Lautes Hupen riss mich aus dem Schlaf. Ich fuhr hoch, wie als wäre ich gerade aus einem Alptraum erwacht. Dabei war mein Traum gar nicht schlimm gewesen, im Gegenteil ... er war sogar ... schön. Sehr schön sogar. Mir wurde heiß. Erinnerungen an Traum-Sams Traum-Hände platzten in meinen Kopf. Sams Hände, die ...
»Guten Morgen.«
Oh Gott ...
Und jetzt lag ich auch noch auf dem Sofa, nur halb angezogen und wahrscheinlich mit knallrotem Wangen.
Sam schritt etwas Unverständliches grummelnd auf die Haustür zu, da hupte es erneut und ich zuckte zusammen. Er schlüpfte in seine Stiefel. Sonst trug er nur eine Jogginghose und darüber ein schwarzes T-Shirt. »Wer ist denn das?«, fragte ich, während ich mir unter der Decke meine Hose überzog. Mühseliges Unterfangen.
»Keine Ahnung.« Er riss die Tür auf, eiskalter Wind fegte mir durch die Haare. Ich wickelte mir die Decke um und folgte Sam auf die Veranda, wo ich erst mal fröstelte. Sam hingegen lief schon den kleinen Weg entlang, und als ich mich etwas gefangen hatte, erkannte ich auch, worauf er zusteuerte.
Jared.
Und ... und mein Auto?
Oh mein Gott.
Ich hüpfte Sam hinterher. Seltsame Begeisterung breitete ich in meinem Herz aus. Ich hasste diesen Wagen, den blauen Mustang mit seinen Roststellen und allem, aber trotzdem freute ich mich gerade, ihn wiederzusehen. Er war meiner. Mein Wagen, und jetzt war er hier. Ich hatte eigentlich gedacht, er würde als ärmliches Wrack am Straßenrand enden.
»Was soll das schon wieder, Brady, aka Vollidiot? Ich habe keine Zeit für so eine Scheiße!«
»Echt jetzt?« Jared musterte Sam um eine Spur zu abschätzig und schnaubte dann leise, als er wohl zu einem Ergebnis gekommen war. »Du siehst aus, als wärst du gerade erst aus dem Bett gefallen. Harte Nacht gehabt?« Jared grinste, während Sam verkrampft die Fäuste ballte. Ich schluckte hart. Wieder einmal fragte ich mich, wieso die beiden sich so sehr verachteten. Diese Blicke, dieser Hass, Gerichtsverhandlungen, Blut an deinen Händen, dieses Hockeyspiel ...
Sams Kopf ging es inzwischen besser, aber sein Hass auf Jared schien sich verdoppelt zu haben. Keinerlei Anzeichen einer früheren Freundschaft, dabei musste es die gegeben haben. So tiefe Verachtung konnte grundsätzlich nur aus ebenso tiefer Liebe entstehen.
»Guten Morgen, Joana«, begrüßte Jared mich, und ich zuckte leicht zusammen, weil er mich mit meinem ganzen Namen ansprach. Er war der Einzige, der das tat. Hier. Nicht zuhause, dort nannten mich alle außer Laurie immer Joana. Sam trat einen Schritt vor. Keine Ahnung, was das sollte, aber seine Körperspannung verriet ziemliche Abwehrhaltung. Alle Härchen auf seinen Unterarmen hatten sich aufgestellt, das lag natürlich an der Kälte, aber in Verbindung mit der Anspannung seiner Muskeln, wirkte selbst das bedrohlich.
»Reg dich ab, Mann«, brummte Jared, der anscheinend auch bemerkt hatte, dass Sam ihm gerade am liebsten eine reinhauen wollte. »Ich bin nur hier, um Joana ihr Auto zu bringen.«
Ich fing an zu lächeln, was Sam auch bemerkte, weil er sich zu mir umdrehte.
»Gut. Du hast es gebracht, dann ... dann kannst du ja jetzt wieder gehen«, sagte Sam leise, und merklich verwirrt. Irgendwie tat er mir jetzt auf einmal leid, weshalb ich mich gar nicht mehr so richtig über mein Auto freuen konnte.
»Yep.« Jared übergab mir den Schlüssel, lächelte mich dabei freundlich an und drehte sich um. Wollte er jetzt etwa zu Fuß nach Hause gehen?
Ich sah zu Sam, der aber plötzlich mehr Interesse an meinem Mustang zu haben schien als an Jared. Er betrachtete ihn richtig eindringlich. Gerade formte er eine Kuhle aus seinen Händen und lehnte sich ans Fenster, um in die Fahrerkabine sehen zu können.
Ich wandte mich ab.
»Jared, warte!«
Im Augenwinkel bemerkte ich, wie Sam herumfuhr, aber ich war schon entfesselt, rannte auf Jared zu.
»Willst du zu Fuß zurückgehen?«
»Ja, es ist nicht weit.«
»Aber ... aber es ist doch eiskalt. Warte, ich zieh mir schnell was an und bringe dich zurück in die Stadt.« Das erschien mir nur als notwendiger Akt der Höflichkeit, nachdem er mir doch mein Auto gebracht hatte. Warum auch immer.
Jared blickte mich verdutzt an, dann wanderte sein Blick über meine Schulter hinweg, wahrscheinlich zu Sam.
»Weißt du, ich ... ich kann echt laufen. Das ist kein Problem.« Er winkte ab.
»Aber ...«
»Joanie!« Ich schreckte zusammen, drehte mich um und erblickte Sams Augen, die voll bemühtem Zorn auf mich einfunkelten. Sam hatte diese unglaublich schönen Augen, die einfach nur dunkel und warm waren, groß, funkelnd, aber alles andere als wütend. Er musste sich gerade heftig anstrengend, um so auszusehen. Da war nicht einmal ein Blinzeln. »Ich bezahle dich nicht dafür, dass du Leute rumkutschierst.«
»Du bezahlst mich gar nicht!«, entfuhr es mir entrüstet. Ich stemmte beide Fäuste in meine Hüften, keine Ahnung, wieso.
»Du isst und wohnst hier umsonst!«
»So war das ausgemacht!«, schrie ich auf seltsame Weise enthemmt zurück. »Das heißt aber nicht, dass ich rund um die Uhr für dich zur Verfügung stehen muss!«
»Doch!«, fuhr Sam mich an, während er mir näherkam und damit meine Knie ins Wanken brachte. »Genau das heißt es.« Ich schnaubte vor Empörung. Das durfte alles nicht wahr sein ... »Wenn du ihn jetzt nach Hause bringst, kannst du deine Sachen packen.« Mir stockte das Herz. »Dann will ich dich hier nicht mehr sehen!«
Ich erstarrte. Innerlich. Und äußerlich.
»Whoa, okay ...«, kam Jared mit beschwichtigender Stimme dazwischen. »Leute, ich will hier echt keinen Stress machen. Ich glaube, ich ...«
»Ja, verpiss dich!«
»Du bleibst hier!«, befahl ich mit plötzlich unerwartet starker Stimme. Keinen blassen Schimmer, wieso ich das tat, aber in mir brodelte es. So heftig, so wild, wie ich es selten gespürt hatte. Ich war sauer. Richtig, unverblümt sauer. Auf Sam. Das war neu ... und ... ungewohnt. Ich war noch nie so derart sauer auf irgendwen gewesen, und ich wusste gar nicht so richtig damit umzugehen. Aber eines wusste ich sicher: Ich werde Jared nach Hause bringen. So was von! »Steig in mein Auto. Ich bringe dich nach Hause.«
Jared schluckte, schien sich nicht sicher zu sein, ob er das gefahrlos tun konnte. Er wirkte etwas unbeholfen, wippte auf seinen Fußsohlen hin und her. Ich sah ihm bestimmt in die Augen, dann gab ich ihm den Schlüssel und drehte mich zu Sam um. Seine Augen blitzten, er biss die Zähne zusammen, sagte aber nichts.
Im Pyjama konnte ich nicht fahren, weshalb ich zum Schuppen rennen musste, um mich umzuziehen. Als ich zum Auto zurückkam saß Jared tatsächlich am Beifahrersitz meines blauen Mustang Oldtimers und Sam war verschwunden. Interessant.
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You See My Heart
RomansaJoana Fraser braucht eine Auszeit. Von ihren Freunden, ihrer Familie, ihrem Leben, das sie schlichtweg nicht mehr erträgt. Sie flieht also, und sie landet im Outback Kanadas, mitten im Wald, in einer Kleinstadt namens Chester's Creek, wo sie bald ih...