„And you write your rights
And you write your wrongs
You write 100 different verses to 1000 different songs"
- You And The Pen - Paradise Fears
Mein Leben ging weiter, irgendwie. Irgendwie überlebte ich jede einzelne Minute in der Hoffnung es auch noch bis zur nächsten zu schaffen. Es gab abertausende Stunden an denen ich vor lauter Melancholie in die Leere starrte und mein Leben der Kälte des absoluten Nichts überließ. Aber zeitgleich auch Sekunde in denen ich wieder für eine kurze Zeit fühlte. Ich nahm wieder an der Schule teil und rollte zeitgleich mein Leben wieder auf. Es fühlte sich an als würde ich aus den tiefsten Winterschlaf erwachen und den Sonnenstrahlen entgegenblicken, die Schatten des Winters aber weiterhin in meinen Nacken spüren. Mama und ich hatten unzählige belanglose Gespräche, die nur darauf hinausliefen uns gegenseitig zu beschuldigen und uns mit Schimpfwörtern zu bewerfen. Am Ende der Osterferien wechselten wir noch nicht einmal Sätze miteinander: unsere Kommunikation basierte nur noch auf einzelne Wörter und den Rauch Mamas Zigaretten. Doch das war okay für mich. Ich sah diesen Jungen zum ersten Mal in der ersten Woche nach den Osterferien. Er war der Junge, zu dem jeder aufsah. Der, den Lehrer lobten und die Eltern liebten. Alle Mädchen wollten ihn für sich und alle Jungen wollten seine besten Kumpels sein. Und dennoch war er anders als die anderen Jungs hier an der Schule. Immer wenn er an meinen Tisch in der Mensa vorbei kam konnte ich sein fahlen Geruch nach Kaffee riechen. Seine Haut war so blass wie ein Stück Kreide und sein Haar war spröde und unordentlich. Mit einem Blick auf ihn fingen meine Knie zu schlottern und meine Hände zu zittern an.Ich hatte mich verliebt in einen Jungen, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte. Er hatte die schönsten blauen Augen, die ich kenne. Ich erinnerte mich, wie ich diese Augen überall suchte: in der Schule, in der U-Bahn, im Park. Die leuchtenden grünen Flecke in seinen Augen, wenn er lachte. Ich sehe dieses Funken jedes mal in seinen Augen, auch wenn er andere Mädchen in der Cafeteria anschaute. Ich wunderte mich, ob ich irgendwann nur diejenige war, die er diesen Funken schenkte. Ich verlor mich in den Träumen und Illusionen mit ihm eine gemeinsame Zukunft aufzubauen, nur dumm, dass er nichts davon mitbekam. Ich fühlte mich unsicher und seit Papa tot war, hatte ich das Gefühl die Luft zum atmen würde mir fehlen. Ich verfolgte ihn bis zu seinen Klassenzimmer und die Pausen hinüber auch. Ich hatte dieses bestimmte Gefühl in sehen zu müssen. Wenn ich ihn einmal verpasste, verspürte ich so etwas wie Leere und Niedergeschlagenheit den Rest des Tages über. Und ich wusste diese Gefühle nicht einzuordnen.
Es war an einem Mittwochnachmittag als ich gerade Schluss hatte, gemächlich die Treppe vom dritten Stock herunter kam und an der Aula vorbei streifte. Die Musik und die Stimmen, die von drinnen ertönten, ließen mich plötzlich stehen bleiben und verursachten einen Schauder, der sich über meinen Rücken bis hin zu den Zehenspitzen ausbreitete. Es war die Stimme des Jungens, welchen ich schon seit Wochen über verfolgt hatte und der immer wieder unaufgefordert in meinen Gedanken erschienen war. Und nun trennte uns gerade mal eine dicke Eichenholztür, die trotz des robusten Holzes ein leicht überquerendes Hindernis war.
Du nimmst jetzt deine eine Hand, die du hast, legst sie auf die Klinke und öffnest diese verdammte Tür, Marie.
Und ohne mich zu widersetzen tat ich, wie mir selbst befohlen und trat in die Aula hinein. Es war ein atemberaubender Anblick, der sich mir dort erbot. Und diesen zu beschreiben wird kitschig und übertrieben klingen, aber das alles kam mir in dem Moment einfach so Übernatürlich vor. Die großen, länglichen Fenster ließen goldgelbes Licht hinein fluten, welches die Staubpartikel in der Luft aufwirbeln ließ. Er saß in der Mitte des riesigen Saales, so als wäre das Zentrum dieses ganzen Spektakels von dem das Licht und die Energie ausging. Und natürlich war es für mich auch so. Seine Gitarre hielt er locker fest und spielte Akkorde, die in meinen Ohren wie ein Orchester klangen. Die anderen im Raum standen am Keyboard oder sangen in Mikrofone hinein, aber meine Augen, meine Gehör und mein Verstand war auf ihn fokussiert und blendete alle anderen Sachen komplett aus. Ich weiß nicht, wie lange ich dort in der Türangel stand, den Tönen lauschte und diese Kraft auf mich wirken ließ, aber irgendwann merkte ich, dass sich in dem Saal unheimliche Stille ausbreitete und die ersten ihre Musikinstrumente zusammenpackten, während andere sich schon an mir vorbei drängelten und mir dabei noch einen fragenden leicht belustigten Blick zuwarfen. Ich merkte augenblicklich wie meine Wangen rot anliefen und das mein Armstumpf zu kribbeln anfing und bevor ich von dieser mir peinlichen Situation entfliehen konnte, bemerkte er mich. Er lächelte so unglaublich sanft, dass ich mich nicht bewegen konnte und als er seine Lippen bewegte konnte mein Kopf keinen Zusammenhang mit dem feststellen, was er sagte. Mir war es äußerst unangenehm als er mich fragend anschaute, ich aber keine Ahnung hatte, was genau er eben gefragt oder gesagt hatte.
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'Bin Ich hübsch, Mama?'
Teen FictionIch bin als Monster geboren worden, werde als Monster weiter leben und auch als eines Sterben. Zwischendurch versuche Ich ein Mensch zu werden.