„You took me for granted,
Now I'm finding my way home alone,
Leaving you swallowing silence for two,
Just blame it"
- Fall On Me – Paradise Fears
Mit der Klinge in der Hand sitze ich dort und schreibe auf meine Haut. Jede Narbe, ob alt oder frisch, erinnert mich an den Kampf gegen mich selber. An die Momente, an denen der innerliche Schmerz zu groß war, um ihn Stand halten zu können. Ich erinnere mich jedes Mal an die Worte meines Vaters, als ich ein kleines Mädchen gewesen war. Jedes Mal, wenn ich mich an meinen Finger verletzt hatte, sagte er mir, ich soll meinen kleinen Zeh drücken. So lange bis ich den Finger vergaß und nur noch an den Zeh dachte. Er hat mir gezeigt, dass ich ein Schmerz ignorieren kann, wenn ich mich auf einen anderen konzentriere. Und es hört sich ähnlich an, wie etwas was ich jetzt tue. Ich will, dass der körperliche Schmerz über meinen seelischen Schmerz siegt. Erst nach Stunden verließ ich mein Zimmer, nachdem ich die Taschentücher entsorgt, die Poster von den Wänden gerissen und das Bett abgezogen hatte. Neben mir ein hüfthoher Koffer mit meinen Überbleibsel dieser ehemaligen Familie und dieses ehemaligen Hauses. Draußen auf dem Flur war es stickig, aber leise. Staubpartikel tanzten im Strahl des Lichtes was durch die Dachluke fiel. Das viereckige Quadrat sah aus wie das Licht am Ende des Tunnels. Onkel Leonard war derjenige, der mein Koffer die Treppe hinunter trug und verstaute ihn der alten Rostlaube von Tante Maja. Mama war fort. Es war vor zwei ein halb Tagen gewesen, als ich sie bewusstlos am Boden neben ihr eigenes Erbrochenen fand. Der Frühsommer und die erste Hitzewelle hatte es mir schier unmöglich gemacht diesen Zustand kommentarlos zu ignorieren und so hatte ich neben dem Krankenwagen noch die Polizei verständigt.
Ja. Nein, so kann ich nicht mehr leben, danke. Ich hatte versucht noch ein paar Tränen herauszuquetschen, damit es so aussah, als würde mir der Anblick schwer zusetzen. Vergeblich. Der Sanitäter meinte zu dem Polizisten, der alles vernommen hatte, es sei womöglich ein Trauma.
Ich musste innerlich lachen. Ein Trauma, ich? Nie im Leben.
Man brachte Mama ins Krankenhaus, wo sie am Tropf hing und ihr der Magen ausgepumpt wurde. Ich betet, dass sie eine Leberzirrhose bekam. Doch der Arzt meinte mit einen erleichterten Glückslächeln im Gesicht, dass sie keine weitere Schäden davon getragen habe. Ob vielleicht eine Entzugsklinik in Frage käme?
Ich stimmte zu und nun würde sie heute aus den Krankenhaus entlassen und direkt in die Klinik gebracht werden. Ihre Entscheidung war sehr nüchtern und teilnahmslos gefallen, nachdem ich mit ihr alleine im Zimmer gewesen war und sie wie ein angekettete Hund nichts anderes tun konnte, als die Papiere zu unterschreiben. Eine kleine Auszeit würde uns beiden gut tun, nicht Mama?
Und nun war sie weg für mindestens 3 Monate und ich zog bei Tante Maja ein, die mich, als sie mich sofort im Krankenhaus besucht hatte, in den Arm schloss und mir ihre Liebe sicherte. Von Jonas hörte ich kein Wort in dieser Zeit.
Er rief mich erst 5 Tage später an, nachdem ich mich bei Tante Maja im Gästezimmer ihres kleinen Gartenhäuschen eingerichtet hatte und berichtete mir, dass er mich sehen wolle. Er liebe mich doch. Ich wollte auf kalt und unnahbar, ja gar zickig tun, doch seine Wärme in der Stimme ließ mich wieder verführen. Ihn sei an dem Wochenende das Rauchen nicht so gut bekommen. Er vermisse mich und meine Nähe. Dass er neben bei, sich Monicé einen Blasen ließ bemerkte ich nicht. Ich brauchte jetzt gerade eine starke, muskulöse Schulter zum Anlehnen, mehr als alles andere auf dieser Welt. Ich verließ also mein Haus für drei Monate und zog wie ein Pflegekind bei meiner neuen Pflegefamilie ein und mir ging es gut. Die nächsten Monaten ging es mir aufgrund der Abwesenheit meiner Mutter gut.
♦♦ ♦♦
Die Sonne schien hell am Himmel und schickte gellende Hitze auf die Erde hinab. Ich saß im Schatten einer Eiche und hatte die Augen geschlossen. Hörte das Zwitschern der Vögel, vermischt mit den leisen Summen meiner Tante.
„Geht es dir gut mein Schatz?"
Seit das Auffinden meiner Mutter in katastrophalen Zustand ging es mir besser den je, meine Tante aber machte sich im Gegensatz große Sorgen um meinen Gemütszustand, die ich mit einen „Mir geht es wirklich gut" abgewiesen hatte. Das Ritzen hatte nachgelassen, die Treffen mit Jonas wurden intensiver und die Abende, die ich mit Paul, Jan und Nadine in den Sommerferien mit Horrorfilme verbrachte wurden zu meinen liebsten.
Vorsichtig öffnete ich meine Augen und lächelte. Tante Maja stand vor einem großen Brombeergebüsch und ihre Hände waren schon ganz blau, von der Farbe der Früchte.
„Ja."
Es war eine ehrliche Antwort. Mir ging es gut, in diesem Augenblick fühlte es sich an als würde mein Herz von weicher Watte umhüllt werden.
„Du siehst nur so oft so traurig aus, weißt du", sie hielt in ihrer Bewegung inne und schaute mich besorgt an. Schon wurde mein Herz wieder Schwerere, meine Gedanken wieder trüb und nebelig.
„Du hast eine Familie, die dich liebst, das weißt du doch oder?"
„Ich weiß", und als ich dies sagte meinte ich es auch so. Ich fragte mich aber dennoch warum der Gedanke mir so fremd war und ich es nie glauben konnte. Ich habe mich gefragt, wie oft ich das noch gesagt bekommen musste und wie oft ich es noch spüren sollte, bevor ich es endlich verstand. Meine Familie war nicht Mama. Nie würde sie das sein. Meine Familie war sie, Tante Maja, und Leonard und meine Freunde und Jonas.
„Mariechen, manchmal siehst du aber aus, als wäre das ganze Universum in dir. Als wärst du zum Teil des Universums geworden", ihre kleinen grauen Augen schauten mich an. Ich wollte sagen, dass ich mich genauso fühle; undurchsichtig, viel zu groß, ohne jegliche Richtung, ohne Orientierung, ein paar Galaxien weit von der Sonne entfernt, doch ich schwieg.
Eigentlich ging es mir doch gut.
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'Bin Ich hübsch, Mama?'
Teen FictionIch bin als Monster geboren worden, werde als Monster weiter leben und auch als eines Sterben. Zwischendurch versuche Ich ein Mensch zu werden.