„The outer limits, she can dance with the sky,
Stars streak like bolts of lightning,
Write our names on the night"
- Say my Name – Paradise Fears
Jonas und ich trafen uns fast jeden Nachmittag mit seinen Freunden in irgendwelchen Parks in denen sie rauchten und laut mit ihren Boxen Musik hörten. In den Schulpausen saßen wir im Schulhaus anstatt auf den Hof zu gehen oder verscheuchten die kleineren Schüler um uns einen Platz in der Cafeteria zu ergattern. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit Papas Tod und darüber hinaus aufgenommen und ich badete in der Aufmerksamkeit, die mir Jonas und die anderen Mädchen, die mich neidisch anschauten, schenkten. Seine Freunde waren von Anfang sehr solidarisch mir gegenüber gewesen und keiner hat nur ansatzweise meinen nicht vorhandenen Arm oder meine Narbe auf der Wange erwähnt. Doch sobald ich nach Hause kam, meistens erst spät in der Nacht, überfiel mich wieder diese Panik und Leere. In der Zeit, in der ich bei Jonas und den anderen bin, fühlte ich mich sicherer und geliebter und die Tatsache, dass meine Mutter mich hasste und mein Papa tot war, wurde komplett ausgeblendet, so als wurden die Gedanken in eine Kiste verpackt, die dann ganz weit nach hinten in meinen Kopf versteckt wurde. Aber sobald ich alleine war und die ersten Schritte nach Hause antrat, fingen meine Augen zu brennen und meine Körper sich zu verkrampfen an. Es war ein eigenartiges Gefühl, da es mir den ganzen Tag gut ging und ich mir das sogar selbst eingestand.
Marie, heute war eigentlich ein ganz guter Tag, nicht?
Aber es war nicht mehr von Relevanz, dass der Tag gut war, denn jetzt ging es mir nicht mehr gut, sondern viel schlechter und jeden Abend verschlimmerte sich dieser Zustand schleichend. Ohne meine Mutter zu begrüßen ging ich die, seit Monaten nicht mehr geputzte, schäbige Treppe, zu meinem Zimmer hoch und schloss hinter mir ab. Meistens tat ich nichts weiter als zu versuchen zu schlafen oder ich saß mit meinen alles geliebten Kuscheltier Schnuffi auf den Fußboden und starrte die gegenüberliegende Wand an. Man könnte annehmen ich denke nach, suche nach Antworten, gehe den Autounfall und jede einzelne kostbare Sekunde mit meinen Papa durch, aber dies alles ist nicht der Fall. Ich saß dann einfach nur dar oder lag auf meinen Bett, fühlte nichts an irgendwelchen Gefühlen und hörte nichts weiter als ohrenbetäubende Stille. In meinen Kopf waren alle Sicherungen durchgebrannt, alle logischen Verknüpfungen waren von heute auf morgen ausgelöscht gewesen. Selten, wenn ich nach Hause kam und meine Mutter und ich uns anschrien, staute sich so eine Wut und solch ein Verlangen an, dass ich alles in meinen Zimmer verwüstete: die Bücher von Regal fegte, mein Schreibtischstuhl auf den Boden feuerte, die Schranktüren auf und wieder zu knallte. Diese Wut versiegte in den meisten Fällen mit den eben beschriebenen Zerstörungsdelikte, aber manchmal auch nicht. Ich fing an mich selbst zu schlagen; meine Oberschenkel, mein Bauch, bis die Wut von der Verzweiflung übertönt und verdrängt wurde. Ich schlief vor lauter Erschöpfung dann sofort ein. Aber auch das wirkte irgendwann nicht mehr, bis ich zum ersten Mal mich selbst mit einer Rasierklinge verletzte. Es ist schon witzig wie die Klinge deines kaputten Anspitzers dir diese Befriedigung gibt und es ist genauso lustig, wenn die Stimmer in deinen Kopf lacht: Ein Schnitt da, ein Schnitt dort, keiner wird's sehen, keinen wird's stören.
Es war kurz nach den Sommerferien, als der August sich langsam dem Ende neigte und sich eigentlich der Herbst hätte ankündigen müssen, doch es war noch überraschend warm, weswegen mich Paul fragte, b er mit mir nicht einen Ausflug unternehmen könnte. Ich sagte zu, stand danach aber im permanenten Stress um Zeit für ihn einzuplanen, da ich eigentlich kaum irgendwelche Treffen mit Jonas verpassen wollte. An diesen Montagnachmittag war Jonas nicht in der Stadt und somit stand kein Treffen fest, weswegen ich Paul erleichternd zustimmen konnte. Ich hatte ihn schon so oft in den letzten Monaten versetzte, dass es mir langsam leid tat ihn so niedergeschlagen zu sehen, wann immer ich ihn absagen musste. Umso mehr strahlte er, als es an diesen Nachmittag klappte.
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'Bin Ich hübsch, Mama?'
Teen FictionIch bin als Monster geboren worden, werde als Monster weiter leben und auch als eines Sterben. Zwischendurch versuche Ich ein Mensch zu werden.