Brotherhood

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Es war eiskalt

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Es war eiskalt. Ein eiskalter, zugefrorener kanadischer Wintermorgen. Die Sonne war noch nicht einmal richtig bei uns, was ich bemerkte, als ich das obere Schuppentor aufdrückte und eisige Halbnachtluft mich begrüßte. Ich sah nach unten, wodurch mir schnell einleuchtete, was mich so unmenschlich früh geweckt hatte.

Sam.

Er trug nur einen Pullover, darunter ein kariertes Hemd, dessen Ärmel hervorspitzten und dessen Enden ihm über die Hüften fielen. Er hielt eine Axt in der Hand. Ich sah ihm dabei zu, wie er einen runden Holzpflock nahm, ihn auf einen dicken Stamm legte und zum Schlag ansetzte. Zwei gezielte Schwünge brauchte er nur, dann war das Holzscheit schon geteilt und er machte mit dem nächsten weiter. Wie paralysiert beobachtete ich, wie er einen ganzen Haufen auf einen offensichtlich selbstgebauten Schlitten stapelte, bis Brian aus dem Wald gestapft kam und ihm noch mehr Holz vor die Füße warf.

»Das reicht doch jetzt mal, oder?«, brummte Brian, zog sich seine Mütze vom Kopf und wischte sich damit den Schweiß ab. Wie konnten die beiden ernsthaft schwitzen? Bei dieser Kälte ...

»Hol mir noch mehr.«

»Gott, bist du irgendwann mal mit was zufrieden?«

Sam grinste und schlug erneut auf einen Pflock ein, der sich willenlos spaltete. »Nein.«

»Okay, schon gut ...«, gab Brian sich genervt, schmunzelte aber ebenfalls. »Ich geh ja schon. Sklaventreiber.« Er drehte ab, hielt aber in der Bewegung inne und kramte in seiner Jackentasche. Mit den Zähnen zog er sich die Handschuhe aus und tippte auf sein Handy, dass er sich dann unter die Mütze schob. »Hey, Mom.«

Sam fuhr verschreckt herum, Brian bewegte sich eher gemächlich, aber im Endeffekt standen die beiden sich gegenüber und starrten sich aufgescheucht an. »Okay«, sagte Brian in sein Handy. »Ja. Mhm.« Typisches Mutter-Sohn-Gespräch, würde ich sagen. »Ja. Yep. Ich frag mal.«

Er nahm sein Handy vom Ohr und hielt das Mikro mit der Handfläche zu. »Wann sind wir Weihnachten ungefähr in Québec?« Oh Gott. Weihnachten. Mein Herz wollte zufrieren, passend zu der Kälte.Welches Datum hatten wir denn überhaupt? War wirklich schon Weihnachten?

»Gar nicht«, murrte Sam ziemlich deutlich, woraufhin Brians Blick versteinerte. Er sah geradezu entsetzt aus, seine ungerührte Gelassenheit war verpufft. »Ich fahr nicht hin.«

»Aber ...«

»Ich. Fahre. Nicht. Hin.«

»Sammy ...«, Brian atmete einmal tief ein, räusperte sich und hielt sich sein Handy wieder ans Ohr. »Mom, ahm ... ich finde Sammy gerade nicht. Kann ich dich nachher noch mal anrufen?« Kurze Stille. »Ja, mach ich. Bis dann.«

»Auf den Anruf kann sie lange warten.«

»Hör auf, so ein Arsch zu sein.«

»Ich bin ein Arsch?!« Sam holte mit der Axt aus, für einen Augenblick hielt ich die Luft an, aber er ließ sie nur auf dem Holzstamm fallen, sodass sie steckenblieb, als wäre der aus Schaumstoff. Wie viel Kraft musste ein Mensch haben, um so etwas zu bewirken? »Was soll ich in Québec?«

»Vielleicht mal auf Familie machen? Feiern? Glücklich sein? Tun, was normale Menschen an Weihnachten tun ...« Dass Brian Sam schon wieder verurteilte, gefiel mir nicht. Ich wollte so gerne etwas sagen, aber mal wieder befand ich mich in dieser unliebsamen Situation. Ich belauschte die beiden schon wieder wie eine Stalkerin.

»Mach du doch auf Familie, Brian. Hol Emily her, erzählt von eurem schicken Leben, verkündet, dass ihr ein Baby bekommt, was weiß ich. Ihr braucht mich dort nicht.«

»Emily wird nicht kommen.«

Kurz glaubte ich, ein Runzeln auf Sams Stirn zu erkennen. Das schien ihn zu überraschen, aber er verbarg es ziemlich gut.

»Gut, dann eben nicht. Muss sie arbeiten? Wahrscheinlich hat sie irgendeine bahnbrechende Operation vor sich, oder? Da werden Mom und Dad stolz sein, keine Sorge.« Er verdrehte die Augen. »Fahr hin, erzähl ihnen von den glorreichen Heldentaten deiner Frau, aber lass mich damit in Ruhe. Ich hab's so satt, ich ...«

»Halt die Klappe, Sammy!«

Sam erstarrte, schien danach aber eher nur noch verwirrt als wütend zu sein. Brian sah auch nicht aus, als wollte er gerade streiten. Eher sah er irgendwie ... traurig aus. »Emily wird nicht kommen, weil ... Sie hat mich verlassen.« In Sams Augen blitzte etwas auf. Schreck. »Und ...« Brian schluckte und räusperte sich gleichzeitig. Eine Geste, die mir die Kehle zuschnürte. »Wir bekommen auch kein Baby.« Mitleid. Verwirrung. Alles auf einmal. Ich ballte die Hände zur Faust aus Schmerz für Brian. »Sam ...«

»Scheiße, Mann, das ... das tut mir leid.« Brian schluckte einmal schwer, bevor er seufzend nickte. Wie alt war Brian eigentlich? Doch wohl nicht viel älter als Sam. Oder? Vielleicht ein paar Jahre? »Was ist passiert?«

»Ach, scheiße, ich ... ich weiß auch nicht.«

Ohne weiteres Wort ging Brian weg, dabei klopfte er Sam noch auf die Schulter, und dann verschwand er ins Haus. Sam sah ihm nach. Eine halbe Ewigkeit lang starrte er nur vor sich hin, bis er sich wieder seinem Holz widmete. 

You See My HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt