„Just for one last time
squeeze it very, very tight...
And let it go."
- Intro (Prelude) – Paradise Fears
Ich weiß nicht wieso, aber als die Sommerferien näher rückten, kam mir nicht ein einziges Mal in den Sinn, dass danach etwas verändert sein würde. Ich dachte, alles würde irgendwie weitergehen. Ich würde weiter zur Schule gehen, mich mit Paul unter den Baum treffen, bis kurz darauf auch Nadine und Jan sich dazu gesellten, Mama würde weiterhin ihr eigenes Ding machen und Florian hinterher trauern, Papa würde, der bleiben, der mich liebte so wie ich war und vielleicht hätte ich einfach mit ein bisschen mehr Selbstbewusstsein meinen Armstumpf nach dem Anglertreffen auf den Präsentierteller gelegt, doch Veränderungen passierten nun mal unweigerlich und immer dann, wenn eigentlich alles perfekt und gut ist. Nadine war es, die mir erzählte, dass Romeo und seine Mitstreiter nach den Sommerferien auf die Oberstufe wechseln würden. Und in mir drinnen war es mein Herz, dass ein klein wenig zerbrochen war. Denn auch wenn ich durch Romeo meinen ersten kriminellen Vorfall hatte und er mich ständig verwirrt und verletzt hatte, passte er doch ganz gut ins das Puzzle meines Lebens, welches sich mit 10 Jahren langsam zusammen gefügt hatte.
Ich war einfach nicht auf die Veränderung vorbereitet.
Ich hatte noch nie Abschied nehmen müssen von jemanden, der in meinen Leben eine doch sehr einprägsame Rolle gehabt hatte, wie zum Beispiel Romeo. Und ich hatte mich im Unterbewusstsein von Anfang an dagegen gesträubt es zu akzeptieren und wahr haben zu wollen. Aber der Tag kam schneller als erwartet. Der letzte Tag vor dem Sommerferien war ein recht milder Tag für die doch heißen Tagen der letzten Wochen. Ich bekam mein Zeugnis von Rehweg und verließ zusammen mit Jan das Klassenzimmer, welches ich erst in 6 Wochen wieder sehen würde. Es war eine Art Erleichterung Natalie den Rücken zu kehren und ihre angeekelten Blicke und blöden Kommentare nicht mehr hören zu müssen. Jan hackte sich bei mir ein und strahlte mich mit seinen grünen Augen an. Seine blonden Haare umrahmten sein Gesicht zu etwas einzigartigen, an dem ich mich nicht satt sehen konnte. So liefen wir die Flure entlang, bis wir auf Nadine und Paul trafen, die beide schon auf uns gewartet hatten. Paul schaute mich verschmitzt an, sodass seine Grübchen sich in seine Wange bohrten und mit seiner dick, umrahmten Brille ein wunderschönes Gemälde bildeten, was durchaus als gezeichnet durchgehen konnte. Zusammen gingen wir die letzten Stufen des Schulgebäudes runter und blieben draußen am Eingang stehen. Dort hatten sich die jetzigen 6. Klassen versammelt, die nun die Schule verlassen und entweder auf das Gymnasium oder die Sekundarschule wechseln würden. Unter all den unterschiedlichen Schülern von denen ein paar, hauptsächlich die Mädchen, weinten, und die Lehrer, die rote Rose verteilten, entdeckte ich sofort Romeo. Ich hatte nicht nach ihm Ausschau gehalten , aber dennoch war er mir sofort ins Auge gefallen. Er stand in schwarzen Shorts und einem hellblauen kurzärmeligen Hemd mitten in der Menge und erwiderte meinen Blick. Ich merkte, wie ich Gänsehaut bekam, als die Sonne durch die Blätter der großen, mächtigen Bäume hindurch brach und direkt auf Romeo schien. So als wäre er direkt im Scheinwerferlicht eines ganz großen Theaterstückes. Seine Sommersprossen glitzerten verführerisch im Licht, wie damals. Ich weiß nicht wie lange wir uns anstarrten, doch irgendwann stieß Paul mich am Arm und ich machte mich daran weiterzugehen und den Menschenkreis zu umgehen. Nadine unterhielt sich mit Paul über heute Nachmittag und den geplanten Treffen bei ihr zu Hause, doch alles hörte sich irgendwie gedämpft und abgestumpft an, so als hätte mir jemand Watte in die Ohren gestopft. Meine gesamte Aufmerksamkeit war auf Romeo gerichtet und auf die Erkenntnis, die langsam heran keimte. Romeo würde nächstes Jahr nicht mehr hier sein.
„Hey, Marie!", seine Stimme ließ mich erschaudern und ich schaute zurück und sah, wie er mir winkte, aber nicht die Art von Winken zum Abschied, sondern diese Art, die meint, dass man stehen bleiben und warten sollte. Und so blieb ich stehen und wartete, bis er sich durch die Menge gekämpft und auf mich zu gejoggt kam.
„Wolltest du einfach so gehen ohne mir Tschüss zu sagen?", meinte er ernst und schaute mir lange in die Augen. Ich hielt seinen Blick stand und baute mich unbewusst vor ihm auf, sodass ich mich sicherer und erwachsener fühlte. Und in gewisser weise war ich das auch.
„Ich weiß nicht, vielleicht", erwiderte ich klar.
Romeo grinste mich an. Aber es war ein anderes Grinsen als die Male davor. Ich habe von ihm gelernt, dass ich mehr sein kann. Ich weiß, dass Paul sich schütteln, mir aber nicht widersprechen würde, dafür liebte und akzeptierte er mich viel zu sehr, wenn ich sagen würde, dass Romeo mir in gewisser weise Stärke und Größe beigebracht hatte. Selbstbewusstsein gegenüber meinen Entscheidungen. Zwar auf eine sehr komische und auch manchmal bedrückende und belastende Art, aber erst jetzt wurde mir bewusst, wie viel mir diese Werte bedeutenden.
„Du bist so viel größer, als damals als ich dich kennen gelernt habe", flüsterte er leise, sodass nur ich sie hören konnte und nicht Paul, Nadine und Jan, die ein paar Meter weiter auf mich warteten.
Ich hatte keine Zeit zu antworten, denn nach seinen Worten drehte er sich auch schon wieder um und schloss sich wieder der Gruppe von Schülern an. Gabriel und Thoben gesellten sich zu ihm und nahmen die Rosen ihrer Lehrerin entgegen. In mir breitete sich ein komisches Gefühl aus, was man als Trauer, später aber auch als Nostalgie bezeichnen könnte, als wir uns auf den Weg nach Hause machten, um unsere Zeugnisse unseren Eltern zu zeigen und die Sommerferien anfangen zu können. Doch irgendwie ging es mir im Inneren schlecht und es fühlte sich an als würde ein Teil meines Herzen schwarz-weiß werden.
Als ich zu Hause ankam war ich Schweiß überströmt und Tränen nass. Ich ließ meinen Rucksack einfach in die Ecke fallen und knallte die Tür unbeabsichtigt, aber dennoch meiner Stimmung entsprechend, hinter mir zu. Papa, der neuerdings erst Nachmittags arbeiten ging und somit erst spät nachts nachhause kam, kam mit einem Geschirrtuch in der Hand in den Flur gestürmt. Schweiß perlte sich an seiner Stirn hinab und wurden von seinen buschigen Augenbrauen abgefangen. In seinem Gesicht lag ein Hauch von Angst und Erschrockenheit.
„Warum weinst du denn, mein Engel?", fragte er ruhig, als er sich wieder einigermaßen gefasst und seine Gesichtszüge sich entspannt hatten. Derweil hatte ich mir meine Schuhe abgestreift und meine Strickjacke an die Garderobe gehangen. Ich antwortete nicht auf Papas Frage, denn ich hatte das Gefühl zu ersticken, wenn ich nur anfangen würde einen Ton herausbringen zu wollen. Deswegen schwieg ich und ging die ersten Stufen hinauf zu meinem Zimmer, in der Hoffnung keine weiteren Fragen zu bekommen und alleine sein zu können, doch Papa folgte mir.
„Ist es wegen deines Zeugnisses?", fragte Papa vorsichtig.
Das ist mir so was von egal, weißt du? Was bedeutet schon ein Zeugnis? Was bedeuteten die Zahlen die dort über einen stehen? Rein gar nichts.
„Du weißt, dass das überhaupt nicht schlimm ist. Wir, deine Mutter und ich, wissen, dass es schwer für dich ist, Marie. Alles ist okay", versprach er mir. Ich blieb am Treppenabsatz abrupt stehen und spürte Papa hinter mir ebenfalls abrupt abbremsen.
Es war rein gar nichts okay.
Weitere Tränen rollten meine Wangen hinab und ich presste meine Augen zusammen.
„Du kannst mir mir reden, Marie. Immer", versicherte er mir und legte sanft seine Hand auf meine Schulter. Dieses Gefühl löste noch mehr Trauer und Angst in mir aus, auch ihn verlieren zu können.
„Ich bin erwachsen geworden, Papa. Du kannst nicht immer auf mich aufpassen", meine Stimme war Tränen erstickt, aber dennoch klar und deutlich, „Meine Sorgen und meine Träume sind so viel größer geworden als ich. Ich bin gewachsen und jetzt kann ich nicht mehr an deine Tür klopfen und weinen. Das geht jetzt einfach nicht mehr."
Ich schüttelte sanft seine Hand ab und ging mit hoch erhobenen Kopf den kleinen Flur zu meinen Zimmer entlang. Es war ein würdevoller Abgang, doch sobald ich die Tür hinter mir zu machte, knickte ich ein und kuschelte mich in meine Decke trotz der gellenden Hitze, die draußen und auch hier drinnen herrschte. Knuffi hielt ich fest in meinem Arm, als ich das Kissen mit meinen Tränen durchnässte. Es roch nach Abschied, Trauer und Veränderungen. Das letzte bereitete mir besonders große Sorgen.
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'Bin Ich hübsch, Mama?'
Teen FictionIch bin als Monster geboren worden, werde als Monster weiter leben und auch als eines Sterben. Zwischendurch versuche Ich ein Mensch zu werden.