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"Von einem MacBook geschickt und der Ort, aus dem es geschickt wurde, ist Arnsberg.", las Christian die Ergebnisse, die in der Mail standen, vor.

"Arnsberg?", fragte Robert verwundert. Er konnte sich gerade noch keinen Reim daraus machen. So schnell schaltete sein Gehirn nicht. Aber Christian kannte sich da besser aus. Immerhin kam er ja auch aus NRW und war jahrelang dort in der Landespolitik tätig. Und wusste auch genau, welcher einflussreiche Politiker aus Arnsberg kam und dort lebte.

"Merz, der CDU-Chef höchstpersönlich. Ich wüsste zumindest nicht, wer sonst noch dort lebt. Und das bestätigt unsere Vermutung mit der CDU ja absolut."

Entsetzt starrte Robert auf den Bildschirm seines Handys und dann wieder zu Christian. Und dann überkam ihn eine Wut. Am liebsten wäre er aufgesprungen und höchstpersönlich ins Sauerland gelaufen. Um sich den Konservativen vorzuknöpfen. Was fiel dem denn eigentlich ein? Und Christian war auch in gewisser Weise enttäuscht. Hatte er sich mit Merz doch eigentlich immer gut verstanden. Ihre politischen Positionen lagen zumindest oftmals nicht allzu weit auseinander. Aber er wusste genau, dass Merz nach wie vor etwas gegen Homosexuelle hatte. Und da hatte er sie nun offensichtlich verortet. Also war es wohl auch von Merz's Seite mit der Sympathie für Christian vorbei. Und Robert hatte sowieso nie sonderliche Sympathien für diesen Mann gehegt. Umso wütender war er jetzt.

"Es war ja so klar. Dass so eine Aktion von einem Konservativen kommen muss. Der hat doch auch nichts anderes zu tun, als parteipolitischen Populismus zu betreiben. Unfassbar! Wären wir jetzt nicht hier in Dänemark, dann müsste der sich aber gehörig in Sicherheit begeben. Ich glaub es einfach nicht. Dass man so weit geht und bewusst in Kauf nimmt, zwei Karrieren zu zerstören. Oder direkt die ganze Koalition. Und das nicht auf fairem oder gar ansatzweise demokratischem Weg. Wenn ich den in die Finger kriege, dann kann ich wirklich für nichts garantieren. "

"Robert, beruhig dich. Das bringt jetzt gerade nichts. Das wichtigste ist, dass wir wissen, wer dahinter steckt. Das wird uns Morgen in den Gesprächen sicherlich weiterhelfen. Und ich werde Marco gleich auch noch Bescheid geben, dann kann er auch direkt überlegen, was wir machen. Immerhin haben wir noch 7 Tage Zeit. Und wer weiß, was Merz sagen wird, wenn wir ihn persönlich damit konfrontieren. Also hey, dein Sohn hat uns gerade einen Weg eröffnet, der uns vielleicht nicht alles kosten wird. Nicht unsere Karrieren. Es ist nicht alles verloren, Robert."

Wieder mal nahm Christian ihn in den Arm, damit Robert sich wirklich beruhigte. Und das konnte er tatsächlich. Christian bewirkte Wunder bei ihm. Und ja, Robert stellte fest, dass Christian Recht hatte. Es war noch nichts verloren. Sie konnten noch aus dieser Situation raus kommen. Und an diesem Abend konnten sie eh nichts mehr erreichen. Jakob hatte das wichtigste für den ersten Moment herausgefunden. Jetzt hieß es eigentlich auf den kommenden Tag warten. Aber Robert und Christian entscheiden, nochmal eine Mail an all diejenigen zu schreiben, die diese anonyme Mail heute bekommen hatten. Sie forderten ihre Kollegen auf, zunächst nicht darüber zu sprechen und die Sache geheim zu halten. Und sagten, dass sie natürlich bald genauere Erklärungen bekommen würden. Aber am wichtigsten war es jetzt, dass diese Mail unter ihnen blieb. Es sollte ja nicht im Vorhinein schon an die Öffentlichkeit gelangen. Ohne, dass es einen Effekt gab. Und dann telefonierte Robert noch mit Annalena, die auch sichtlich fertig mit ihren Nerven war. Sie litt mit den beiden Männern mit.

Spät Abends war auch das alles geklärt, sodass Robert und Christian sich in das Bett legten. Aber keiner von beiden dachte nur ansatzweise daran, schlafen zu können. Auch wenn es wirklich spät war und sie am nächsten Morgen früh fahren wollten. Aber ihre Gedanken kreisten nach wie vor um diese Mail. Und die Konsequenzen der Mail. Robert stand noch so unter Adrenalin, dass sich seine Gedanken beinahe überschlugen. Vielleicht sollten sie es doch einfach öffentlich machen? Dann wäre dieses ganze Versteckspiel vorbei. Dann müssten sie diesen Druck nicht mehr ertragen. Vielleicht war es dann vorbei mit ihren Karrieren, aber zumindest war dieser psychische Druck weg. Aber gleichzeitig wusste Robert natürlich nach wie vor, dass er sein Amt nicht aufgeben wollte. Und Christian nicht dazu bringen wollte, dies zu tun. Sie hatten beide solange dafür gekämpft, waren schon so lange in der Politik. Und Robert würde lügen, wenn er sagen würde, dass er es nicht nochmal anstreben würde, bei der nächsten Bundestagswahl Spitzenkandidat seiner Partei werden zu wollen. Und vielleicht Kanzler werden. Auch wenn das gerade ein ziemlich ferner Traum war. Aber es zeigte ihm, dass er noch nicht fertig war mit der Politik. Und Christian ebenso wenig.

Christians Gedanken kreisten eher um den morgigen Tag. Sie würden als erstes das Gespräch mit Olaf Scholz suchen. Das war wahrscheinlich das schwierigste, was anstand. Und Christian hatte natürlich etwas Angst davor. Wahrscheinlich nicht nur etwas. Er hatte keine Ahnung, wie der Kanzler reagieren würde. Ob er in gewisser Weise Akzeptanz zeigte. Oder ob er sie beide verurteilte. Und vielleicht sofort aufforderte, von ihren Ämtern zurück zu treten. Aber ob das schlau wäre? Immerhin war Robert nach wie vor momentan der beliebteste Politiker in Deutschland. Und sollte er jetzt zurücktreten, dann wäre der Unmut in der Bevölkerung sicherlich hoch. Und bei ihm selber? Christian wusste es nicht. Klar, er war der wichtigste Teil der FDP in der Regierung. Aber wahrscheinlich trotzdem besser ersetzbar, als Robert es war. Naja, sie waren beide wichtig für die Regierung. Vielleicht zog dieses Argument ja bei dem Kanzler.

Abgesehen davon hatten sie sich ja auch nie etwas zu Schulde kommen lassen. Sie waren immer professionell gewesen und hatten sich nur in ihrer Freizeit getroffen. Manchmal in ihren Pausen, so wie es auch auf den Bildern der Fall gewesen war, die man von ihnen gemacht hatte. Aber ihre Beziehung hatte ihnen nie im Wege gestanden. Und das sollten sie Morgen auch klar machen. Sie waren immerhin professionell. Hoffentlich würden diese Argumente einfach ziehen. Christian hoffte es einfach sehr. Und dann standen ja auch noch Gespräche mit den anderen Parteivorsitzenden an. Die Grünen würden sicherlich hinter ihnen beiden stehen. Das hatte Annalena Robert wohl eben auch schon beteuert. Aber die Grünen sind ja nicht die einzigen. Sie mussten auch diejenigen in der SPD überzeugen. Christian hoffte, dass sie fair mit ihnen waren. Naja, jetzt mussten sie einfach abwarten.

Robert war nach wie vor so unruhig, dass er irgendwann wieder aufstand. Er dachte, dass Christian längst schlafen würde. Doch ihm ging es nicht sonderlich anders.

"Robert, alles gut?", murmelte er.

"Hmm, du bist ja auch noch wach. Ja, ich muss nur kurz nochmal an die frische Luft. Sonst werde ich nicht mehr ansatzweise ruhig. Bleib ruhig liegen. Ich komme wieder."

Verwundert schaute Christian ihm hinterher. Und machte sich Sorgen. Natürlich machte er sich die. Er wusste, dass es Robert absolut schlecht mit dieser Situation ging. Schlechter, als ihm selbst. Robert hatte immer zu kämpfen gehabt mit ihrer Beziehung. Und jetzt war das eingetreten, wovor er sich am meisten gefürchtet hatte. Christian wusste nicht, ob er Robert wirklich mal diesen Moment alleine geben sollte. Wahrscheinlich wäre es fair. Aber er hatte ein ungutes Gefühl dabei. Also stand auch er nochmal auf und ging leise zur Tür der Terrasse. Robert stand einige Meter entfernt mit dem Rücken zu ihn. Er schaute nach oben, so als ob er die Sterne beobachten würde. Und es war eigentlich so friedlich. Doch dieser Schein trügte. Irgendwann setzte sich Robert einfach auf den Boden und vergrub seinen Kopf zwischen seinen Händen. Eigentlich war es viel zu kalt. Doch Robert schien das nichts aus zu machen. Vielleicht brauchte er aber auch gerade diese Kälte. Um halbwegs klar denken zu können. Robert schien irgendetwas auf Dänisch vor sich hin zu murmeln. Christian verstand es auf jeden Fall nicht. Er entschied, sich neben Robert zu setzen. Im ersten Moment erschrak dieser, dann lehnte er sich aber einfach gegen ihn.
Christian nahm seine Hand und umschloss Roberts mit seiner eigenen, warmen Hand.

"Robert, wir schaffen das. Egal wie, wir schaffen das. Immerhin lieben wir uns."


Ich hab mich beeilt, damit heute Abend das Kapitel noch fertig ist :)
An der Stelle nochmal die Bemerkung, dass ich selbstverständlich die realen Personen nicht so negativ darstellen möchte, wie es hier fiktiv geschieht.

Die Leere in uns Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt