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Marco las die Worte immer und immer wieder. Er konnte es nicht fassen. Nicht realisieren, was er da vor sich liegen hatte. Es war ein Brief von Robert an Christian. Der ihn wohl nie bekommen hatte, sonst hätte Robert den Brief sicherlich nicht gehabt. Und in diesem Brief breitete Robert seine ganzen Gefühle und Gedanken aus, die er wohl nach der Trennung gehabt hatte. Marco musste es nochmal lesen, um es zu verstehen. Damit die Worte in seinem Hirn ankamen. Auch wenn er wusste, dass es moralisch höchst verwerflich und wahrscheinlich unangemessen war. Trotzdem las er die Worte erneut.

"17. Dezember 2021, Berlin

Christian,
Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr. Und es tut so weh. Dich so leiden zu sehen und zu wissen, dass wir uns nie mehr so nahe sein werden. Dass ich dich nicht mehr küssen kann. Dass ich nicht mehr neben dir einschlafen und aufwachen kann. Dass es uns so nie mehr zusammen geben wird. Ich kann es nicht realisieren. Und ich will es auch nicht. Ich spüre noch immer das Gefühl deiner warmen Lippen auf meinen. Es war jedes Mal so unglaublich. Nie hätte ich mir das vorstellen können. Dass ich mit einem Mann solche Gefühle erleben kann. Mit dir, Christian Lindner. Ich habe jeden Moment, jeden noch so kleinen Augenblick mit dir so sehr genossen. Unser Wochenende in Dänemark werde ich niemals vergessen können. Es war einfach so besonders. Doch ich weiß auch, dass es uns nicht möglich war, eine Beziehung zu führen. Zumindest nicht so, wie du es dir vorgestellt hast. Und ja, am liebsten hätte ich auch der ganzen Welt gezeigt, wie sehr ich dich liebe. Und in mir ist immer noch ein Funken Hoffnung, dass es eines Tages soweit sein wird. Auch wenn ich wirklich hoffe, dass du jemanden finden wirst, der dir all das geben wird. Auch wenn es mir unfassbar schwer fällt, diese Vorstellung zuzulassen. Natürlich möchte ich niemanden anderes außer mir neben dir sehen. Aber ich wünsche mir, dass du glücklich wirst. Richtig glücklich. Mit allem was dazu gehört. Und ich weiß, dass ich dir das nicht geben konnte. Und das schmerzt mich so sehr. Es tut so weh, Christian. Jede Sekunde ohne dich tut weh. Denn jetzt ist es gewiss, dass noch so viele Sekunden auf mich zukommen werden. Ich weiß nicht, wie ich das überstehen soll. Wenn ich daran denke, wie oft wir uns sehen werden und ich jedes Mal an all das hier denken muss. Ich brauche einfach Zeit. Zeit, um alles zu verarbeiten. Die Trennung von Andrea und die von dir. Es ist vielleicht auch einfach zu viel und zu schnell passiert. Vielleicht habe ich Fehler gemacht und uns zu schnell in diese Beziehung gestürzt. Auch wenn ich es beileibe nicht bereue. Christian, ich hoffe, dass es das nicht war. Nicht endgültig. Dass es nicht für immer vorbei sein wird. Auch wenn es jetzt erstmal der Stand der Dinge ist. Ich vermisse dich jetzt schon. Und ich weiß nicht, wie ich es ohne dich überleben soll. Ich will es gar nicht wissen. Denn ich liebe dich. Und das wird sich nicht ändern. Du hast einfach einen so großen Platz in meinem Herzen eingenommen. Ich hoffe, dass irgendwann der Moment für uns kommen wird. Dass es einen richtigen Zeitpunkt geben wird. Auch wenn er es jetzt nicht ist.

Christian, ich liebe dich. Bitte lass uns die richtige Entscheidung getroffen haben, so falsch sie sich jetzt anfühlt. Ich werde niemals aufhören, an unsere gemeinsame Zeit zu denken. In uns lebt sie weiter. Genauso wie die Liebe.

Dein Robert"

Selbst Marco bekam eine Gänsehaut, als er das las. Er hatte sich nicht vorstellen können, wie ernst es Robert mit Christian gemeint hatte. Aber diese Worte verliehen dem einen Ausdruck. Man spürte förmlich den Schmerz, den Robert nach der Trennung empfunden haben musste. Und man spürte die Liebe. In diesem Moment fühlte selbst Marco sich schlecht, dass die Beziehung der beiden scheitern musste. Denn das hatten sie beide doch eigentlich überhaupt nicht verdient. Und es war wirklich zerreißend, wie Robert das beschrieben hatte. Aber gleichzeitig machte sich Marco klar, dass dieser Brief nun auch schon einige Monate alt war. Und er wohl kurz nach ihrer Trennung geschrieben wurde. Also sagte er nicht zwangsläufig etwas über Roberts momentane Gefühle aus. Vielleicht hatten sich diese Emotionen mittlerweile gelegt. Trotzdem ging es Marco nahe. Und er fragte sich, ob Christian von diesen Gedanken, die Robert dort ausgebreitet hatte, wusste. Er musste unbedingt mit ihm sprechen. So schnell es ging. Christian musste diesen Brief kennen, sofern er dies nicht sowieso schon längst tat. Aber das wusste Marco nicht. Also schrieb er Christian schnell eine Nachricht.

"Christian, kannst du nach deiner Rede in mein Abgeordnetenbüro kommen? Ich muss etwas wirklich
Wichtiges mit dir besprechen und dir etwas zeigen..."

Prompt kam eine Zusage von Christian, aber es würde wohl noch einige Minuten dauern, bis er zu Marco kommen würde. In der Zwischenzeit überlegte Marco, wie schlau es tatsächlich war, Christian diesen Brief zu zeigen. Er hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde. Sofern er die Worte noch nicht kannte. Und wenn das der Fall wäre, wie fair wäre es denn dann wirklich, ihm sie zu zeigen. Denn dann hatte es wahrscheinlich einen Grund, warum Robert ihm nie diesen Brief gegeben hatte. Und es war schon wirklich sehr persönlich und privat, was er da geschrieben hatte. Außerdem gab es ja so etwas wie das Briefgeheimnis, das sollte er als Jurist eigentlich wissen. Aber gleichzeitig ging es hier um Christian, seinen guten Freund. Er handelte doch einfach nur deshalb, weil er sich Christian verpflichtet fühlte. Und es auch war. Deshalb schob er alle anderen Gedanken zur Seite und hielt daran fest, Christian diesen Brief zeigen zu wollen. Und war aber dann doch etwas nervös, als Christian in sein Büro trat.

Denn er wusste wirklich nicht, wie Christian damit umgehen würde. Er hatte hautnah mitbekommen, wie hart die Zeit nach der Trennung für Christian gewesen war. Er war kaum wiederzuerkennen. Nie zuvor hatte er ihn so verwahrlost gesehen und so neben der Spur. Er war schon wirklich froh, dass sich diese Situation mittlerweile gebessert hatte. Aber was würde dieser Brief mit ihm machen? In ihm auslösen?

"Marco, wieso bin ich hier? Was wolltest du mir zeigen?", fragte Christian neugierig. Er hatte sich schon gewundert, als Marco ihn geschrieben hatte. Immerhin hatten sie sich doch heute schon gesehen und eigentlich alles Wichtige geklärt.

"Mir ist da nach der Sitzung heute Morgen etwas in die Hände gefallen. Und ich glaube, dass du es sehen bzw lesen solltest. Es scheint zumindest an dich adressiert zu sein."

Marco holte das Stück Papier heraus und hielt es Christian hin. Dieser schaute verwundert darauf, nahm den Brief dann jedoch in die Hand und setzte sich in den Sessel, der in Marcos Büro stand. Gespannt sah er auf die Schrift und murmelte leise
"von Robert". Marco nickte nur, was Christian aber nicht mehr beachtete. Denn er war sofort vertieft in diesen Brief. Er kannte ihn also offensichtlich noch nicht, stellte Marco fest. Christian hingegen lief bei jedem weiteren Wort, was er las, ein Schauer über den Rücken. Es versetzte ihn so sehr in diese Trennung zurück. In diese Situation, als er bei Robert in der Wohnung saß und sie sich ein letztes Mal geküsst hatten. Als er gegangen ist. Endgültig. Dieser Brief verriet so viel über Roberts Gedanken und Gefühle. Die Worte waren so intim. Und es löste unfassbar viel in Christian aus. Robert hatte am Tag ihrer Trennung wirklich die Hoffnung gehabt und sie nicht aufgegeben, dass sie vielleicht nochmal eine Chance hätten. Dachte er noch immer so? Hatte er noch immer diese Hoffnung? Christian war verwirrt. Dieser gesamte Brief verwirrte und verunsicherte ihn. Und er wühlte ihn auf. Es war nichts mehr da von dieser Mauer, die er um sein Innerstes aufgebaut hatte. Robert hatte es mal wieder geschafft, diese einzureißen. Und das, ohne überhaupt anwesend zu sein.

"Danke, Marco. Das hier ist wirklich... ja intensiv. Danke, dass du es mir gezeigt hast.", sprach Christian mit brüchiger Stimme, bevor er den Brief nochmal las.


Christian kennt nun also den Brief... Ich hoffe, es gefällt euch :)

Die Leere in uns Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt