Ich hatte mich irgendwie doch auf mein Geschwisterchen gefreut. Ich wollte sehen, wie es aussah, wie die kleinen Hände, sich langsam zu Klauen entwickelten, wie die Augen, zu dunklen Schatten wurden, wie die Zähne, sich zu spitzen Reißern entwickelten. Ich wollte so ein kleines Baby einfach einmal sehen. Einfach aus reiner Neugierde heraus. Doch ich bekam die Gelegenheit nicht. Nicht damals und auch nicht heute. Meine Mutter verlor das Monster Ende März, einen Tag nach Ostern.
Papa hatte mir geholfen in mein bestes Kleid zu kommen. Ein hellblaues Kleid mit einer weißen, großen Schleife rechts an meiner Taille. Wir schauten beide in den Spiegel und bewunderten mich. „Guck dir nur mal deine Haare an, Marie! Du bist wirklich ein wahrhaftiger Engel."
„Das Kleid ist wirklich schön", ich strich mit meinen Händen vorsichtig über den Stoff. Wenn ich mich in Spiegel ansah, den nicht existierenden Arm wegdachte, dann fand ich mich wirklich ausgesprochen hübsch. Ein Lächeln, so strahlend wie lange nicht mehr, überkam meine Lippen.
„Zieh Schnuffi noch seine Krawatte an, Papa!", wie ein Gummiball hüpfte ich zu meinen Bett und griff nach Schnuffi.
„Dann gib ihn mal her", ich überreichte in den zerfledderten Hasen und Papa knotete ihn mit voller Sorgfalt die Krawatte um.
„Schau, ersieht doch jetzt gut aus!", lächelte er. Zufrieden nickte ich.
„Ja."
„Ron?", ertönte es von unten. Mama hatte schon die ganze Zeit irgendetwas von Papa gewollt.
„Ich geh' mal kurz runter, ja?", er erhob sich und strich sanft durch mein wuscheliges Haar, „Es ist nur für einen kurzen Moment, dann komme ich wieder."
Papa hatte meinen enttäuschten Blick gesehen, doch er bemerkte nicht den Hass gegen meine Mama. Warum musste sie immer all diese perfekten Momente zerstören? Ich wartete bis Papa die Treppe runter gestiegen war, bevor ich ihm hinterher tappte. Ich setzte mich auf einer der obersten Stufen und lauschte dem Gespräch der beiden.
„Mir ist irgendwie komisch, wirklich."
„Das hast du gestern auch schon gesagt, Schatz."
„Ja, aber diesmal fühlt es sich anders an."
„Wie anders?"
„Was weiß ich! Das Baby!"
„Das Baby? Sollen wir vielleicht morgen ins Krankenhaus fahren und gucken, ob alles okay ist?"
„Nein, Ron. Jetzt. Mir ist wirklich ganz komisch."
Papa schwieg einen kurzen Augenblick und ich weiß nicht, was dort unten passierte, aber ich hörte meine Mutter schluchzen und Papa zustimmen, dass sie jetzt fahren und die Gäste für heute ausladen.
„Marie?", rief Papa mich, „Kommst du kurz mal runter?"
Ich wollte eigentlich trotzig dort sitzen bleiben und meiner Mama klar zumachen, dass ich das alles so gemein und hinterhältig von ihr fand, aber ich stand trotzdem auf und ging die Treppenstufen hinab. Unten im Eingangsbereich zog Mama sich schon die Schuhe an und versuchte die Tränen zurück zuhalten, die ihr aus den Augen quollen.
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'Bin Ich hübsch, Mama?'
Teen FictionIch bin als Monster geboren worden, werde als Monster weiter leben und auch als eines Sterben. Zwischendurch versuche Ich ein Mensch zu werden.