„Let me be your lullaby"
-Lullaby – Paradise Fears
Ich beantwortete Papas Fragen ohne wirklich groß darüber nachzudenken, warum er sie stellte oder warum sie wichtig für irgendjemanden waren. Wahrscheinlich wollte er einfach nur wissen, wie es zwischen meiner Mama und mir stand. Und tja, ich könnte jetzt sagen besser, vielleicht sogar viel besser, wenn man bedenkt, dass wir in den Tagen wo Papa nicht da war, gut miteinander ausgekommen sind, oder auskommen mussten, aber ich tat es nicht. Ich weiß nicht wie es mit meiner Mama und mir stand. Ich fühlte einfach keine tiefere, innere Verbundenheit so wie ich es bei Papa empfand. Es war zwar ganz gut, dass sie dar war, mich fragte wie die Schule gewesen sei oder ob ich nicht mal meine Freunde mitbringen möchte, aber in Wirklichkeit brauchte ich sie nicht. Sie war einfach wie ein Tisch in irgendeiner Ecke: nützlich und ja, manchmal auch ziemlich praktisch, um Sachen abzustellen oder so, aber man brauchte ihn nicht unbedingt. Und so war es mit meiner Mama. Mama ist einfach ein Tisch, Papa. Aber das konnte ich schlecht sagen. Nicht, wenn ich keinen komischen, wenn nicht sogar besorgten Blick ernten wollte, oder schlimmer noch, antworten musste auf unangenehme Nachfragen. Was habt ihr denn so alles gemacht? Wir haben Frauensachen gemacht, so wie du gesagt hast.
„Hat sie...Hat sie dich in Arm genommen, Marie?", ich merkte, dass es ihn unangenehm war, und dass es ihn eigentlich nicht interessieren dürfte, aber ich hatte die Ahnung, dass es wichtig für ihn war. Dass es ihm wichtig war, dass es mir gut ging.
„Ja, Papa. Sie hat mich zu Bett gebracht, mich in den Arm genommen und mir einen Kuss auf die Stirn gegeben", ich versuchte nicht genervt zu klingen und war mir sicher, dass ich Erfolg hatte, als er erleichtert aufatmete.
„Das ist gut Marie, das ist wirklich gut", er fuhr sich mit seinen Händen durch die Haare, „Weißt du, sie hatte eine schwere Phase...." Das hatte sie immer noch, dachte ich. „...aber ihr geht es langsam wieder besser."
Papa nahm mich in den Arm und ich spürte seine warmen Händen auf meinen Rücken und seinen Atem in meinem Nacken.
„Ich liebe dich Papa", flüsterte ich leise in sein braunes, buschiges Haar.
„Ich dich auch mein Engel."
Es kam mir eine Ewigkeit vor, dass er mich nicht mehr so genannte hatte, aber es fühlte sich gut an, wie an dem ersten Tag. Vielleicht änderten sich die guten Dinge ja nie. Klar, sie nehmen manchmal Umwege, verstecken sich oder sind nicht mehr so präsent wie davor, aber sie tauchen wieder auf und dann, dann sind sie stärker und intensiver, als sie es jemals waren.
Da ich mich mit Nadine so gut verstand, und sie mir schon oft ihre Puppe geliehen hatte, was sie noch nie bei jemanden anderes getan hatte, trafen wir uns häufiger auf der Hofpause auf der Bank und unterhielten uns mit Paul über alles mögliche. Außer aber über den kriminellen Vorfall, den Paul und ich hatten uns geschworen, es niemanden zu erzählen. Unser erstes Geheimnis und es fühlte sich gut an eines zu besitzen, sodass man sich nur anzugucken brauchte und feststellen musste, dass einen etwas verbindet, was andere nicht sehen, nicht einmal erahnen konnten. Der kriminelle Vorfall hatte in gewisser Weise unser beider Leben veränderte – mehr ins Positive als ins Negative. Ich merkte, dass sie Paul besonders mochte und sogar durch Anmerkungen versuchte, Bewunderung zu angeln. Da kam mir schon die Frage auf, ob sie sich nur mit mir unter dem Baum traf, weil Paul mir wie eine Klette folgte, oder doch wegen mir, aber eigentlich war es mir egal, denn ich mochte sie und ihre komische, schräge, aber dennoch zurückhaltende Art sehr. Seit neusten hatten ihre orangen Haare einen Pony, der ihr frech ins Gesicht fiel und sie immer zum Zwinkern brachte, wenn sie versuchte sich auf etwas zu konzentrieren. Nach einiger Zeit zu dritt auf der Bank, wuchs unsere Gruppe auf vier, als Jan sich neben mich zwängte und über alles was wir sagten lachten, und wenn es nicht lustig war, machte er es einfach lustig. Das liebte ich an ihm. Seine unkomplizierte Art das Leben zu sehen und wahrzunehmen. Seine in der ersten Klasse Strohblonden Haare, verloren langsam ihre Farbe und verblassten zum dunkelblond, was ihn reifer erschienen ließ. Aber in Herzen war er immer noch ein kleiner aufgedrehter Junge, dessen Lieblingsfarbe übrigens immer noch rosa war. Er mochte die Puppe von Nadine und redete mit ihr darüber, welches Kleid sie ihr morgen anziehen sollte, da morgen der Fotograf kommen sollte.
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'Bin Ich hübsch, Mama?'
Genç KurguIch bin als Monster geboren worden, werde als Monster weiter leben und auch als eines Sterben. Zwischendurch versuche Ich ein Mensch zu werden.