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Das Glück ist manchmal ein Augenblick der vollkommenen Stille
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Das wenige Licht, dass durch eines der kleinen Fenster drang, weckte mich aus meinem ungewohnt tiefen Schlaf. Mehrere Male öffnete ich langsam meine schweren Lider, um mich an das Licht zu gewöhnen, bis mir dann plötzlich mit dem Blick auf den Fernseher einfiel, dass ich gar nicht zu Hause war.

Da war aber noch etwas anderes, was mir sofort auffiel. Ich fühlte mich seit langer Zeit vollkommen erholt und war weder verschwitzt - noch außer Atem, so wie ich sonst eigentlich aus dem Schlaf erwachte.

Mit einem Lächeln auf den Lippen drehte ich mich zur Seite und erkannte vor mir stehend Reahlyn, der gerade dabei war, sich mit dem Rücken zu mir gewandt zu strecken. Selbst dieser war voller Tattos.

Viele feine Linien, die sich über seine Haut zogen und ich erkannte sogar einen Wolfskopf zwischen seinen Schulterblättern - ich fand ihn wunderschön.

"Guten Morgen", sprach Reahlyn leise und drehte sich dabei zu mir herum, während ich meinen Oberkörper langsam erhob und mich ebenfalls streckte.

"Dir auch einen guten Morgen", gab ich ihm freundlich zurück und wollte gerade aufstehen, da stellte er sich aber genau vor mich, sodass ich fragend zu ihm hochblickte.

"Bleib bitte noch bei mir", flüsterte er flehend zu mir herab und ging anschließend vor mir in die Hocke, sodass sein Gesicht nah vor meinem war. Ich konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren... "Ich weiß, du kennst mich nicht und das war eine lange Nacht gestern. Ich weiß auch, wie unwohl du dich sicher fühlst, aber ich wollte-"

"Ich hatte nicht vor sofort abzuhauen", unterbrach ich ihn und sah sofort ein strahlendes Funkeln in seinen so schönen, blauen Augen.

Wenn man sich in ihrer Tiefe verlor, konnte man überhaupt nicht denken, dass dieser Mann noch eine andere Seite hatte, als diese liebevolle.

Doch es war so und trotz dieser dunklen Erinnerungen wollte ich noch etwas bei ihm bleiben. Meinem Leben wenigstens noch ein paar Stunden entfliehen. Es war einfach nur herrlich, in diese Stille des Waldes einzutauchen.

"Das freut mich", lächelte er und nahm dabei meine Hand in seine, wovon ich mal wieder zusammenschreckte. Sein Blick wurde nach meiner Geste wehmütig. Fast hätte man meinen können, er würde mit mir zusammen leiden.

"Es ist absolut grausam, dass eine Frau wie du, unter solch harmlosen Berührungen zusammenzuckt", flüsterte er und schaute mich mitfühlend an, während seine Finger sich mit meinen verschränkten und ich nichts mehr machen konnte, als dieses Gefühl zu genießen.

Es war, als wäre ich in einem Traum gefangen. Einem wunderschönen Traum, der all das Schlechte hinter mir wegspülte. Als hätte es meine beschissene Vergangenheit nie gegeben...

"Möchtest du etwas essen?"

Er sah mich mit einem sanften Lächeln fragend an, woraufhin ich zustimmend nickte. Am liebsten hätte ich aber nein gesagt, denn durch mein stummes »Ja«, erhob er sich und ließ meine Hand allein zurück.

Und da fiel mir wieder ein, wieso ich keine Nähe mochte...

Umso schöner sie sich nämlich anfühlte - umso heftiger konnte sie einem wehtun. Umso geborgener man sich fühlte - umso einsamer konnte man zurückgelassen werden und egal wie gut einem etwas erscheint - es konnte einem auf einen Schlag plötzlich wieder weggenommen werden.

Innerlich verfluchte ich mich in diesem Augenblick selbst, überhaupt hierher gekommen zu sein. Wenn es mir jetzt schon fehlte, wie er meine Hand hielt, dann würde ich bald sicher von seiner Nähe abhängig werden und das konnte ich auf keinen Fall zulassen.

Kein Mann wird je bei dir bleiben. Sobald sie sich genommen haben, was sie gebraucht haben, lassen sie dich links liegen...

Die Worte meines Stiefvaters drangen sich wie ein Virus immer wieder in meinen Verstand und nur mit Mühe schaffte ich es, nicht vollkommen davon durchzudrehen.

Als Reahlyn mir die Tür aufhielt, verdrängte ich all das Negative, stand  zögerlich auf und lief die wenigen Schritte auf ihn zu. Dabei empfand ich plötzlich nur noch Unwohlsein - erst Recht, weil seine Augen mich mit einer Liebe ansahen, die ich mir selbst nicht erklären konnte.

So hatte mich noch nie jemand angesehen.

"Warte", meinte er auf einmal, als ich genau vor ihm zum Stehen kam und holte aus dem kleinen Schrank hinter sich einen dicken, gelben Pullover. "Zieh den an. Hier kann es ziemlich kalt sein."

Ich nahm mit einem dankbaren Lächeln den Pullover entgegen und fühlte mich dabei gleichzeitig umsorgt und eingeengt - geborgen und überfordert - geliebt und doch war da noch dieser alles in mir zerstörende Selbsthass. Als hätte ich diese Großzügigkeit nicht verdient und müsste mich dagegen wehren.

"Danke", hauchte ich leise und er strich mit einem zufriedenen Grinsen über meine Wangen, ehe ich seinen Pullover überzog und ihm vorraus die Hütte verließ.

Im Hellen wirkte es hier sogar noch friedlicher als bei Nacht. Das Feuer war erloschen, doch es stieg immer noch Rauch auf. In der Ferne hörte ich Kinderlachen und sah auch einige Frauen und Männer an den anderen Blockhütten stehen, die mich allesamt neugierig musterten.

Es kam einem fast vor, wie eine Ferienanlage - mitten im Wald. Abseits jeglicher Zivilisation und trotzdem war anscheinend alles was man zum Leben brauchte genau hier.

Ein großes Fleckchen Glückseligkeit...

Es kam mir so unwirklich vor...

"Love?"

Reahlyn stand nah neben mir und fragend schaute ich ihn an. "Wir müssen da lang", erklärte er und ich bemerkte jetzt erst, dass meine Füße mich wie automatisch in die Richtung seines Motorrads getragen hatten.

"Oh, okay", gab ich ihm irgendwie verloren zurück, doch er ließ mir keine Zeit darüber nachzudenken, wieso mein Unterbewusstsein mich hier wegbringen wollte. Er nahm meine Hand fest in seine und lief an meiner Seite, als wäre er mir treu ergeben.

Es fühlte sich zwar ungewohnt an, doch ich hatte keine Kraft mehr, mir immer nur Gedanken darüber zu machen, was ich verdient hatte und was nicht. Ich tat also nur noch das, was ich in dem Moment brauchte.

Ich schmiegte meinen Kopf an seinen Oberarm, atmete tief durch und genoss das Gefühl der Zweisamkeit.

Früh genug würde ich ihr wieder entrissen werden.

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The split Mate - Only by nightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt