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Robert war wirklich verzweifelt, nachdem auch Annalena ihm nicht weiter helfen konnte. Sie hatte den Brief auch nicht gefunden. Also musste er jetzt einfach hoffen, dass ihn niemand gefunden hatte, der ihm und Christian schaden wollte. Sonst wären sie absolut geliefert. Dann wäre ihre Trennung vielleicht vollkommen umsonst gewesen. Denn auch dann wären ihre Karrieren vorbei, obwohl sie doch jetzt schon so lange nicht mehr zusammen waren und sich privat nicht mehr trafen. Mit einem unfassbar schlechten Gefühl fuhr Robert dann wieder in sein Ministerium. Was hatte er da nur angerichtet? Wieso hatte er den Brief nicht einfach sicher bei sich zu Hause gelagert? Er war so unbedacht gewesen. Das kannte er eigentlich gar nicht von sich. Christian brachte ihn einfach immer noch dazu, irrational zu handeln. Und wenn sie Pech hatten, dann hatte Robert an diesem Morgen alles zerstört. Er müsste es Christian sagen. Alles andere wäre nicht fair. Aber wie sollte er das nur tun? Christian würde sich nie im Leben auf solch ein Gespräch mit ihm einlassen. Dafür war er viel zu abweisend. Außerdem, was sollte er denn für eine Erklärung für diesen Brief geben? Und für seine Dummheit, den Brief einfach so zu verlieren? Nein, das konnte er Christian nicht sagen. Das ginge nicht. Deshalb beschloss er, erstmal abzuwarten, ob sich vielleicht jemand bei ihm meldete. Oder ob sich jemand aus dem Kabinett ihm gegenüber auffällig verhielt. Denn dann könnte er ja vielleicht noch das Gespräch suchen.

Mit den Gedanken immer noch bei diesem Brief öffnete Robert seinen Terminkalender. Und erschrak. Verdammt, er hatte vollkommen verdrängt, dass er am nächsten Morgen nach Brüssel reisen musste. Dort stand eine Konferenz der Wirtschaftsminister an, soweit er wusste. Daran hatte er wirklich nicht mehr gedacht. Gut, er war mit seinen Gedanken auch vollkommen woanders gewesen. Also musste er sich nun noch darauf vorbereiten. Denn das hatte er bisher nicht getan.

Christian stand mal wieder komplett neben sich. Eigentlich hatte er es in den letzten Wochen und Monaten so gut geschafft, diese Emotionen nicht mehr so an sich heran zu lassen. Aber dieser Brief hatte alles wieder in ihm aufgewühlt. Ein Gedanke ließ ihn nicht los. Robert hatte wirklich die Hoffnung gehabt, dass diese Trennung nicht endgültig war. Gab es also doch noch Hoffnung für sie beide? Wollte er diesen Gedanken überhaupt zulassen? Nein, er konnte es nicht. Diese Trennung war so unfassbar schmerzhaft gewesen, er wollte so etwas nie mehr zulassen. Und sich noch einmal auf Robert einlassen? Dann würde doch wieder die Möglichkeit bestehen, dass seine Gefühle, die nach wie vor so stark waren, verletzt werden würden. Außerdem war die Situation doch auch jetzt nicht anders, als bei ihrer Trennung. Sie müssten wahrscheinlich immer noch ihre Karrieren aufgeben, um zusammen sein zu können. Zumindest, um richtig zusammen sein zu können. Es hatte sich also nichts getan. Schnell schob Christian diesen Gedanken beiseite. Obwohl dies eher weniger erfolgreich war. Robert schwirrte einfach immer in seinem Kopf herum. Ob er nun wollte oder nicht. Und dieser Brief hatte es nicht besser gemacht. Am liebsten würde er Robert zurufen, dass er ihn immer noch liebte. Dass er immer noch so starke Gefühle für ihn hatte. Und dass auch Christian jede Sekunde ohne ihn so weh tat.

Robert packte am Abend seine Sachen in seine Reisetasche, die er am nächsten Morgen mitnehmen würde. Er müsste am frühen Morgen schon los und würde dann zwei Tage in Brüssel bleiben. Seine Motivation war zwar eher gering, aber es war doch eine Möglichkeit, wieder aus Berlin heraus zu kommen. Und damit auch ein Stück weg von Christian. Er fragte sich, was er wohl an diesem Abend machte. Begnügte er sich wieder mit dieser Journalistin? Eigentlich sollte es Robert nicht mehr interessieren. Sie waren nicht mehr zusammen. Und Christian hatte wirklich jedes Recht, zu tun und zu lassen, was er wollte. Und wenn es das war. Dann musste Robert auch das akzeptieren. Trotzdem schmerzte es ihn wirklich sehr. Er liebte Christian nach wie vor. Natürlich. Und es tat weh, wenn er wusste, dass Christian jemand anderen hatte. Und mittlerweile verstand er auch, wie es Andrea wohl ergangen sein muss. Sie muss sich wohl ähnlich gefühlt haben. Und das tat Robert auch wirklich Leid. Er verstand immer noch nicht, wie er ihr so etwas antun konnte. Und ob es sich letztendlich gelohnt hatte? Diese Frage wollte er sich lieber nicht stellen. Und versuchte deshalb lieber zu schlafen.

Am Morgen stolperte Robert erst einmal über seine Tasche, weil er noch so im Halbschlaf war. Er war schon etwas spät dran, aber da er eh mit einem Regierungsflugzeug fliegen würde, auch wenn er das wirklich ablehnte für solch eine kurze Strecke, musste er sich nicht sonderlich beeilen. Man würde wohl kaum ohne ihn fliegen. Ansonsten würde er sich wirklich wundern. Also machte er sich dann irgendwann auf den Weg Richtung Flughafen und war dann ganz froh, als er endlich im Flugzeug saß. Natürlich waren auch diverseste Medienvertreter dabei, aber er war nicht sonderlich motiviert, Statements abzugeben. Deshalb setzte er sich dann an einige Unterlagen und versuchte sich so abzulenken. Doch bevor das Flugzeug überhaupt abhob, da wurde er noch einmal aus seinen Gedanken aufgeschreckt.

Gegenüber von ihm setzte sich eine Person, die er als aller letztes hier vermutet hätte. Völlig verblüfft starrte Robert zu Christian, der sich so eben ihm gegenüber niedergelassen hatte. Christian bemerkte natürlich die Verwirrung und Verwunderung, die Robert im Gesicht stand. Und da Robert nicht wirklich Worte fand, sprach dann einfach Christian. So kalt und distanziert , wie er es ihm gegenüber mittlerweile immer tat. Auch wenn er immer noch die Worte dieses Briefs in seinem Kopf hatte.

"Ich werde dir wohl die nächsten zwei Tage Gesellschaft leisten. Für das Treffen wurden kurzfristig auch die Finanzminister einberufen. Das hast du wahrscheinlich noch nicht mitbekommen."

Immer noch etwas unter Schock stehend, schüttelte Robert den Kopf. Nein, er hatte keine Ahnung gehabt. Und er war auch nicht wirklich begeistert von der Vorstellung, nun zwei Tage Christian sehen zu müssen. Er hoffte einfach, dass sie sich nicht allzu oft begegnen würden.

Und auch Christian war eigentlich ziemlich durch den Wind. Als er am späten Abend die Nachricht bekommen hatte, dass er zusammen mit dem Wirtschaftsminister nach Brüssel reisen müsste, da wurde ihm ganz anders. Es war wirklich das letzte was er wollte, Robert zwei Tage so nah zu sein. Vor allem nach diesem Brief. Der hatte seine Gefühle und Gedanken doch nochmal heftig durch gerüttelt. Dieser Gedanke, ob es vielleicht doch nochmal eine Chance für sie gab, ließ Christian nicht mehr los. Und so wie Robert da vor ihm saß, mit diesen abwesenden Blick, den leicht verzogenen Lippen, den kleinen Fältchen um seine Augen, da war ihm auch wieder absolut klar, wieso er so viel für Robert empfunden konnte. Oder besser gesagt kann. Denn seine Gefühle hatten sich kaum gemildert in den letzten Monaten. Dafür hatten sie sich doch zu sehr eingebrannt. Doch vor den anwesenden Journalisten sollte er dringend damit aufhören, Robert so anzustarren. Das sah sicherlich nicht gut aus.

Robert hingegen stand nach wie vor unter Schock. Das Flugzeug hatte mittlerweile abgehoben und Christian war vertieft in seine eigenen Unterlagen. Doch Robert konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Sicher, das war unprofessionell. Aber er hatte keine Chance gehabt, sich auf diese Begegnung vorzubereiten. Und jetzt sollten es ganze zwei Tage werden, die er mehr oder weniger mit Christian verbringen musste. Und schon jetzt war es zu viel für ihn. In seinem Kopf spielten sich Szenen ab, die besser nicht öffentlich werden sollten. Wie sie sich immer und immer wieder geküsst hatten. Wie gut Christians Lippen geschmeckt haben. Wie gut er aussah. Und Robert konnte es einfach nicht verdrängen. Er saß hier so nah mit Christian zusammen. Wie sollte er sich dann noch im Griff haben?

Er wäre einfach froh, wenn sie da endlich aus diesem Flugzeug aussteigen konnten. Und die eigentlich so kurze Strecke wurde mit einem Mal dann doch gefühlt ziemlich lang. Doch zu diesem Zeitpunkt wussten sie auch noch nicht, was sie in Brüssel erwartete. Vielleicht wäre Robert sonst lieber im Flugzeug sitzen geblieben.


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