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Christians Körper schmerzte. Alles in ihm schmerzte. Er konnte es nicht verstehen. Alles an ihm schien so falsch zu sein. Warum sonst unterstützten Jakob und Christoph ihn nicht? Ausgerechnet Christoph. Er war doch sonst immer für ihn da. Wieso jetzt nicht? Irgendwann waren keine Tränen mehr übrig und Christian lag einfach paralysiert auf seinem Bett. Es tat alles so weh. Nie hatte er sich so schlecht gefühlt. Plötzlich klingelte es an der Tür. Genervt seufzte Christian auf. Wer auch immer dort war, sollte einfach wieder weggehen. Christian wollte niemanden sehen. Aber diese Person war ziemlich hartnäckig. Immer und immer wieder klingelte es und nach einiger Zeit wischte Christian die Tränen aus dem Gesicht und versuchte normal zu wirken. Als er die Tür öffnete, sah er Christoph vor sich. Wortlos drehte sich Christian weg.

"Christian, warte doch. Es tut mir Leid man. Ich wusste nicht, wie ich reagieren soll, deshalb habe ich nichts gesagt. Ich unterstützte nicht, was Jakob gesagt hat. Es war komisch, das von dir zu hören. Das muss ich zugeben. Aber es ändert doch nichts. Du bist immer noch mein bester Freund."

Auch wenn Christian dachte, dass er keine einzige Träne mehr verdrücken könnte, flossen die Tränen jetzt doch wieder über sein Gesicht. Und Christoph nahm ihn einfach in den Arm und hoffte, dass Christian ihm verzeihen könnte.

"Er hat mir erklären können, warum er so reagiert hat. Und dann hat er mich unterstützt, dass ich über Jan hinweg komme. Dann war die Sache mehr oder weniger gegessen. Seitdem hatte ich keine Gefühle für Männer mehr. Bis du kamst."

"Das muss alles sehr schwer gewesen sein, oder?", fragte Robert ehrlich interessiert. Manchmal hatte er das Gefühl, dass er einfach zu wenig über Christian wusste. Und er wollte eigentlich so viel wie möglich über ihn wissen. Deshalb stellte er diese Fragen.

"Ja, natürlich. Das war nicht schön. Ich hatte das Gefühl, dass irgendetwas falsch mit mir sein müsste. Das hat mich innerlich zerrissen. Umso erleichterter war ich dann, als Christoph sich entschuldigt hat. Das hat es etwas erträglicher gemacht. Aber nochmal möchte ich so etwas nicht erleben."

Robert tat es wirklich leid, dass Christian damals so etwas erfahren musste. Er war froh, dass er selbst nicht vor solchen Herausforderungen gestanden hatte. Zumindest in seiner Jugend. Aber gleichzeitig fragte sich Robert, wie die Gesellschaft heute darüber denken würde. Klar, es war mittlerweile normal, dass es homosexuelle oder bisexuelle Politiker gab. Aber bei Christian und ihm? Würde ihnen dann nicht noch mehr Hass entgegen schlagen? Es war ja ohnehin schon so, dass sie beide als Minister im ständigen Kreuzfeuer standen. Mal mehr und mal weniger berechtigt.

"Christian, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Hast du nicht auch die Befürchtung, dass uns wieder solch ein Hass entgegen schlagen wird, wenn bekannt wird, dass wir nicht heterosexuell sind? Mir macht das ehrlich gesagt etwas Angst. Vor allem nachdem ich weiß, wie sehr es dich damals mitgenommen hat. Ich hatte solch eine Erfahrung bisher nicht. Aber ich weiß genau, wie sehr wir jetzt schon immer verurteilt werden. Was, wenn wieder so etwas passiert, wie bei dir damals?"

Christian musste schlucken. Diesen Gedanken hatte er bisher immer verdrängt. Weil er ihn nicht zu Ende denken wollte. Natürlich machte es ihm Angst. Er hatte immerhin gerade gesagt, dass er sowas nicht nochmal erleben wollte. Nie wieder. Aber es gab einen Unterschied. Und den musste auch Robert sehen.

"Ja, es macht mir Angst. Aber so etwas wie damals wird nicht nochmal passieren. Denn die wichtigsten Menschen in unserem Leben wissen doch schon längst Bescheid. Und es zählt doch, was sie über uns denken. Dass sie uns akzeptieren. Es ist vielleicht nicht egal, ob wir dann aus der Gesellschaft angefeindet werden, aber es ist etwas ganz anderes, wenn es bei den wichtigsten Menschen im Leben passiert. So wie es bei mir damals der Fall war. Aber jetzt ist es anders. Alle Menschen, die uns wichtig sind, unterstützen uns. Und das ist doch, was zählt."

Robert nickte. Ja, da hatte Christian Recht. Sie hatten Unterstützung. Sogar in ihrer Regierung gab es bisher niemanden, der sie anfeindete. Wer hätte das schon gedacht? Die beiden auf jeden Fall nicht. Es lief eigentlich besser, als sie sich beide erhofft hatten.

"Du hast Recht. Das sollte uns nicht die größten Sorgen bereiten. Und bis jetzt haben wir ja wirklich viel Unterstützung erfahren. Manchmal zweifel ich wirklich daran, ob ich mir nicht zu viele Gedanken mache und gemacht habe. Vielleicht wäre es gar nicht so dramatisch, würde unsere Beziehung an die Öffentlichkeit kommen. Vielleicht wäre es so. Machen wir es uns zu schwer?"

"Nein, Robert. Du weißt genau, dass du es nicht könntest. Ich weiß es zumindest. Und das ist in Ordnung. Lass uns nicht darüber diskutieren. Wir haben heute doch echt was geschafft. Lass uns jetzt gleich zu mir fahren, ich hab das wichtigste hier fertig. Auch wenn du mich ein wenig abgelenkt hast."

"Ein wenig?", lachte Robert. Dieser ließ sich dann erst zu sich nach Hause fahren, wo Christian ihn dann wieder aufgabelte. Alles etwas kompliziert, aber sie wollten nicht direkt vom Finanzministerium aus zusammen fahren. Und dort genossen sie dann den restlichen Abend.

Die nächsten Tage vergingen ohne größere Zwischenfälle. Robert arbeitete wieder umso mehr, es ärgerte ihn doch sehr, dass er zwei Tage außer der Reihe nicht arbeiten konnte. Und das nur wegen dieses kleinen Unfalls. Naja, die Schmerzmittel betäubten wahrscheinlich einfach nur die Schmerzen und deshalb betrachtete es Robert als nicht mehr so schlimm. Also war er wieder voll im Stress seines Ministeriums eingespannt. Und Christian natürlich auch. Tatsächlich war auch die Frist verstrichen, die Merz ihnen damals in der Mail gesetzt hatte. Und Merz schien sein Wort zu halten. Es passierte nichts, was ihre Beziehung auch nur annähernd betraf. Und das beruhigte beide dann doch ungemein.

In der darauf folgenden Woche musste Christian dann für ein paar Tage nach Washington fliegen, um dort Termine wahr zu nehmen. Robert hingegen blieb in Deutschland, genauer gesagt hatte er einige Termine in Schleswig-Holstein und konnte deshalb in seiner Heimat etwas Zeit verbringen. Aber erstmal stand der Abschied von Christian an. Sie waren in den letzten Wochen so oft zusammen, da würden 5 Tage ohne einander doch ganz schön schmerzen. Und so wollte Robert Christian eigentlich gar nicht gehen lassen. Seit einigen Minuten standen sie jetzt schon im Flur von Christians Wohnung und umarmten sich. Etwas ungeduldig schaute Christian auf die Uhr. Er musste nun wirklich los.

"Robi, ich muss jetzt echt los. Sonst komme ich viel zu spät. Wir sehen uns doch Ende der Woche wieder."

"Jaaa, aber ich werde dich vermissen. Und jeder Tag ohne dich ist einer zu viel. Aber gut, ich kann es ja nicht verantworten, dass der Finanzminister zu spät kommt."

Dankbar lächelte Christian ihn an, griff nach seinem Jackett und seinem Koffer. Dann zog er Robert nochmal in einen tiefen Kuss, den beide unheimlich genossen. Und dann löste sich Christian und war schon fast draußen, als Robert ihn noch einmal kurz zurück hielt.

"Pass bitte auf dich auf, ja. Und sag mir Bescheid, wenn ihr angekommen seid. Ich liebe dich."

"Ich dich auch, Robert. Und ich werde dich natürlich auch vermissen. Aber jetzt muss ich wirklich los. Sonst stellt noch irgendwer Fragen, warum ich so spät bin."

Etwas traurig schloss Robert die Tür von Christians Wohnung. Es fühlte sich nicht gut an, wenn er alleine dort war. Einerseits natürlich weil Christian fehlte. Nur mit Christian war es dort komplett. Aber andererseits auch, weil die Wohnung eigentlich gar nicht so war, wie Robert sich eine Wohnung vorstellte. Viel zu groß. Viel zu modern. Das brauchte Robert nicht. Aber gut, mit Christian war das natürlich eine andere Sache. Da nahm er alles in Kauf. Zumindest diesbezüglich. Jetzt, wo er alleine war, brachte er die Wohnung noch ein wenig auf Vordermann. Die letzten Tage hatten sie da wirklich zu wenig Zeit für aufgewendet und Christian würde sich sicherlich darüber freuen, wenn er wieder kommt.

Und dann ging es auch für Robert und eine kleine Gruppe, die ihn auf die Termine in Schleswig-Holstein begleitete, auf den Weg dorthin. Mit seiner Tasche ließ er sich in dem Auto nieder, welches von der Regierung gestellt wurde. Und dann ging es auch für ihn Richtung Heimat. Und er hoffte, dass Andrea und die Jungs, die er zum Glück alle sehen würde, davon ablenken konnten, dass er Christian vermisste. Schon nach dieser kurzen Zeit. Denn er konnte ja nichtmal mit ihm schreiben, solange er im Flugzeug saß. Was eine missliche Situation. Wie sollte er nur die Tage ohne Christian überleben?


Und weiter geht's. Verständlich, dass Robert Christian vermisst? Oder übertreibt er doch ein wenig?
Danke euch allen fürs Lesen!

Die Leere in uns Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt