Welcome to Chester's Creek

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»Hey!«, rief ich so laut ich konnte und hob meine Hand, um wie wild zu winken

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»Hey!«, rief ich so laut ich konnte und hob meine Hand, um wie wild zu winken. Ich glaubte sogar, nie in meinem Leben jemals lauter geschrien zu haben. Das war nicht lady-like – schon klar. Und so verhält man sich nicht als Dame eines gewissen Standes – ja, ja. Ich kannte die Standpauken und Moralpredigten meiner Eltern, aber das hier war Nordamerika, irgendeine Landstraße in irgendeinem Noname-Gebiet Kanadas. Und ich wagte zu befürchten, dass diesem Typen, der da gerade in Vollmontur mit verdreckten Blundstone Boots und Pudelmütze aus seinem gigantischen Pickup Truck stieg, ziemlich egal sein würde, welchem Stand ich angehörte.

Überhaupt spielte das sowieso keine Rolle mehr – mein Vater hatte seine letzte Drohung, der er mit strenger Stimme den Titel Enterbung gegeben hatte, geradezu eindrucksvoll wahrwerden lassen. Aber auch das würde diesem Typ da wahrscheinlich völlig am Arsch vorbeigehen. Ebenso war es ihm bestimmt egal, dass mein letztes Geld für den Flug hierher und diesen jämmerlichen, uralten Schrotthaufen von Wagen draufgegangen war. Der hatte die Eisstraßen nicht gepackt, trotz Winterreifen ... war aber eigentlich klar gewesen. Aber ich hatte beim Autokauf ehrlich gesagt nicht erwartet, dass ich im wildesten aller Schneegebiete landen würde. Neben mir befand sich doch tatsächlich ein eingeeister Wasserfall - so etwas hatte ich noch nie gesehen. Im Leben nicht hätte ich auch nur erwartet, so etwas überhaupt jemals zu Gesicht zu bekommen. Ich hatte schon tausend Fotos gemacht. Auch von der Straße, die einfach eine beinharte Eislaufbahn war. Für Laurie, weil sonst würde sie mir das niemals glauben.

»Kann ich dir helfen?« Er war jung, vielleicht Mitte, Ende Zwanzig, kaum älter als ich, und er wirkte ganz freundlich eigentlich. Was aber gar nichts zur Sache tat, denn ob der Typ niedlich war oder nicht, war so was von völlig nebensächlich. Und niedlich war er auch eigentlich gar nicht, eher war ... Nein, völlig egal!

»Ja, ähm ... mein Auto ist kaputt.« Blödester erster Satz ever! Das sah er wohl selbst. »Und eigentlich bin ich schon viel zu spät dran.« Das stimmte nicht. Ich hatte seit Wochen nichts mehr von meinem neuen Chef gehört, als hätte er sich in Luft aufgelöst oder so. Trotzdem war ich hier. Weil es einfach nicht anders ging. Ich hatte ja die Adresse, hatte einen Namen, einen Vertrag, ein gültiges Visum – alles wird gut werden.

»Wo musst du denn hin?«, fragte der Typ und klang dabei tatsächlich interessiert. Dabei musterte er mich seltsam eindringlich, als wollte er abchecken, ob ich überhaupt wusste, auf welchem Kontinent ich mich befand. »Du siehst aus wie 'n Rodeo-Bunny.«

Wie bitte? Wie sah ich aus? Ganz sicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte, war ich mir nicht – sein Akzent war rau, irgendwie südstaatlich, als würde er jedes zweite Wort verschlucken. Kanadisch klang das nicht, aber was wusste ich schon. Ich war gerade mal einen halben Tag lang hier, und schon sprach ich mit wildfremden Menschen auf einer gottverlassenen, eingeeisten Straße. 

Ich blickte an mir herab – eine Leggins, unangebracht für diese Kälte, schon klar, ein Trägertop, in Pink. Okay, darauf war ich nicht stolz, das war abscheulich, und es glitzerte, und ja, darauf stand in fetten Druckbuchstaben das Wort »Cowgirl« – ich sah ja ein, dass das blöd aussah, aber im Flughafenshop hatte es für die mickrigen fünf Dollar, die mir nach dem Autokauf noch geblieben waren, eben nur diesen hässlichen Country-Merchandise-Blödsinn gegeben. Und meine Bluse, die hübsch gewesen wäre, und für einen ersten Eindruck sicher passender, hatte ich mit Kaffee bekleckert. Meine Jacke lag im Auto, ich war ja gerade erst ausgestiegen, und alles andere, was ich besaß, war im Nirwana des Flughafens verschollen. Wir schicken es Ihnen nach, lassen Sie uns die Adresse da. Hatte ich getan, aber das machte die Sache nicht weniger nervig. Immerhin hatte ich daran gedacht, Unterwäsche und alles notwendige ins Handgepäck zu packen. Einen Pyjama zum Beispiel, und Waschsachen. Nach denen war mir sowieso schon seit Stunden, weil ich immer mehr das Gefühl hatte, zu stinken.

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