Verschreckt wandte ich den Blick wieder ab, fixierte meine Gläser und das Wasser, das darunter herumsprudelte, bemüht, meinen Herzschlag auf ein weniger gesundheitsgefährdendes Niveau zu senken.
Ich gab mich so gut wie möglich unbeeindruckt, eine Mühe, die sich außer mir niemand zu machen schien. Während ich gemächlich Gläser polierte, den Blick stur auf mein Werk gerichtet, verstummte im Kennedy-P das sonst so ausgelassene Gemurmel.
Der Job hier war gut. Er brachte mir Geld, die Aufenthaltserlaubnis und eine Wohnung oben unterm Dach. Die war zwar winzig, aber sie reichte mir, und außerdem war bekanntlich alles besser, als obdachlos zu sein.
Normalerweise war er gut. Der Job, der Ort, mein Leben. Jetzt gerade überdachte ich diese Einschätzung weitestgehend, da ich hinter der Bar gefangen war.
Was bedeutete, dass ich nicht wegrennen konnte.
Seit fast einer Woche hatte ich nicht mit ihm geredet. Eine Woche, in der ich nicht mal an ihn gedacht hatte. Na gut, das war gelogen, ich beschwindelte mich selbst, weil ich es nicht ertrug, an ihn zu denken. Weil jeder Gedanke an ihn und seine Worte mich von innen heraus zerbröselte.
Niemand aß weiter, jeder Zweite legte sogar sein Besteck weg vor Erstaunen. Das Paar rechts am Fenster tuschelte leise, wobei der Mann mit den Augen rollte, als wäre er des Themas längst überdrüssig. Links an der Bar saßen zwei Mädchen, vielleicht etwas jünger als ich, denen unverblümt der Mund offenstand. Am liebsten hätte ich sie beide sofort des Hauses verwiesen – so eine Dreistigkeit!
Sam trat einen langsamen Schritt vor, fast schon vorsichtig. Er war sich der Blicke überdeutlich bewusst, das merkte ich. Ich spürte es, sein Unbehagen. Im Augenwinkel sah ich, dass er seinen Hut abnahm. Zum Vorschein kam das blaue Bandana, das seine Locken zurückhielt. Er strengte sich an, niemandem in die Augen zu sehen, kam Jareds prüfendem Blick aber schließlich nicht aus. Ich hielt die Luft an, als der die Schultern straffte, und wagte es dann doch, Sam kurz anzusehen.
Irgendwann stand er direkt vor mir.
»Joanie ...«, fing er leise an, wodurch sich eine üble Gänsehaut über meinen Körper legte, »... ich ... ich wollte mit dir ...«
Was? Er senkte seufzend den Blick. Mehr als ihn anzustarren, konnte ich nicht tun. Kurz schloss er die Augen, atmete einmal durch und blickte mich dann auf einmal genau an.
Da lag eine Art Entschlossenheit in seinem Blick, die mir fremd und unheimlich war. Lange nicht mehr wütend, immer noch ein bisschen verletzt – gebrochen. Aber entschlossen und das gefiel mir. Glaubte ich.
Ich schluckte, wich ihm aber nicht aus. Seine Augen. Sie schimmerten und glänzten. Er sah aus, als hätte er seit Tagen nicht geschlafen, was mir einen unendlich schmerzhaften Stich ins Herz rammte. Er schlief sowieso schlecht, was, wenn das jetzt noch schlimmer geworden war? Am Ende deshalb, weil ich nicht mehr da war?
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You See My Heart
RomanceJoana Fraser braucht eine Auszeit. Von ihren Freunden, ihrer Familie, ihrem Leben, das sie schlichtweg nicht mehr erträgt. Sie flieht also, und sie landet im Outback Kanadas, mitten im Wald, in einer Kleinstadt namens Chester's Creek, wo sie bald ih...