1997 - Teil 1

310 44 0
                                    

„Someone laughs

and to me it sounds like color"

- Color – Paradise Fears

Als meine Tante Maja verkündete, sie würde Onkel Leonard heiraten, wurde sie zu einer der wichtigsten Personen in meinen Leben. Sie war nicht nur lustig, entspannt und zuvorkommend, sondern verstand mich auch. Bei ihr fühlte ich mich fast so geborgen wie bei Papa.

Ich bekam die große Ehre ihr die Trauringe zu überreichen, da sie weder einen Sohn noch eine Tochter hatte. Sie sagte immer, sie brauche das nicht, da sie mich hätte. Und jedes mal wünschte ich mir sie wäre meine Mama. Ich fühlte mich schuldig wenn ich daran dachte und deswegen wollte ich es so schnell wie möglich auch wieder vergessen. Aber Gedanken kommen und gehen, aber dieser blieb erstaunlich lange und oft in meinen Kopf. Tante Maja weinte, als ich ihr und Leonard die Ringe überreichte und anstatt sie sich sofort gegenseitig an zuschieben, stand sie erst einmal auf und küsste mich auf die Stirn. So intim ließ ich eigentlich nur Papa an mich heran. Danach auf der Hochzeitsfeier tanzte Tante Maja hauptsächlich mit mir und als die wilden Popsongs anfingen, ließen wir unsere damenhafte Hülle fallen und machten neben komische Grimassen und Tanzmoves auch noch akrobatische Einlagen. Papa filmte dies alles mit Tränen in den Augen und wenn ich mir das jetzt zu Hause alles noch einmal ansah, erkannte ich Mama im Hintergrund auf dem Stuhl sitzen. Ihre Haare wie ein Vorhang vor sich Gesicht gezogen mit starren Blick auf die Tanzfläche und mich und meiner Tante. Im Nachhinein tat es mir leid kein einziges Wort mit ihr auf der Feier gewechselt zu haben, aber dort in diesen Augenblick hatte ich mich frei und geliebt gefühlt. Beides, was mir Mama nie geben konnte. Am Buffet fragte ich meine Tante, woher sie wusste, dass sie Onkel Leonard liebte. Für mich war Liebe ein so großes, unantastbares Gebiet, dass ich immer den Atem anhielt, wenn ich davon las, darüber nachdachte oder es mit eigenen Augen sah. Es war wie ein Rätsel, dass unmöglich war gelöst zu werden und das jeden in ungeheurere Faszination, aber auch Frustration bringen konnte.

„Ich wusste es einfach", antwortete meine Tante und strich mir durch mein lockiges Haar.

 „Hast du nicht manchmal daran gezweifelt ihn zu lieben?", fragte ich noch einmal zurück und konzentrierte mich auf ihre ruhigen grauen Augen. Sie ging in die Hocke um auf Augenhöhe mit mir zu sein und nahm meine Hand in ihre.

"Wenn du nachdenken musst, ob du liebst, dann liebst du nicht."

Und von diesen einzigen Satz an, war meine Tante alles für mich. Sie war meine größte Heldin, die einzige Rettung und mein Fels in der Brandung, wenn ich zweifelte; egal ob an irgendeiner Aufgabe in der Schule, mein Selbstwertgefühl bezüglich meines Aussehen und meines nicht vorhandenen rechten Armes oder aber auch in der Liebe. Sie war da. Sie liebte mich.


'Bin Ich hübsch, Mama?'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt