1997 - Teil 4

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„She said I'm trying to have faith

but even food has lost its taste

my greatest fear is I'll be left here all alone

She said I miss him every day

all I can do is pray their safe reliving memories

oh we used to call this home

she said Sammy I need something

just for once in my life

I need someone else to tell me everything will be alright"

- Who You Are - Paradise Fears

„Wird sie wieder, ich meine.... Wacht sie wieder auf?" Schluchzend. Ohrenbetäubend laut.

Es war so laut. Diese Stimme schmerzte in meinen Kopf, wie ein dumpfer Schlag, wie ein Messer, das kaltblütig in den Körper gerammt wurde. Ich betete, dass diese Stimme aufhören möge zu sprechen, denn es war so anstrengend.

„Ja, Frau Feldmann. Sie hatte ein ziemlich starken Aufprall, ein mittelschweres SHT und Verstauchungen in dem Bereich in der ihr Bein eingeklemmt war, des weiteren ist im ihren Gesicht die rechte..."

SHT? Verstauchungen? Aufprall? Was ist passiert? Was ist mit meinem Gesicht? Meine Gedanken kreisten vor meinen inneren Auge in der Dunkelheit umher und bildeten keine logischen Zusammenhänge. Ich wollte mich hinlegen, schlafen, ich war so verdammt müde und brauchte nichts weiter als ein Bett auf dem ich meine müden Glieder ausstrecken konnte. Doch es war so schwer.

„Sie liegt schon so lange hier, Dr. Wann wacht sie wieder auf? Sagen Sie mir, wann!" Eine altbekannte Stimme, die mir Kopfschmerzen bereitete. Wieder und wieder.

Ich wollte schreien, laut. Ich war so wütend und sauer und genervt und so unendlich erschöpft. Ich dachte an nichts, außer daran zu atmen. Ein und aus. Ein und wieder aus.

„Mariechen, geht es dir gut?" Ein warmer Luftzug. Ein Finger, der über meine Wange strich.

Strahlendes weiß umhüllte mich, als ich meine Augen langsam zu öffnen begann. Die Lider waren so schwer, dass ich sie nur zwei Sekunden öffnen konnte, bevor sie wieder wie von alleine zufielen. Meine Mund war Staub trocken und es fühlte sich an, als hätte ich nicht nur meine Stimme verloren, sondern auch den Kontakt zu meinen Körper. Alles fühlte sich so fremd an.

„Mariechen? Dr., sie wacht auf!"

Ich blinzelte wieder. Diesmal mehrere male hinter einander. Ich erkannte scharfe Konturen und wage das Gesicht meiner Tante, bevor mich die warme Dunkelheit wieder umhüllte. Ich hörte messerscharf die Geräusche meiner Umgebung, so als hätte sich in dieser Zeit mein Hörsinn um das tausendfache verdoppelt. Es war erschreckend, aber zeitgleich das einzig Beständige was ich wahrnahm. Ich hielt meine Augen immer noch leicht geschlossen und lauschte wie bei einem Film die Schritte der herbeieilenden Schwestern und Ärzte, das Piepen der Maschinen um mich herum und die lauten Rufen meiner Tante und meiner Mutter. Ich öffnete meine Augen erst wieder, als der zuständige Arzt mit einer kleinen Leuchte meine Pupillenreflexe überprüfen wollte. Das erste was mir in Auge sprang war neben der klaren weißen Decke und die ebenso weißen Zähne des Arztes, meiner Mutter, die ein paar Meter abseits mit verschlossenen Armen stand und jede der Untersuchungen genaustens beobachtete. Meine Gedanken überschlugen sich, blieben aber im Endeffekt aber relativ ruhig und ich versuchte mir keine Sorgen zu machen. Ich musste mir sogar eingestehen, dass ihr Gesicht eingefallen und vor Sorge zerfressen aussah. Ich erlaubte mir anzunehmen, dass sie sich wirkliche Sorgen um mich machte. Jegliche Anspannung löste sich aus meinen Gliedern und meine Hand, die ich unbewusst zur Faust geballt hatte, entspannte sich. 

   „Schön, dass Sie wach sind Frau Feldmann", der Arzt lächelte immer noch sein Zahnpasta-Lächeln.

 „Marie...", meine Stimme verlor sich im Rachen und ich merkte wie dringend ich irgendeine Flüssigkeit brauchte. Das klägliche Keuchen wurde gewissenhaft von den Schwestern wahrgenommen und mir wurde aufgeholfen und ein Glas Wasser gereicht.

 „Oh Gott, Mariechen geht es dir gut? Oh Gott, ...", Tante Majas verzweifelte Stimme war wie ein Hintergrundgeräusch in Filmen, die permanent wiederholt wurden und die meiste Zeit gar nicht richtig von den Zuschauern wahrgenommen wurde. Doch ich hörte sie glasklar. Und ein Lächeln, so echt wie lange nicht mehr zeichnete sich um meine Lippen ab.

„Die ersten Untersuchungen sind negativ ausgefallen. Wir müssen Sie aber weiterhin im Krankenhaus behalten, um das Schädelhirntrauma und die genähte Wunde in Auge zu behalten. Des weiteren werden in den nächsten Tagen ein paar Tests und Rehabilitationsmaßnahmen in Angriff genommen", der Arzt stand jetzt neben meinen Krankenhausbett und stockte kurz. Relativ verwirrt von meinen so plötzlichen Lächeln, fragte er ob alles okay so weit sei. Ich nickte nur, noch nicht in der Lage richtig zu sprechen.

  „Warum lassen wir Sie nicht..."

„Marie", flüsterte ich heiser.

„Warum lassen wir Marie, denn nicht erst einmal alleine, sich ein wenig ausruhen und ganz besonders den Schmerzmitteln gerecht ausschlafen? Mhh?"

 Er nahm Tante Maja leicht an den Arm, die immer noch mit weit aufgerissen Augen und dem Gefühl der Erleichterung auf dem Gesicht mich anschaute, und führte Sie aus den Zimmer. Die Schwestern folgten ihnen, außer eine, die das Kissen aufschüttelte, mir half mich wieder bequem hinzulegen, den Tropf richtig positionierte und mir noch ein Glas Wasser an den Beistelltisch stellte.

 „Wollen Sie nicht mit raus kommen, Frau Feldmann?"

„Lassen Sie mir noch zwei Sekunden mit meiner Tochter, ja?", bat meine Mutter ohne den Blick meines erschöpften Körpers von mir zu wenden.

„Natürlich", sagte die Schwester verständnisvoll, „Aber nicht allzu lange."

Sie schloss langsam die Tür und nun war ich alleine mit ihr. Und ich kam mir in meinen Leben noch nie so wichtig und geliebt vor, wie in diesen paar Sekunden, die meine Mutter da stand und mir ihre Blicke gewährte. Ich wollte schreien, „Mama, danke! Danke für dein Mitgefühl und das Geschenk deiner Liebe dich um mich zu kümmern und in dieser Zeit bei mir zu sein", doch ich wusste, dass ich es nicht konnte. Rein körperlich nicht, aber in erster Linie auch seelisch nicht. Es war meine kleine Errungenschaft.

Ich badete in den paar Sekunden der Anerkennung und Aufmerksamkeit. „Marie", war das erste was sie sagte. Und das erste Wort, was die Wärme aus meinen Körper zog und die Liebe in diesen Zimmer verbrannte. Mein Name klang so kalt und herzlos in ihren Mund. Ich hörte wie ihre Schritte über das quietschende Linoleum schritten, ihr Atem , den sie versuchte zu kontrollieren und spürte die Finger, die über das Bettlaken strichen. Sie stand jetzt genau neben mir und ich spürte wie Reaktionslos mein Gesicht an die Decke starrte, um dort mehr zu finden, an das ich mich festhalten konnte, als in meiner Mutter ihres Gesichtes.

 „Herzlichen Glückwunsch", ihre Finger streiften meine Wange, die wie ich erst jetzt bemerkte mit großen Pflastern beklebt war, und ihr Geruch war nicht süßlich, sonder säuerlich, wie ein vergorener Wein.

 „Dein Vater ist tot."


'Bin Ich hübsch, Mama?'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt