Kapitel 51

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Widow

Ich wachte von einem gleißenden Schmerz auf und musste augenblicklich an die DNA-Geschichte denken. Sofort riss ich die Augen auf. Ich lag immer noch im Bett.
In dem gleichen Bett, in dem ich auch das letzte Mal gelegen hatte und nicht wieder auf einem kalten OP-Tisch mit dicken Injektionsschläuchen an den Armen.
Ich ließ den Blick zur Seite schweifen und stellte fest, dass ich nach wie vor an den Tropf angeschlossen war. Ich presste die Lider kurz zusammen, um irgendwie klar im Kopf zu werden, nur funktionierte das nicht ganz so gut, wie ich es mir erhofft hatte.
Ich hörte Schritte. Nicht die von Jonas, die konnte ich mittlerweile gut von anderen unterscheiden, schließlich trug er immer die gleichen Schuhe und hatte meistens einen sehr energischen Gangart drauf.

"Nehmt noch eine Blutprobe, ich brauche ein aktuelles Bild!", Befahl der Arzt.

Langsam öffnete ich die Augen wieder, als ich einen Nadeleinstich in meinem linken Arm spürte. Die Schwester hatte die Nadel scheiße angesetzt, denn der Stich brannte wie Feuer. Ich rümpfte die Nase, als ich meine Haut sah. Ich war ja allgemein schon sehr blass, doch nun sah es aus, als hätte irgendein Fanatiker Asche auf meine Haut gerieben.
Ich wusste, dass es einen Konflikt zwischen den zwei Viren gab und das war es auch, wonach es sich anfühlte, denn zu meiner Haut drang ein schreckliches Prickeln durch, fast wie tausend kleine Explosionen innerhalb meiner Adern. Man konnte es mit dem Gefühl vergleichen, in einem dicken Hagelregen zu stehen, nur dass jeder Tropfen, jedes Hagelkorn aus Säure zu bestehen schien.
Diese Vorstellung überrollte mich geradezu und ich öffnete immer wieder die Augen um zu sehen, ob meine Haut sich schon von meinem Fleisch ablöste. Aber jedes Mal, wenn ich hinsah, erkannte ich nur den aschgrauen Farbton, die dunkeln Adern, die sich darunter wunden und die verkrampfte Muskulatur.

Du bildest dir das ein.

Das war es, was mir meine innere Stimme jedes Mal sagte, wenn ich die Augen wieder schloss, nachdem ich ein weiteres Mal nachgesehen hatte. Irgendwann ließ der Schmerz für eine kurze Weile nach.
In dieser Zeit schien ich mich wieder in einer anderen Dimension zu befinden.
Jedenfalls so lange, bis ich mit einem schmerzhaften Ruck wieder auf den Boden der Tatsachen zurück geholt wurde.

"Dreck", knurrte ich, als ich aus den Wolken fiel und die Augen öffnete. Ein Arzt stand an meinem Bett, er hatte ein Klemmbrett in der Hand. Ich musterte ihn eine Zeit lang ohne etwas zu sagen. Dann blickte er langsam auf, hielt kurz den Blickkontakt und notierte sich dann etwas.

"Gute Neuigkeiten.", Sagte der Arzt und versuchte sich an einem Lächeln, "Sie haben es soweit überstanden und sollten noch vollkommen Sie selbst sein."

Ich seufzte und schloss die Augen.

"Das aber auch nur, weil Ihre Genetik verändert ist. Der normale Virus ist dem des Ghouls deutlich unterlegen. Sowohl Menschen, als auch Vampire können damit infiziert werden und sich letztendlich wandeln. Vorausgesetzt ist immer, dass man den Biss überlebt.", Erklärte der Arzt. Ich wusste zwar nicht, ob er mir all diese Information aus erster Hand mitteilen durfte, aber spätestens durch Jonas hätte ich es ohnehin erfahren. Ich nickte langsam und er fuhr fort.

"Wir behalten die jetzige Dosis Morphium noch ein paar Tage bei und lassen sie dann ausschleichen. Es sei denn Ihnen ist ein kalter Entzug lieber."

"So blöd es auch klingen mag aber ja, ein kalter Entzug ist mir lieber. Dauert sonst zu lange.", Brummte ich. Noch ein paar Tage...
Sollte ich Jonas beim Wort nehmen und die altbekannte Wirkung der Droge wirklich genießen? Wenn ich das tat, würde ich den Vollrausch dann nicht wieder vermissen?
Ich musste zusehen, dass ich mich so gut es ging von diesem Gedanken distanzierte.

"In Ordnung, ist notiert.", Sagte der Arzt, "Ich werde Mr. Duman ausrichten, dass Sie wieder ansprechbar sind.", Sagte der Arzt und verschwand. Kurz darauf kam Jonas den Gang entlang gehastet. Hatte er etwa Angst, dass ich wieder wegdämmerte?

"Gottseidank. Es stand ein paar Stunden lang nicht gut um dich, ich hab mir schon...", Er räuperte sich.

Ich zog die Augenbrauen hoch.
"Du? Hast dir Sorgen gemacht??", Ich verkniff mir ein schwaches Grinsen. Man trage sich diesen Tag rot im Kalender ein.

"Ganz ehrlich seit London mache ich mir fast dauerhaft Sorgen um dich und um deinen geistigen Zustand. Vielleicht sollte ich noch einmal den Gutachter einladen, damit er eine Neuschätzung vornimmt."

"Untersteh dich.", Brummte ich.

"Kleiner Themenwechsel, ich muss wissen, wie es mit dem Clanleiter des Superior Clans steht. Hilft er oder-"

"Er ist tot.", Sagte ich bitter, "Ist als Unfall deklariert gewesen. Aber gut, dass du mich dran erinnerst, ich muss...", Ich machte Anstalten aufzustehen.

"Beweg dich und ich lass dich wieder in ein Bett mit Lederriemen verfrachten."

"Wieder?!", Ich runzelte die Stirn und lehnte mich langsam wieder zurück.

"Als es noch 50/50 stand, hab ich dich sicherheitshalber festschnallen lassen. Nur für den Fall, dass der falsche Virus gewinnt, wenn du verstehst was ich meine."

"Hm. Hätte ich wahrscheinlich auch gemacht.", Ich kaute auf meiner Lippe herum, "Ich muss trotzdem telefonieren. Vielleicht gibt es mittlerweile etwas Neues."

"Ich glaube nicht, dass die Ärzte es gerne sehen, wenn du dich in irgendeiner Form verausgabst."

"Verausgaben?", Ich schnaubte, "Ich glaube es ist noch nie vorgekommen, dass sich jemand totgequatscht hat, sonst wären Callcenter bestimmt aus Sicherheitsgründen verboten.", Nuschelte ich. Ich hatte probleme damit beim Sprechen die Zähne auseinander zu bekommen, aber das lag am Morphium.

"Du bist unverbesserlich.", Er zog das Handy, das er mir gegeben hatte, als meines von dem ersten Ghoul zerfetzt worden war, und warf es mir auf den Bauch.

"Halt es kurz, du hast strikte Ruheverordnung.", Befahl Jonas und gab den Krankenschwestern das Zeichen mich inruhe telefonieren zu lassen, aber in der Nähe zu bleiben.
Ich nahm das Telefon und entsperrte es zittrig.
17 entgangene Anrufe, 9 aufgesprochene Nachrichten in der Mailbox und 34 Textnachrichten. Allesamt von meinem Arbeitgeber. Ich seufzte und überflog zuerst die SMS. Die meisten beinhalteten die Worte "Ruf mich zurück" und "Es ist wichtig".
Der Rest bestand aus Schimpfwörtern und der wiederholten Frage, ob alles in Ordnung war.
Auch die Mailbox spuckte nur immer wieder aus, dass ich ihn zurückrufen sollte.
Also wählte ich die Nummer von Vlad an.
Augenblicklich nahm er ab.

"Widow?!"

"Hm", erwiderte ich, den Blick kurz auf die Morphium Injektion gelegt.

"Alles in Ordnung?! Ich hab versucht dich zu erreichen, was war los?!", Er klang nicht nur wütend, sondern ebenfalls ein wenig besorgt.

"Es gab... Komplikationen.", ich überlegte kurz, wie ich das alles am besten zusammenfassen sollte, aber es wäre wahrscheinlich nicht allzu intelligent das am Telefon zu regeln.

Er schwieg kurz.
"... Du bist wieder drauf?", Fragte er dann.

"... Woher..? Ach egal, ist 'ne lange Geschichte. Mach dir keinen Kopf, hab' nicht vor wieder dauerhaft von dem Zeug gebrauch zu machen."

"Hm..."

"Es ist wirklich eine lange Geschichte. Der Ort an dem ich mich grade befinde ist allerdings nicht optimal um jetzt alles zu besprechen. Außerdem will ich das nicht zwingend über's Telefon machen."

"Vielleicht hast du Recht. Wann machst du den Entzug?", Fragte er direkt nach.

"So zeitnah wie möglich. Spätestens in einer Woche."

"Hm... Dann treffen wir uns sobald du wieder clean bist. Melde dich, ich werde dir vorher nichts mitteilen. Sieh zu, dass du auch wirklich wieder runter kommst. Nicht wie letztes Mal.", Ich hörte den ernsten Tonfall in seiner Stimme.

"Ich bin wohl aufnahmefähig, du kannst mir-", ich hörte ein gleichmäßiges Piepen und nahm das Handy vom Ohr weg.
Er hatte aufgelegt. Knurrend beendete auch ich die Anwendung und legte das Telefon mit einer schwachen Bewegung links auf das Schränkchen neben dem Bett.
Nun, vielleicht würde Jonas deshalb wenigstens veranlassen, dass die Opiate schneller abgesetzt wurden. Je schneller ich das Zeug quitt war, desto besser.

Vampire Agent (abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt