»Geht's mit der Schulter?« Sam ritt vor mir her. Sehr langsam und gemächlich, was mir schon den ganzen Tag das Gefühl vermittelte, ich würde ihn nur aufhalten. Und gefühlt alle fünf Minuten drehte er sich zu mir um und fragte mich, ob es mit der Schulter ginge. Immer wieder nickte ich, um ihn für die nächsten fünf Minuten zufriedenzustellen. »Du siehst aber nicht gut aus.«
»Danke. Hab mich selten so geschmeichelt gefühlt.«
Ich vernahm ein leises Seufzen von Sam, bevor er sich mit Blake zurückfallen ließ und auf meiner Höhe blieb, um neben mir zu reiten. Ich streichelte Leila, ignorierte Sams plötzliche Anwesenheit.
»Du siehst aus, als würdest du gleich vom Pferd fallen.«
»Sorry, dass ich es nicht gewohnt bin, einen gesamten Tag im Sattel zu verbringen.«
Wir hatten Sams Rinder auf eine neue Weide gebracht, was ewig gedauert hatte. Früher war ich echt der naiven Vorstellung erlegen, ein Cowboyleben könnte etwas Wildes oder Romantisches haben. Tja, Spoiler: ich hatte mich geirrt. Zwar sahen Sam und Brian nicht unerheblich attraktiv aus - so ausgerüstet mit Hut und diesen Lederdingern, die sich über ihre Jeans angelegt hatten -, aber mir blieb ja nicht einmal die Chance, mich darauf zu konzentrieren. Viehtrieb war Arbeit, das war mir heute schmerzlich bewusst geworden.
»Du musst mich nicht gleich angiften, Prinzessin.« Sam grinste mich von der Seite an, was mich dazu brachte, stur geradeaus zu starren.
Da waren Bäume und Berge und der Chester's Creek genau vor mir. Mir fehlte nur leider sogar die Kraft, das alles genauer in Augenschein zu nehmen, dabei erstreckte sich so ungefähr die wunderschönste kanadische Waldlandschaft hier direkt vor meinen Augen. Es sah aus wie auf einer Postkarte, deren Motiv man vermutlich für Fake halten würde.
»Sag doch was, wenn dein süßer Hintern wehtut.«
Jetzt fuhr ich zu ihm herum, sein Grinsen war immer noch da. Es war jetzt nur noch breiter und noch bescheuerte. Durfte ich ihn aus seinem Sattel schubsen? Könnte ich das überhaupt? Vermutlich eher nicht.
»Wir machen eine Pause und warten auf Brian«, sagte Sam, schnalzte einmal mit der Zunge und trieb Blake Richtung Fluss. »Komm schon, Joanie! Vom Rumstehen geht der Tag nicht schneller vorbei!«
Fassungslos starrte ich ihm hinterher. Ich treib Leila ebenfalls an, nur nicht ganz so schnell. Bei Sam angekommen stieg ich aus dem Sattel und streckte meinen Rücken durch, bevor ich Leila zum Wasser führte, damit sie etwas trinken konnte. Mir war heiß. Es war erst März, aber die Sonne war erbarmungslos und Reiten war Sport. Das wollte mein Hirn irgendwie immer noch nicht so ganz realisieren.
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You See My Heart
RomansaJoana Fraser braucht eine Auszeit. Von ihren Freunden, ihrer Familie, ihrem Leben, das sie schlichtweg nicht mehr erträgt. Sie flieht also, und sie landet im Outback Kanadas, mitten im Wald, in einer Kleinstadt namens Chester's Creek, wo sie bald ih...