon mit sich und Hand in Hand rannten wir den Bürgersteig entlang, durch den kleinen angrenzenden Park und weiter ein schneebedecktes Feld entlang bis eine große zerfallene Fabrik sich den Himmel entgegen streckte.

„Das ist unser Ort, Marie", rief er raufgeregt, lachte laut und hüpfte durch ein zerbrochenes Fenster in das Innere hinein. Ab diesem Zeitpunkt an trafen wir uns häufiger dort. Immer wenn der Andere Zuhause nicht auffindbar war, wussten wir wohin wir gehen konnten. Es war nicht nur ein Rückzugsort, sondern unsere kleine heile Welt.

Der 24. Dezember begann für uns schon um 12 Uhr, als Tante Maja, Onkel Leonard und Tess uns besuchen kamen. Wir verlegten Heiligabend einfach um ein paar Stunden und aßen anstatt Ente mit Rothkohl, Zimtkuchen mit heißem Tee. Es war ein herrlicher Nachmittag, den ich trotz allen kaum genießen konnte, da ich andauernd an das Konzert heute Abend denken musste. Mama und Tess waren erträglicher als ich dachte und es machte mir sogar Spaß mit den beiden zusammen nach dem Essen abzuwaschen und sich über die schrecklichsten Weihnachtsabende ihres Lebens zu unterhalten. Ich merkte wie entspannt Mama war und dass es ihr um einiges besser ging. Sie hatte ein schwarzes enges Kleid angezogen, ihre Haare gemacht und sich sogar dezent geschminkt. Auch Papa merkte diese Veränderung und küsste sie öfter auf das dunkelbonde Haar oder legte einen Arm um ihre Taille. Es war ein perfekter Nachmittag, der genauso perfekt in den Abend hineinfließen würde.

'Bin Ich hübsch, Mama?'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt