Kapitel 1

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Das Klingeln des Schulgongs katapultiert mich aus meinen Gedanken wieder zurück in die Realität. Um mich herum packen schon alle anderen Schüler ihre Materialien ein und stehen auf, um das Klassenzimmer zu verlassen.
Ich tue es ihnen gleich und gehe gelangweilt durch den Flur.
"Joulie, warte doch mal!", ertönt eine männliche Stimme von hinten. Ich seufze unbemerkt und drehe mich um.

Vor mir steht mein Freund Samuel. Wir sind zusammen aufgewachsen und gemeinsam durch dick und dünn gegangen. Seitdem wir 13 sind, sind wir ein Paar, allerdings ist er immer noch Hals über Kopf in mich verliebt.
Ich mag ihn wirklich sehr und er behandelt mich ja auch gut, aber dieses Gefühl, welches anfangs immer aufgetaucht ist, wenn ich ihn sah, ist schon längst verschwunden.
Ich bringe es aber einfach nicht übers Herz, ihm das zu sagen. Er wäre mehr als nur traurig und Samuel hatte es durch den Tod seiner Großeltern in letzter Zeit eh schon schwer genug.

Der Junge kommt auf mich zu gerannt und schließt mich schon kurz darauf in eine feste Umarmung. "Gehen wir heute zum See? Das Wetter ist traumhaft schön", fragt er mich. Ich nicke, jedoch füge ich hinzu, dass meine Freunde auch kommen werden.

Hoffentlich haben sie heute nichts vor, aber ich will wirklich nicht allein mit ihm schwimmen gehen.
Wir gehen immer an eine abgelegene Stelle und die letzten Male ist mir aufgefallen, dass Samuel plötzlich seine Hand für meinen Geschmack etwas zu weit oben auf meinen Oberschenkel legt oder beim Umarmen auf meinen Hintern.
Wir sind zwar schon seit Jahren zusammen, haben aber nie miteinander geschlafen. Mein Freund hat zwar ein paar Mal Andeutungen gemacht, dass er bereit wäre, ich will das allerdings noch nicht.
Es fühlt sich einfach nicht richtig an.

"Wir treffen uns um 16 Uhr dort?", frage ich ihn, während wir aus dem Gebäude laufen. "Ich hol dich ab. Du weiß, ich mag es nicht wirklich, wenn du allein unterwegs bist", meint er und nimmt meine Hand. Ich schenke ihm ein freundliches Lächeln.
Innerlich könnte ich mich selbst ohrfeigen. Wieso fühle ich nur nichts mehr? Samuel ist doch so süß zu mir und behandelt mich gut. Eigentlich müsste ich immer noch genauso verliebt sein wie am Anfang.
Aber nein. Es ist wie als würde ich mit einem guten Freund reden.

Zusammen laufen wir zu meinem Haus, wo wir uns am Eingang verabschieden und er mir einen kleinen Kuss auf die Wange gibt.
Ich sperr die Tür auf und bemerke, dass niemand hier ist. Meine Eltern arbeiten wahrscheinlich noch in ihrer Bäckerei.

Ich spüre etwas Weiches an meinen Beinen und als ich herabsehe, blicke ich in die runden Augen meiner orangefarbenen Katze. Ich bücke mich und umfasse ihren Rumpf, um sie hochzuheben.
Kläglich miaut sie ein paar Mal, ehe sie durch meine Streicheleinheiten anfängt zu schnurren.

𝐒𝐓𝐀𝐘. - 𝐄𝐍𝐄𝐌𝐈𝐄𝐒 𝐓𝐎 𝐋𝐎𝐕𝐄𝐑𝐒Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt