1994 - Teil 3

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Can you feel this, the walls are closing,

Slipping further from the hand we're holding

Feel the footsteps inching closer,

Still so far away"

- Home – Paradise Fears



Mindestens drei Tage sah ich Paul nicht in der Schule. Danach versuchte er nicht mit mir in Kontakt zu treten, wenn wir uns auf der Pause sahen, was aber deutlich misslang. Er warf mir immer ein Lächeln zu, dass zu gleich neckend und lieb erschien, aber auf keinen Fall wütend oder abstoßend gegenüber unserer Tat. Seine Mutter hatte ihn wahrscheinlich viel mehr Terror gemacht, als es meine Eltern getan haben. Mama war sowie so abwesend gewesen, weswegen Papa wieder die Oberhand übernommen hatte und anstatt mich anzuschreien und wütend zu werden, mich einfach ins Bett gebracht hatte. Das einzige was er sagte war, dass ich wüsste, das es falsch gewesen sei, aber ich meine Gründe dafür bestimmt gehabt hätte. Ich weiß nicht, ob es die richtige Erziehungsmaßnahme ist, aber Papa weiß es selbst nicht besser und wütend kann er schon gar nicht werden. Desto erstaunter war ich als ich einen Streit meiner Eltern mitbekam, gut einen Monat nach meiner ersten rebellischen Aktion mit gerade mal 9 Jahren. Es war ein Donnerstag und das Wetter war rapide schlechter geworden, so als ob nur weil es auf einmal September war, der Herbst einmarschieren und Gott die Regenpforten öffnen wollte, um endlich mal wieder die Wolken zu entlasten. Ich ging gemächlich nach Hause, da mich der Regen faszinierte und es sich anfühlte, als würde er meine Haut liebkosen. Romeo dachte ich wartete auf ihn, als er aus dem Schulgebäude trat und mich erblickte. Er holte mich ein, was nicht allzu schwierig war, da ich mich nur mit schlürfenden Schritten voran bewegte, und ging eine Weile schweigend neben mir her.

„Das hast du gut gemacht", fing er an, „Das mit der Colaflasche."

 „Danke", ich versuchte abweisend zu klingen, so zu tun als würde es mir nichts ausmachen, dass er neben mir herlief, obwohl, zugegebenermaßen, war ich es sehr schlecht darin. Wir gingen weiter schweigend neben einander her und ich schaute zu, wie neben uns Ältere Leute mit Rollator vorbeifuhren und trotz ihrer langsamen Fortbewegung lachten und das Leben genossen. Wie sie ihre beiden Hände an den Griff festhielten und ab und an eine Hand losließen, um ihren Partner etwas zu zeigen. Könnte ich das jemals? Einfach so loslassen und mich mit einer Hand weiterhin festhalten, in dem Wissen, dass mir nichts passieren würde? Nein, das könnte ich nicht. Nie.

 Ohne Romeo zu verabschieden bog ich rechts in meine Straße ein und war mir sicher das er mir nicht folgen würde, da er nicht mal annähernd in der gleichen Gegend wie ich wohnte, sondern die große Hauptstraße weiter hinunter in einem großen klotzigen Haus in einer aber viel kleineren Wohnung mit seinen Brüder und seiner Mutter wohnte. Ich behielt recht, als ich keine Schritte wahrnahm, die mir folgten, sondern nur seine Stimme hörte, die weder anklagend noch freundlich oder lieb klang, sondern einfach wie eine leblose, Fakten bereichernde Stimme.                                                                                                                                                                                             

„Ich weiß, dass Paul, die Flasche in der Hand hatte, Marie. Und das er sie dir draußen gegeben hat. Thoben und Gabriel haben es nicht gesehen, aber ich."

Toll, na und? Gehörte ich jetzt nicht dazu, so wie ich es wollte, als ich mich dazu entschlossen hatte Romeos Aufgabe Gehör zu schenken? Mir war es egal, irgendwie in den letzten Tagen und Wochen, war es mir egal geworden und ich wusste nicht einmal warum.

'Bin Ich hübsch, Mama?'Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt