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Die Menschen lieben die Dämmerung mehr als den hellen Tag, und eben genau in dieser Dämmerung erscheinen die Gespenster;
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Umso näher wir Juneau kamen, umso fester krallte ich mich an Reahlyns Körper. Ich beobachtete wehmütig die Bäume, wie sie rasend schnell an mir vorbeizogen, mit der Gewissheit, dass ich gleich wieder ohne ihn sein müsste.

Ich wollte doch gar nicht wieder zurück. Wollte bei ihm bleiben, denn auch ich spürte diese Verbindung zu ihm. Fühlte mich wohl bei ihm und noch so vieles mehr. Doch ich hatte ihn verletzt, nur weil ich für Esteban auch etwas empfand, auch wenn ich noch nicht genau wusste, was es überhaupt war.

Konnte man sich wirklich zu zwei so unterschiedlichen Menschen hingezogen fühlen und das zeitgleich? War es wie Willy sagte? Der eine lässt dich fliegen, der andere holt dich auf den Boden zurück...

Falls ja, dann war Reahlyn wohl der, der mich schweben ließ und ich hatte ihn nun verletzt und damit auch mich selbst...

"Wo wohnst du, Kleine?", hörte ich seine Stimme und automatisch setzte mein Herz aus, als er mich Kleine nannte. Das war ein Zeichen dafür, dass er mich noch nicht ganz aufgegeben hatte, zumindest jetzt noch nicht. Nach Pablos Aussage war es nämlich nur eine Frage der Zeit, bis Männer die Schnauze voll von mir hatten ...

Ich beugte mich etwas nach vorne, bekam kurz ein mumliges Gefühl auf dem so schnell fahrenden Motorrad, doch ich wusste, an seiner Seite würde mir niemals etwas passieren.

"Da vorne rechts rein, der große Plattenbau", rief ich laut durchs Visier und zeigte mit meiner Hand in die Richtung, woraufhin er sofort wieder fester das Gas durchdrückte, was mich dazu brachte, mich wieder schutzsuchend an ihn zu krallen.

Ich legte meinen Kopf seitlich an seinen Rücken, schloss meine Augen und versuchte das schöne Gefühle, was seine Nähe in mir auslöste, so in mich einzubrennen, dass ich es nie vergessen würde. Es würde meine Hoffnung werden, an all den dunklen Tagen. Mir ein Lächeln bringen, wenn Tränen mich in die Knie zwingen und mir Kraft geben, nicht aufzugeben, egal wie aussichtslos die Situation erscheint...

Als das Motorrad dann langsamer wurde und ich nur traurig tief durchatmete, spürte ich plötzlich unter meinen eiskalten Händen, wie sein Brustkorb sich anspannte und anfing zu beben.

"Das darf nicht wahr sein!", hörte ich ihn vor mir knurren und löste meinen Kopf von seinem Rücken, um mich irritiert umzuschauen...

Mein Blick fiel auf die andere Seite, genau zu meiner Haustür und dann sah ich, was ihn so aufregte.

Esteban stand an die Wand gelehnt, zog gerade an einer Zigarette, während er in seinem weißen Hemd und dem schwarzen Mantel zu Boden blickte und dann, als er sein Gesicht hob und mich ohne Ausdruck ansah, hielt ich unbeabsichtigt die Luft an.

Das war es wieder, diese Verbindung die ich nicht verstand und Reahlyn hatte sicher Recht. Sie würde mein Untergang sein, denn er war ja jetzt schon der Grund, wieso ich nicht einfach glücklich in der Hütte im Wald saß ...

Zerisssen in meinem Strudel des absoluten Gefühlschaos gefangen, stieg ich schweren Herzens von dem Motorrad, nahm nur langsam den Helm ab und wandte mich dann Reahlyn zu, der aussah, als würde er gleich seine Kontrolle verlieren.

Ich sagte nichts, denn in diesem Augenblick gab es nichts, was auch nur im Ansatz beschrieben hätte, wie beschissen ich mich fühlte.

Wortlos und mit beschämten Blick reichte ich ihm den schwarzen Helm hier in der Dunkelheit und als er dann anstatt Esteban wieder mich ansah, beruhigte sich seine komplette Körperhaltung sofort wieder, was mir trotzdem kein Trost war.

"Du bist niemanden etwas schuldig, Kleine", flüsterte er und streichelte über meine Wange, während er mit der anderen Hand den Helm entgegennahm...

In dem Augenblick wurde mir klar, dass er trotz allem für mich da wäre und dass er Esteban wegen mir nichts antun würde, genauso wie Esteban ihn nicht verraten hatte....

Doch auch, wenn es mich freuen sollte, zu wissen, dass Reahlyn auf mich warten würde, fühlte ich mich nur noch schlecht ihm gegenüber. Als würde ich mein eigenes Herz gerade rausreißen, um es in der Kälte die mich umgab erfrieren zu lassen...

Ein letzter wehmütiger Blick, ein letzter tiefer Atemzug und dann sah ich ihm nur noch wie erstarrt dabei zu, wie er den Helm aufsetzte und in die Dunkelheit verschwand. Die Rücklichter wurden immer kleiner und mein Schmerz immer größer, bis ich Estebans Blicke in meinem Rücken spürte und mich mit Tränen in den Augen zu ihm herumdrehte.

Ohne etwas zu sagen lief ich langsam auf ihn zu, dabei waren meine Augen auf seinen gehaftet und ich erkannte in diesem Moment, was uns verband.

Während Reahlyn so ruhig erschien, so gefasst im Leben stand, so viel Freude und Spaß an seinem Dasein hatte, sah ich in Estebans tiefem braun das selbe Leid, den selben Schmerz, den selben Abgrund, an dem auch ich permanent stand und es war bei uns beiden nur eine Frage der Zeit, bis einer ein Schritt zu weit gehen würde.

Kurz bevor ich genau vor ihm zum stoppen kam, schmiss er seine Zigarette weg und lächelte mich flüchtig an. Ein wirklich gequältes Lächeln, als würde er es sich nur aufzwingen, um mich irgendwie zu trösten, doch ich fand darin keinen Trost...

Mein Blick fiel zur Haustür und ich holte meinen Schlüssel heraus, lief ihm vorraus dann zu meiner Wohnung, um, nachdem ich sie betrat, sofort von ihm an der Taille gepackt zu werden.

Er wollte mich... besser gesagt er brauchte mich, und obwohl sich alles in mir dagegen wehrte, empfand ich genau das gleiche in diesem Augenblick. Diese Berührungen, sein so warmer Atem in meinem Nacken. Seine Hände auf meinem Unterleib. Er entfachte wieder dieses Feuer, dass tief in mir loderte und das nur er freisetzen konnte.

Es gibt Menschen, die reden über ihre Vergangenheit. Sie verarbeiten über Worte ihren Schmerz. Darüber, dass ihr gegenüber ihnen zuhörte...

Esteban gehörte nicht zu dieser Art Menschen. Er war kein Mann der vielen Worte. Kein Mann, der dir eine Geschichte erzählen würde. Kein Mann, der stundenlang mit dir im Wald spazieren gehen würde und doch war er ein Mann, der mit den Augen so viel Gefühl ausdrücken konnte, dass man mit einem Blick genau wusste, wie es in ihm aussah. Er war nicht kalt, nur gebrochen, genau wie ich und es waren die leidenschaftlichen, stummen Küsse, die uns gegenseitig den Schmerz nahmen, wenn auch nur für eine grausam kurze Zeit ...

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The split Mate - Only by nightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt