Kapitel 52.

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Max

Ich öffnete die Augen. Meine Glieder schmerzten. Verwirrt starrte an die Zimmerdecke des Raumes, in dem ich mich befand und sah mich langsam um. Ich befand mich in einer, von Vorhängen eingetrennen, Kabine.
Das Krankenzimmer? Warum war ich hier?
Verwirrt setzte ich mich auf und versuchte mich zu erinnern. Wir waren bei dieser Versammlung gewesen, dann waren da diese dreckigen Vampire reingeplatzt. Hatten die mich nicht mit einer Kugel erwischt?
Mit gerunzelter Stirn blickte ich an mir hinab.
Ich trug kein Oberteil, allerdings war es nicht das, was mich verwunderte.
Es war keine Wunde zu sehen.
Hatte ich mir das alles etwa nur eingebildet?
Nein, unmöglich.
Ich erinnerte mich an den Schmerz und an das ganze Blut... ich hatte keine Luft mehr bekommen. War ich erstickt? Hatten mich die Ärzte rechtzeitig genug behandeln können?
Ich war irritiert und beschloss meinen Vater zu suchen und ihn um eine Erklärung zu bitten.
Und was war eigentlich mit Jenny?! War schon bekannt wo sie gefangen gehalten wurde?
Als ich meine Füße auf den Boden setzte merkte ich, dass ich keine Socken trug.
Aber immerhin hatte ich noch meine Shorts an.
Ich stand auf und zog den Vorhang zur Seite.
Eine Krankenschwester kam mir entgegen und ich taumelte einen Schritt zurück, als sie an mir vorbeiging.
Ihr Puls. Ich hatte ihren Puls gehört.
Mir ging der Arsch auf Grundeis. Meine Kehle fühlte sich plötzlich trocken an, so als hätte ich seit Jahren nichts getrunken.
Ich zwang mich langsam durchzuatmen und hob eine Hand um meinen Puls zu fühlen.
Doch da war nichts, das ich hätte ertasten können. Hektisch wandte ich den Blick umher und entdeckte Widow.
Er saß zwei Betten weiter, hatte ein Knie angewinkelt und las eine Zeitung.
Außerdem hing er am Tropf und sah ziemlich mies aus. Die dunklen Augenringe erkannte ich schon auf die Entfernung. Und auch, dass ihm seine Haare vor Schweiß auf der Stirn klebten.
Als ich genauer hinsah erkannte ich auch die Schweißperlen, die sich über seinen Augenbrauen befanden. Sein rechter Arm war verbunden und an seiner Schulter befand sich ein großes Wundpflaster. Ich musterte ihn einen Moment lang ohne etwas zu tun.
Dann fiel mir wieder ein, was ich eigentlich wollte.
Er hatte mich gebissen, da war ich mir sicher.
Ich stapfte los und steuerte sein Bett an. Wut durchbohrte mich, allerdings ebbte sie mit jedem Schritt weiter ab.
Neben Widow angekommen, war fast alles verraucht und ich fühlte mich einfach nur noch kleinlaut. Fast als hätte ich nicht das Recht wütend auf ihn zu sein.

"W-Widow...", setzte ich an, hielt aber Inne.
Stotterte ich?! Ich hatte noch nie in meinem gesamten Leben gestottert. Nichtmal als Kind!
Ruckartig schüttelte ich den Kopf.

"Ah, sieh an wer aufgewacht ist.", Brummte er und faltete die Zeitung zusammen.
Er schien nicht sonderlich gut gelaunt zu sein.
Angesichts seines Zustands etwas, das ich nachvollziehen konnte...
Was dachte ich denn da?!
Vom ersten Moment an hatte ich ihn gehasst.
Nicht ein einziges Mal hatte ich Sympathie für diesen Freak empfunden. Doch als ich ihn jetzt musterte wurde mir etwas klar. Meine Abneigung war verschwunden und ich war nicht einverstanden damit. Ich wusste, dass ich ihn hasste, das machte es also nicht besser, im Gegenteil.

"Du...!", Mir blieb das Schimpfwort im Halse stecken. Ich konnte ihn nicht beschimpfen.
Warum konnte ich ihn nicht beschimpfen?!

"... Ich?"

"Was hast du getan?!", Zischte ich und kratzte einen Teil der Wut, die ich vorhin verspürt hatte, wieder zusammen. Allerdings in einer erbärmlich geringen Menge.

"Bis grade eben hab' ich die News gelesen."

"Was hast du mit mir gemacht?!", Wiederholte ich mich, diesmal präziser.

"Er hat dir das Leben gerettet.", Hörte ich die Stimme von meinem Vater aus ein paar Metern Entfernung. Er hatte den Raum grade erst betreten, denn ich hörte die Tür noch ins Schloss fallen. Er erreichte uns, stellte sich an das Fußende von Widows Bett und blickte mich an. Dann hörte ich seinen Herzschlag. Ich sog scharf die Luft ein.
Ihm meine Wut entgegenzubringen war kein Problem. Ich hätte explodieren können, als er mich so besorgt ansah. Aber ich wollte diese Emotion an der Person auslassen, die es verdient hatte und das war Widow.
Ich rümpfte die Nase.

"Warum hast du das zugelassen?!", zischte ich ihn an und versuchte die Fassung nicht zu verlieren.

"Er hat es nicht nur zugelassen, er hat mir 'ne Knarre an den Kopf gehalten und mich mehr oder weniger dazu gezwungen.", knurrte Widow und hob den Blick.

Also war es nichtmal seine...WAS. ZUM.
DOCH, verdammt, das WAR ES.
Widow hatte das zu verantworten. ER hatte mich gewandelt. So im Zwiespalt mit mir selbst war ich noch nie in meinem gesamten Leben gewesen und trotzdem schaffte ich es nicht ihn anzuschreien.

"Im Ernst?!.", Sagte ich dann und blickte meinen Vater flehentlich an. Das konnte er doch nicht... Ich meine, ich konnte doch kein Vampir sein, das ging nicht. Er konnte das unmöglich zugelassen haben.

"Max hör zu, es tut mir leid, aber es gab keine andere Möglichkeit.", Entschuldigte sich mein Vater und blickte mich traurig an.
Es tat ihm leid, es tat ihm wirklich leid.
Aber das reichte nicht, das machte es nicht ungeschehen. Ich taumelte einen Schritt zurück und suchte mit meiner Hand nach einem Gegenstand, an dem ich mich festhalten konnte.

"Setz dich, bevor du hier gleich alles umschmeißt.", murmelte Widow und deutete auf den Stuhl, der hinter mir stand.

Ich ließ mich auf die Sitzfläche sinken und starrte ins Nichts. Das durfte nicht wahr sein, da musste es einen Irrtum geben. Die Zwei nahmen mich doch nur auf's Korn.
Ich hörte ein Knistern und blickte wieder auf.
Widow entfaltete seine Zeitung erneut und warf meinem Vater einen Teil davon hin.

"Erweiterter Selbstmord?", Er lachte leise, "Das nennst du eine gute Erklärung für das Massaker vor dem Krankenhaus?"

"Was für ein Massaker?", Fragte ich tonlos und runzelte die Stirn. Was ist an diesem Abend sonst noch passiert?
Keiner der Beiden ging auf meine Frage ein. Ich musterte Widow mit leicht zusammengekniffenen Augen.

Mein Vater zuckte mit den Schultern.
"Ich hätte es ja wohl kaum als Metzgereiunfall auslegen können."

Widow schüttelte nur den Kopf und nahm sich den Artikel zurück.

"Kann mir jetzt endlich mal jemand sagen was passiert ist?!", Fragte ich und merkte, dass ich ein wenig zitterte, genau wie meine Stimme.

"Du solltest dich erst zuende ausruhen, bevor wir..."

Ich unterbrach meinen Vater wütend.
"Ich BIN ausgeruht!", das stimmte zwar nicht, aber mein Zustand war grade zweitrangig, "Was ist mit Jenny?! Was ist mit den scheiß Vampiren passiert?! Und WAS für ein verdammtes Massaker?!"

"Hörst du schlecht? Du erfährst nichts bevor du dich nicht ausgeruht hast.", befahl mir Widow nun genervt. Ich starrte ihn an. Nach einigen Sekunden wandte er den Blick zu mir und sah mich durchdringend an. Dann erst wurde mir klar, was ich empfand, als ich in seine tiefrote Iris blickte.
Demut, tiefste Demut.
Ich schluckte und stand auf um mich wieder ins Bett zu legen.

"Ach warte.", Sagte er dann noch.

Ich wandte mich noch einmal um.

"Du solltest es so lange wie möglich herauszögern Blut zu trinken. Sonst könnte es sehr schnell sehr unangenehm für dich werden.", riet er mir.

Da ich nicht sonderlich viel über Vampire wusste, konnte ich nicht sagen was es mit dieser Info auf sich hatte, aber ich hatte nicht vor jemals auch nur einen einzigen Tropfen menschliches Blut zu mir zu nehmen.

Auch wenn ich den Puls von meinem Vater im Ohr hatte, als er mir eine Hand auf die Schulter legte.
Auch wenn die Krankenschwester verlockend warm roch.
Und auch, wenn meine Kehle brannte wie Feuer.
Ich würde dem Ganzen nicht nachgeben.
Niemals.

Vampire Agent (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt