Ich saß noch eine Weile im Café herum. Hauptsächlich deshalb, weil ich keine Ahnung hatte, wo ich sonst hin sollte. Alles war ruiniert. Mein Leben, meine Zeit hier in Kanada, meine Pläne. Im Grunde konnte ich auch gleich zum Flughafen fahren, es würde nichts mehr ändern. Keine Ahnung, worauf ich noch hoffte.
»Hey?« Jemand stupste meine Schulter. Ich kapierte, dass es Hope war, die erst hinter mir stand und sich dann mir gegenüber auf einen Stuhl sinken ließ. »Hast du mich gehört?«
»Nein, tut mir leid.«
»Ich würde den Laden gerne schließen. Es ist schon fast sieben und wir machen dann den Pub auf.«
Ich nickte, den Blick nach draußen gewandt, wo es noch gar nicht wirkte, als wäre schon Abend. Die Sonne war langsam am Untergehen, Kinder hüpften herum, spielten und sausten umher.
»Joana?«
»Ja, tut ... tut mir leid, ich ...«, ich spürte prickelnde Tränen hinter meinen Augen, »... ich gehe schon. Tut mir leid.« Wild kramte ich in meiner Tasche nach Geld, aber ich konnte keines finden. Hektisch atmend, gegen die Tränen kämpfend und völlig überfordert mit der Welt drehte ich die Tasche um. Hope stoppte mich in meiner Bewegung, indem sie mir ihre Hand auf den Arm legte. Ich hielt die Luft an.
»Hey«, sie sah mir in die Augen, »ganz ruhig, okay? Du kannst ein anderes Mal zahlen.« Ich schüttelte wild den Kopf. »Doch, Joana, ist schon gut.«
»Nein, ich ... ich reise ab. Ich ... ich kann den Kaffee dann nicht mehr bezahlen, weil ... weil ich abreise. Ich muss ...«
»Okay, okay, jetzt mal ganz langsam.« Ich verstummte, schluckte und bemühte mich um eine ruhigere Atmung. So richtig funktionieren wollte es nicht. »Du reist ab? Aber wieso denn?« Hope kam mir auf einmal älter vor. Erwachsener. Und auch ausgelaugter, wie mir in diesem Augenblick auffiel. Unter ihren braunen Augen lagen dunkelblaue Schatten.
»Sam hat mich rausgeworfen, er hat ... Er will mich nicht mehr. Deshalb muss ich abreisen. Ich muss das Land verlassen. Ich habe keine Arbeit. Kein Zuhause. Ich bin ... ich bin jetzt ganz allein und ich muss ... ich muss irgendwie zum Flughafen kommen.« Um mir ein Ticket zu kaufen, das ich mir gar nicht leisten kann ... Meine Brust verengte sich. Vielleicht konnte ich meinen schon gebuchten Rückflug noch umbuchen. Wenn ich mit meinem Auto fuhr, konnte ich das dann einfach so stehenlassen?
»Joana ...«
»Nein, ist schon gut.« Ich wischte mir über die Augen. »Ist schon gut. Ich schaffe das. Ich muss nur irgendwie ...«
»Hey, jetzt beruhige dich bitte mal. In diesem Zustand werde ich nicht einmal einen Fuß aus diesem Café setzen lassen, eine Atlantiküberquerung kommt also schon mal gar nicht in Frage.«
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You See My Heart
RomanceJoana Fraser braucht eine Auszeit. Von ihren Freunden, ihrer Familie, ihrem Leben, das sie schlichtweg nicht mehr erträgt. Sie flieht also, und sie landet im Outback Kanadas, mitten im Wald, in einer Kleinstadt namens Chester's Creek, wo sie bald ih...