1994 - Teil 1

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Eineinhalb Jahre sind vergangen seit das kleine Monster uns verlassen hat, obwohl es noch nicht einmal wirklich da gewesen war. Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit ich mit Paul zusammen im grünen Gras lag. In den Eineinhalb Jahren ist nicht wirklich viel passiert. Ich spielte mit Paul, Nadine und Jan in der Schule und kam ab und an mit Romeo ins Gespräch, der mich immer dümmlich angrinste. Papa war immer noch der, der er war, als ich geboren wurde, nur Mama hatte sich verändert. Sie war noch distanzierter und emotionsloser geworden, eineinhalb Jahre nach ihrer Fehlgeburt ging sie immer noch nicht arbeiten, weil, wie sie sagte, sie sich noch nicht „bereit" dafür fühlte. Ich verstand es nicht. Papa ging es doch auch besser und er ging auch wieder arbeiten, also warum konnte Mama es nicht? Es war an einem Wochenende, wo Papa mal wieder nach langer Zeit mit seinen Freunden ein Bier trinken gehen wollte.

„Pass auf deine Mama auf, Marie", sagte er und küsste meinen Scheitel. Mir drehte sich der Magen um, als ich daran dachte mit meiner Mutter alleine zu sein. Sollte es nicht eigentlich anderes herum sein? Sollte Mama nicht auf mich aufpassen?

„Mach ich", versprach ich Papa und brachte ihn zur Tür, wo er sich noch einmal verabschiedete und nach jeden Schritt den er nahm, sich umdrehte und mir zuwinkte. Ich winkte zurück, bis Papa hinter den nächsten Gebüschen verschwand. Ich blieb noch eine Weile stehen und schaute mir unseren Vorgarten an. Die Wiese war schon getrocknet und grau und wurde anstatt von Blumen, von grauen Laubblättern überdeckt. Unser Apfelbaum stand kahl und trist neben der Bank, die Papa und ich diesen Frühjahr zusammen blau angestrichen hatten. Mir war mulmig als ich die Tür schloss, die Außenwelt abschirmte, und alleine mit meiner Mama in diesen großen Haus war. Wie ein Dieb schlich ich auf Zehenspitzen durch den Flur in das Wohnzimmer. Mamas saß oben im Schlafzimmer und nähte, dass machte sie jetzt häufiger seit das Monster fort war. Ich malte im Wohnzimmer an dem großen Esstisch und hielt ab und an den Atem an, als ich von oben ein Geräusch war nahm, dass auch nur in der kleinsten Weise von dem normalen Klang des Nähens abwich. Es verging eine Stunde in der ich mich langsam entspannte und die Stifte nicht mehr auf das Papier hämmerte, sondern weich drüber fahren ließ. Ich war gerade versunken in eine Unterwasserwelt voller Meerjungfrauen, Korallen und bunte Fische, als Mamas Stimme mich zusammen zucken ließ und mein roter Stift auf die weiße Tischdecke fiel. Mama schien es noch nicht einmal zu bemerken.

  „Sollen wir vielleicht auf den Spielplatz, Schatz?", ihre Stimme war eigenartig monoton. Das Wort „Schatz" ohne ein Anzeichen von Emotion.

„Es ist wunderschön draußen."

 Ich wollte aufspringen, sie an fauchen, dass ich ihre Nettigkeit durchschaue und sie ruhig wieder nach oben gehen könne, so wie sie es letzten Monat, und den Monat darauf und darauf, getan hatte, als mir Papas Worte einfielen, dass ich auf Mama aufpassen musste. Bei dem Vorschlag, rauszugehen und sich der Zivilisation zu stellen, drehte sich mir der Magen um, aber dennoch willigte ich ein Kein Hauch von Freude oder Dankbarkeit huschte über Mamas Gesicht, sie starrte mich nur die ganze Zeit an. Mir fiel besonders beim Schuhe anziehen auf, als ich sie um Hilfe bat, dass sie wie eine Puppe handelte und meine Befehle befolgte. Früher hätte sie mich noch ermutigt, es wenigstens alleine zu versuchen, obwohl sie wusste das es unmöglich war, doch heute machte sie es ohne ein Kommentar. Mein Armstumpf kribbelte unangenehm, als Mama mir beim Anziehen der Jacke kurz streifte. Ihre Hände waren so kalt und steif, wie ihre Augen und ihre Bewegungen. Ich hielt ihre Hand, sowie es sich für Kinder die ihre Mama lieben gehörte, als wir unser Haus verließen und die Straße runter um Spielplatz marschierten.

'Bin Ich hübsch, Mama?'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt