10

5.5K 351 162
                                    

Es gibt keine Grenzen. Nicht für die Gedanken, nicht für Gefühle. Die Angst setzt die Grenzen;
___

"Wie willst du mich denn zwingen? Willst du mir auch eine Kugel zwischen die Augen verpassen?", fragte ich ihn immer noch erschrocken über das, was gerade passiert war. Ich versuchte die Angst in meiner Stimme dabei nicht die Oberhand gewinnen zu lassen, woran ich aber kläglich scheiterte.

Er schaute mich gedankenverloren an, sagte dabei kein Wort und das gruseligste daran war, dass er total glücklich wirkte, und dass, obwohl hinter uns eine frische Leiche lag.

"Hier", meinte er leise und setzte mir anschließend vorsichtig den Helm auf. "Und jetzt komm bitte mit."

Er lief mir voraus die wenigen Schritte zu seinem Motorrad und nahm darauf Platz, während ich immer noch dastand und weder ein, noch aus wusste.

"Muss ich wirklich noch mal aufstehen?", rief er mir mit einem verspielten Lächeln zu und nachdem ich theatralisch meine Augen verdreht und tief Luft inhaliert hatte, folgte ich ihm ohne Widerworte und nahm hinter ihm Platz.

Sein Oberkörper fühlte sich trotz der schwarzen Lederjacke wohlig warm an und plötzlich dachte ich nur noch daran, mich geborgen fühlen zu wollen.

Ich klammerte meine Hände um seinen Bauch, stütze mich mit dem Helm seitlich an seinem Rücken ab und schloss meine Augen, während ich die Maschine starten hörte und das Gefühl seiner Nähe genoss.

"Halt dich einfach nur fest, Kleines", drang seine dunkle Stimme leise zu mir durch und das tat ich auch, während er langsam losfuhr und ich mich fühlte, als würde ich schweben.

Ich spürte die Kurven unter mir und gleichzeitig auch die kalte Luft, sie trotz des dicken Mantels meine Haut erreichte und mich leicht zum Zittern brachte, bis ich Reahlyns Hand über meiner Hand spürte, die so schön warm war, das es mich vollkommen zum entspannen brachte.

Als ich nach einiger Zeit der Ruhe meine Augen dann doch wieder öffnete, schaute ich mir den dunklen Wald an, der rasend schnell an uns vorbeizog. Kurz war ich der Meinung, wir wären meilenweit weg von Juneau, was mir aber nur Recht war.

Ich flüchtete gemeinsam mit einem mir völlig Fremden vor meinem eigenen Leben, doch in diesem schier unwirklichen Augenblick, fühlte es sich absolut richtig an und ich versuchte wirklich alles, was hinter mir lag, vollkommen zu vergessen.

Da gab es nur noch mich, den Mann vor mir und den großen, düsteren Wald, der ums umgab. Zumindest bis er in einen kleinen Nebenweg abbog und wir noch eine Weile durch die totale Finsternis fuhren.

Unter normalen Umständen hätte ich spätestens jetzt Todesangst empfunden, doch ich fühlte mich komischerweise sicherer denn je.

Woran das lag, wusste ich nicht, aber ich schob es darauf, weit weg von Pablo und Ronald zu sein, von denen ich Letzteren wohl nie wieder sehen würde.

Das Motorrad kam nach einigen Minuten hier im nichts zum stoppen und als ich mich neugierig umsah, konnte ich nichts außer Wald um uns herum erkennen.

"Wir sind da", meinte Reahlyn und ich stieg dann als erste ab, wobei mir sofort auffiel, das seine Hand an meiner mir fehlte.

Was hatte der bloß für eine Wirkung auf mich? Das musste der Schock sein - anders war mein dämliches Verhalten nicht zu erklären.

"Wo sind wir?", hakte ich leise, fast schon lautlos nach und nahm dabei den Helm ab, doch er hatte mich anscheinend trotzdem gehört.

"Zuhause", antwortete er mir trocken und nahm dabei den Helm entgegen, um mir vorraus in dem tiefen Schwarz zu verschwinden.

Schnellen Schrittes versuchte ich mit seinem Gang Schritt zu halten und blieb erst wieder stehen, als ich in der Ferne ein riesiges Feuer sah und panisch nach Luft rang.

"Hey", flüsterte er leise und nahm erneut meine Hand, was mir sofort ein Kribbeln im Magen auslöste. "Keine Angst, okay? Ich würde dir niemals etwas tun und hier lebt meine Familie. Du hast keinen Grund zur Sorge."

Er schaute mir tief in meine Augen und sprach dabei so ruhig und liebevoll, dass ich nicht anders konnte, als ihm mein blindes Vertrauen zu schenken. Langsam liefen wir weiter nebeneinander her, bis wir kurz vor dem großen Lagerfeuer zum Stehen kamen und ich endlich wieder etwas anderes außer Wald erkannte.

Trotz der späten Uhrzeit saßen mehrere Leute auf Baumstämmen am Feuer. Sie unterhielten sich und lachten, während ich hinter ihnen mehrere Holzhütten erkannte. Sie wirkten zwar düster, aber auch familiär und gemütlich.

Es war, als wäre ich in einer völlig anderen Welt. In einer Welt, wo es keine Sorgen gab.

"Willst du dich aufwärmen?", fragte Reahlyn, doch ich schüttelte verneinend den Kopf, während ich hilfesuchend zu ihm aufschaute. Selbst hier im dunklen hatten seine Augen eine so leuchtende Farbe, dass ich fasziniert davon gar nicht mehr wegschauen wollte. "Ich will lieber allein sein", stammelte ich nervös und tapste dabei unruhig von einem Fuß auf den anderen.

"Okay."

Er zog mich an meiner Hand in die Richtung einer Hütte und öffnete diese ohne Schlüssel oder sonst was. Anscheinend waren sie hier wirklich alle eine Familie, dass so leichtsinnig mit dem eigenen Zuhause umgegangen wurde.

Er ging mir vorraus durch die Tür und schaltete das Licht an, sodass ich mich erstmal staunend umsah.

Man hätte meinen können, so allein im Wald, wäre alles alt und unmodern. Es wirkte jedoch einfach nur freundlich und einladend.

Die Wände waren, genau wie der Boden und die Aussenwände, aus dunklem Holz, doch in der Mitte lag ein großer weinroter Teppich. Dahinter an der Wand stand ein Einzelbett, das mit weißer Bettwäsche bezogen war und an dessen Fußende eine schwarze Kommode mit einem Fernseher drauf stand.

Er schaute wohl gerne Filme beim Einschlafen.

Dann fiel mein Blick noch flüchtig auf einen Schreibtisch und was ich da entdeckte, ließ mein Herz einen Schlag aussetzen.

Ich ließ seine Hand los und lief mit leicht geöffnetem Mund zu dem Tisch, um eine Zeichnung von mir selbst in die Hand zu nehmen.

Die Zeichnung war traumhaft schön - viel schöner als ich mich im Spiegel sah und vor allem, sah ich darauf wirklich glücklich aus.

"Woher wusstest du, wo ich bin?", fragte ich ihn, ohne mich zu ihm herumzudrehen und zählte dabei eins und eins zusammen.

Das ständige mich beobachtet fühlen, der maskierte Einbrecher ... Er war es ganz sicher und das beunruhigte mich dann schon wieder.

"Ich kann dich riechen", hörte ich ihn hinter mir flüstern und drehte mich stirnrunzelnd zu ihm herum.

"Riechen?", kam es fast lautlos aus mir, da er plötzlich obernherum nur noch ein weißes Tanktop anhatte und ich die schönsten Tattos bestaunte, die ich je gesehen hatte.

"Ja - ich kann dich riechen", lächelte er und kam einen Schritt auf mich zu, doch ich hielt meine Hand hoch und brachte ihn damit zum Stoppen.

"Du bist ein Stalker, richtig?"

Er schüttelte den Kopf und legte ihn leicht schief, um mich mit seinen eisblauen Augen dann intensiv zu mustern.

"Nur ein aufmerksamer Mensch."

Ich zog irritiert eine Augenbraue hoch und verschränkte dabei meine Arme.

"Das würde ein Stalker auch behaupten."

_________

_________

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
The split Mate - Only by nightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt